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Ende 1914 fotografierte Fritz Klein die Männer des türkischen Begleitkommandos seiner Expedition.

© Preußen-Museum, Wesel

Der deutsche Lawrence von Arabien: Fritz Klein: Der Dschihadist des Kaisers

Lawrence von Arabien kennt jeder, aber Fritz Klein? Der Offizier ließ 1914 britische Ölpipelines im Nahen Osten sprengen. Eine Ausstellung in Wesel erinnert jetzt an dieses vergessene Kapitel des Ersten Weltkriegs.

Barfuß, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, verwundet. Sie schauen erschöpft und frustriert in die Kamera. So sehen keine Helden aus, aber sie wissen, sie haben es gerade noch einmal geschafft. Die Führer eines deutschen Sprengkommandos hatten zwischen März und Juni 1915 als Teil der Expedition Klein britische Ölpipelines im Irak in die Luft gejagt. Beim Rückzug mussten sie sich durch die Wüste und entlang des Euphrats durchschlagen, wurden mehrfach ausgeraubt und schließlich von osmanischen Dorffrauen und den eigenen Leuten gerettet. Major Fritz Klein hatte tatsächlich geglaubt, dass dieses Foto in Zeitungen in Deutschland veröffentlicht werden würde, doch die Militärzensur sah darin eine Herabwürdigung der Kampfkraft deutscher Truppen im Orient. Es ist das bemerkenswerteste, weil ehrlichste Foto von rund 400 Bildern, die Klein als osmanischer Major und Generaletappenchef der türkischen Truppen im Irak damals aufgenommen hat.

Lawrence von Arabien kennt jeder, doch wer kennt Fritz Klein (1877–1958) und seinen Adjutanten Edgar Stern-Rubarth (1883–1972), der später als anerkannter Journalist im englischen Exil unter dem Titel „Playing Lawrence on the other Side“ seine Erinnerungen an diese legendäre Expedition niedergeschrieben hat? Im Preußen-Museum im niederrheinischen Wesel erzählt Direktor Veit Veltzke dieses vergessene, faszinierende Kapitel des Ersten Weltkriegs. Im Begleitband zur Ausstellung und in der Monografie „Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg“ hat Veltzke erstmals zahlreiche Dokumente dieser abenteuerlichen deutschen Orient-Expedition umfassend ausgebreitet und recherchiert.

Fritz Klein öffnete seine Augen für die Welt

Fritz Klein war Sohn eines Industriellen aus dem Siegerland, der aber wenig Neigung zu akademischen Weihen zeigte. Statt für einer akademische oder kaufmännische Laufbahn entschied er sich für eine militärische, fand sein Glück im Spiel und finanzierte davon 1904 eine Weltreise. In einer Zeit wachsender Orientbegeisterung unter Kaiser Wilhelm II. gelang es ihm 1910, drei Jahre Urlaub von der Truppe zu nehmen, um jeweils ein Jahr an den Gesandtschaften von Rio de Janeiro, Kairo und Teheran zu dienen. Diese Jahre öffneten seine Augen für die Welt. Die dilettantische Kriegführung während der Schlacht von Lothringen 1914 mit Tausenden von Toten innerhalb kürzester Zeit brachte ihn während eines Genesungsurlaubs dazu, bei einem Freund um eine Verwendung im Orient nachzufragen.

Zur gleichen Zeit erwog man in Berlin, eine Vorausexpedition in das Gebiet zu schicken, das heute Irak heißt, um zu prüfen, wie man den Briten die Ölfelder entreißen könnte. Die Deutschen unterstützten das Osmanische Reich und spielten mit dem Gedanken, zum eigenen Vorteil den britischen Einfluss im Mittleren Osten zurückzudrängen. Außerdem würden Aufstände unter den arabischen und persischen Stämmen Truppen der Alliierten binden, die dann in Europa fehlten. Klein plädierte dafür, dank seiner guten Persischkenntnisse das Bündnis mit den Stämmen zu suchen und auf eine osmanische Unterstützung zu verzichten. Unterstellt wurde er dem Auswärtigen Amt, als deutscher Hauptmann wurde er Major in osmanischer Uniform. Adjutant Edgar Stern-Rubarth stieß mit einem Trupp ehemaliger muslimischer Kriegsgefangener, getarnt als Wanderzirkus, in Konstantinopel zur Expedition. Dort wurde der Dschihad gegen die Briten ausgerufen.

Klein geriet zwischen die Interessen des Deutschen und Osmanischen Reichs

Klein suchte sich für seine Expedition zivile Spezialisten aus, darunter auch Conrad Preusser, Walter Bachmann und Hans Lührs, die als Archäologen bei den Grabungen in Assur Erfahrung mit Land und Leuten gesammelt hatten. Über 70 deutsche Teilnehmer gehörten dazu, ferner persische Gendarmerie und über 300 ehemalige österreichische Kriegsgefangene, die den Russen entkommen waren.

Die deutsche Diplomatie, allen voran der Diplomat und Archäologe Max von Oppenheim, glaubten an den „Heiligen Krieg“ und stützten die Ansprüche der Türken auf irakisches und persisches Gebiet. Klein hingegen beschloss, mit einer kleinen Truppe die persische Gendarmerie und irakische Stämme zu gewinnen, um so gegen die Briten vorzugehen. Er geriet dabei recht schnell, wie Veltzke in seiner Monografie herausarbeitet, zwischen die Interessen des Deutschen und Osmanischen Reiches einerseits und die der einheimischen Stämme andererseits, die von einer osmanischen Dominanz nichts wissen wollten. Kleins Ziel war es, den Briten zu schaden und nicht, die Ölfelder zu besetzen, wozu es ihm auch an Mannschaften und Material gefehlt hätte.

Klein wurde zum geistigen Brückenbauer zwischen Orient und Okzident.

Früher Orient-Kenner. Fritz Klein als osmanischer Major in Bagdad 1915.
Früher Orient-Kenner. Fritz Klein als osmanischer Major in Bagdad 1915.

© Preußen-Museum, Wesel

Es gelang ihm sogar, ein geheimes Treffen mit den höchsten schiitischen Würdenträgern in Kerbala zu arrangieren. Allerdings hatte die Fatwa gegen die Briten auch einen Preis. 300 000 Mark ließen sich die Stämme dafür von den Deutschen zahlen. Diese Haltung der persischen Stämme, die das deutsche Zögern, eigene Truppen zu schicken, als wenig überzeugend beurteilten und daher auf Geld setzten, ließ Klein später zu dem Schluss kommen, dass dieser ganze Heilige Krieg ein scheinheiliger Krieg sei. „Als einen Sondererfolg ganz eigener Art nehme ich für meine Expedition die Gewinnung dauerhafter Freundschaft und des völligen Vertrauens der schiitischen Muschtehids in Anspruch.“

In Persien war er seit Herbst 1915 aktiv und wurde dem Verbindungsoffizier Friedrich Sarre, eigentlich Direktor der Islamischen Abteilung im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, unterstellt. Klein suchte den Kontakt zu persischen Demokraten, die nicht viel von der Idee des Dschihad hielten. Trotzdem war es den Deutschen nicht gelungen, Persien auf die Seite der Mittelmächte zu ziehen. Es kam zu einem neuen Schulterschluss zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich, und Klein bekam einen Vorgesetzten. Als Kommandeur in Westpersien hatte er sich noch schützend vor die Armenier stellen können, doch unter den neuen Strukturen war das nicht mehr möglich.

Diplomat und Militär

Das Erlebnis des Orients als Diplomat und Militär hat Klein nachhaltig geprägt. Er spürte den Widerspruch zwischen der offiziellen deutschen und osmanischen Politik, die auf imperialistische Beherrschung des Nahen Ostens aus war, und dem Drang der irakischen und persischen Stämme, sich dem Einfluss der Osmanen zu entziehen. Später ging er mit der deutschen Politik im Nahen Osten hart ins Gericht. „Außerdem ist der Deutsche als Beamter und Offizier im Orient wenig geeignet. Nicht wegen Mangel an Wissen und Können – darin ist er allen überlegen, sondern infolge seiner schroffen militärischen Form und des Fehlens der Concilianz“, schreibt Klein in seinen Erinnerungen. Mit dem Weltkrieg werde das Kapitel des Kapitalismus abgeschlossen. Kapitalismus und Imperialismus sind für ihn zum Scheitern verurteilt. Klein setzt sich ein für ein Verständnis zwischen beiden Welten: „ … ich glaube an die immanenten Werte vom Orient, mit denen wir zwar keine militärischen Erfolge erzielen werden, die aber auf irgendeine Weise auch einmal zur Geltung kommen werden. Orient und Okzident sind eine Einheit und beide Teile müssen sich wechselweise ergänzen und befruchten.“

So wurde aus dem deutschen Offizier in osmanischen Diensten ein geistiger Brückenbauer zwischen Orient und Okzident. Klein zog sich in seine Studierstube zurück und verfasste philosophische Werke, während Stern-Rubarth eine journalistische Karriere verfolgte. Dieser wurde Chefredakteur im Ullstein-Verlag und im Wolff’schen Telegrafenbüro in Berlin, wobei er auch Gustav Stresemann beriet. Als Jude musste Stern 1936 nach London emigrieren, wo er seine Erinnerungen an den verrückten Krieg im Orient schrieb.

Ausstellung im Preußen-Museum Wesel bis zum 25. Januar. Veit Veltzke (Hrsg.): „Playing Lawrence on the other Side. Die Expedition Klein und das deutsch-osmanische Bündnis im Ersten Weltkrieg“, Nicolai Verlag, Berlin 2014. 296 Seiten, 200 Abbildungen, 39,95 Euro. Veit Veltzke: „Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg“, Nicolai Verlag, Berlin 2014. 400 Seiten, 34,95 Euro.

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