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Kultur: Der Elefant singt

MUSICAL

Im viktorianischen London war ein Mann Stadtgespräch, dessen Anblick erschauern ließ: ein Kopf mit einem Meter Umfang, Gesicht und Körper mit lappiger Haut bedeckt, Hand und ein Bein aufgedunsen. Lange musste sich der „Elefantenmensch“ seinen Lebensunterhalt als menschliches Kuriosum im Varieté verdienen. Jetzt ist er in Berlin: „Die traurige Ballade von John Merrick, genannt der Elefantenmensch“ heißt die Produktion der Neuköllner Oper , in der Niclas Ramdohr (Musik) und Peter Lund (Text) den wahren Fall neu aufrollen. Ein ehrgeiziges Unterfangen, das die Welt des großen Musicals auf die kleine Off-Bühne zaubert. Mehr als für die Leidensgeschichte Merricks interessiert sich Lund für die Reaktionen der Zeitgenossen: Er erfindet die pubertierende Anna (stimmlich herausragend: Claudia Stangl), die ihre eigene Unzufriedenheit auf den Elefantenmensch projiziert, und die alternde Schauspielerin Mrs. Kendal (Elena Brandes), die den Menschen hinter der unfreiwilligen Maske sieht und doch blind dafür ist, dass die Rollen des Lebens kein Abschminken kennen. Lund und Ramdohr beweisen, dass man die alte Geschichte von der Schönen und dem Biest packend erzählen kann, ohne sich in die Tasche zu lügen. Dennoch: So vorsichtig sich die beiden der Gefühlswelt ihres Helden nähern und das Pathos der Rolle satirisch zu brechen suchen – wenn sie die Innenwelt des ansonsten stammelnden Elefantenmenschen im Gesang überhöhen, verheben sie sich an ihm so böse wie ihre Figuren.

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