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Kultur: Der Eisblock in deinen Händen

Die Kommandobrücke eines gestrandeten Tankerwracks mit Blick auf das weite Meer und die majestätisch dahingleitenden Schiffsriesen: Das ist das Zuhause des dreizehnjährigen Amiro.Eltern hat er keine, seinen Lebensunterhalt muß er sich verdienen.

Die Kommandobrücke eines gestrandeten Tankerwracks mit Blick auf das weite Meer und die majestätisch dahingleitenden Schiffsriesen: Das ist das Zuhause des dreizehnjährigen Amiro.Eltern hat er keine, seinen Lebensunterhalt muß er sich verdienen.Als er des Müllsammelns überdrüssig wird, sammelt er Flaschen, später putzt er Touristen die Schuhe, dann versucht er sich als Wasserverkäufer.Immer wieder muß sich Amiro gegen die Umwelt durchsetzen, und immer wieder scheitert er.Die anderen Jungs, mit denen er Flaschen aus dem Meer fischt, nehmen ihm seine Beute ab, beim Schuheputzen wird er zu Unrecht als Dieb beschuldigt, und ein Erwachsener nimmt ihm den Eisblock, der zu Eiswasser schmelzen soll, einfach weg.Als aber ein Kunde das Wasser trinkt und den Kaufpreis verweigert, fängt Amiro an sich zu wehren.Er nimmt die Verfolgung auf.Er rennt und rennt.Er rennt dem Dieb hinterher, bis er ihn gestellt hat.

Der iranische Spielfilm "Davandeh", der erst 13 Jahre nach seiner Entstehung unter dem Titel "Runner" ins Kino kommt (eher zufällig im Zuge einer Entrümpelung der Pegasos-Verleiharchive), bietet einen zeitlosen Blick auf Kindheit in einem Land, in dem Kinderarbeit normal ist.An die Tradition des iranischen Films, der häufig Kinder in den Mittelpunkt stellt - aus ihrer Perspektive benennt er dann spezifische Gesellschaftsprobleme -, knüpft Regisseur Amir Naderi nicht an.Ihm geht es allenfalls am Rande um jene Form versteckter Kritik, die auf diesem Weg an der Zensurbehörde vorbeimanövriert wird.Ihm geht es auch nicht um Metaphern für verschachtelte, ja, philosophische Botschaften, die einen irritierend neuen Kosmos an Gedanken und Gefühlen eröffnen - so wie das dem bedeutendsten Protagonisten iranischer Filmkunst, Abbas Kiarostami, immer wieder gelingt.Amir Naderis "Runner" handelt vielmehr von der erfolgreichen Bewältigung einer kindlichen Lebenskrise und findet hierfür große Bilder.

Die zentrale und einzige Hauptfigur des Films ist an einem Entscheidungspunkt angelangt.Mit seinen Gelegenheitsjobs ist Amiro weder glücklich, noch kann er davon leben; sein soziales Leben besteht ausschließlich darin, mit Freunden Wettkämpfe im Laufen auszutragen.Mit gewaltigen Tableaus voll brennender Ölfeuer, rasender Züge, vorbeiziehender Schiffe und startender Flugzeuge, mit breiten Szenen des Hafengeschehens - im Kontrapunkt zu den rennenden Kindern, zu ihren Gesichter voll Freude und Schmerz - wird die immer auswegloser werdende Situation Amiros symbolhaft bebildert.Diese eine Geschichte wird ohne Seitenwege stringent verfolgt; am Ende beschließt Amiro, der für die Schule eigentlich schon fast zu alt ist, ganz unten anzufangen - und lesen zu lernen.

Während in amerikanischen Jugend- und Abenteuerfilmen Außenseiter einer High School Football-Mannschaft innere Schweinehunde überwinden müssen, während etwa im deutschen Kinderfilm ungewöhnliche, aber künstliche Abenteuerreisen durch die Wüste Turkmenistans, die bayrischen Alpen oder durch Kairo unternommen werden, ist Amiros Abenteuer sein echtes Leben.Und der Abenteuerspielplatz sein Wohn- und Arbeitsplatz.

Dadurch erhält der einfach strukturierte Film, der das Pathos ebenso geschickt einzusetzen weiß wie jeder Hollywoodfilm, Kraft und Spannung.Amir Naderi hat sich bereits im Iran in diesem autobiographischen Film dem stringenten Erzählkino Hollywoods zugewandt.Im Entstehungsjahr von "Runner" wanderte er schließlich in die USA aus und macht nun dort erfolgreich Filme über amerikanische Lebenskrisen.

In Berlin nur im Kino

Hackesche Höfe (untertitelte Originalfassung)

ALICE AGNESKIRCHNER

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