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Kultur: Der Drang in die Tiefe

KLASSIK

Damit hatte die Komische Oper wohl nicht gerechnet: Mit der Strategie, durch die programmatische Verklammerung ihrer Konzerte und Premieren das Opernpublikum zur Sinfonik zu locken, ist zugleich die lautstarke Meinungsfreudigkeit in den Konzertsaal übergeschnappt. Der Mix aus Buhs und Bravos, mit dem die Hörer im Konzerthaus Aribert Reimanns hoch konzentrierte „Fragmente“ quittieren, setzt das Abo-Konzert des Orchesters gleich zu Beginn unter Spannung. Das tut dem Abend nur gut. Kirill Petrenko lässt sich durch so etwas ohnehin nicht beirren: Nach seinem „Don Giovanni“-Dirigat verfolgt er auch im Klarinettenkonzert seinen eigenen Weg zu Mozart. Er knüpft eher bei Karajan an als bei Harnoncourt – straff kapellmeisterlich, mit hoher Spielkultur, aber auch garantiert überraschungsfrei begleitet er die schlacken- und kantenlose Soloperformance von Starklarinettistin Sabine Meyer. Doch das Highlight kommt ohnehin erst nach der Pause: Vor einer Woche hatte Claus Peter Flor mit dem BSO eine opernhaft dramatisierte, spätromantisch aufgeladene Lesart von Zemlinskys „Lyrischer Sinfonie“ geboten. Petrenko bezieht genau die entgegengesetzte Position. Für das Gefühl sind bei ihm die Solisten Hakan Hagegard und die fabelhafte Solveig Kringelborn zuständig – der Maestro kümmert sich um die sinfonischen Rahmenbedingungen. Und das auf grandiose Weise: Mit spektakulärer Finesse und Farbigkeit des Klangs und souverän gemeistertem Gleichgewicht von Tiefenstruktur und Vorwärtsdrang. Und auf einmal klingt Zemlinsky genauso gut wie Mahler.

Jörg Königsdorf

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