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Kultur: Der Ensslin-Meinhof-Komplex

Wie Elfriede Jelineks RAF-Travestie „Ulrike Maria Stuart“ an den Münchner Kammerspielen zum Hörschauspiel verkümmert

Die zweite Uraufführung. Zwar gibt es das eigentlich gar nicht: nach einer Premiere eine zweite erste Nacht. Aber Elfriede Jelinek hat ihr jüngstes „Königinnendrama“ mit dem Obertitel „Ulrike Maria Stuart“ nicht zum Druck und offiziell auch nicht zur Einsicht freigegeben. Das Werk hat 98 Manuskriptseiten, die nicht als literarischer Text, nur als kürzungsnotwendige, ausschlachtbare Grundpartitur für die jeweilige Inszenierung taugen sollen. So sei es möglich, sagt Jelinek, dass sie sich selbst in „vampiristischer“ (oder auch masochistischer) Lust „gegen die Bilderflut des Theaters“ mit „ihrem armen kleinen blutenden Text stemmt“. Kaum aber erklärt sich die Literaturnobelpreisträgerin in vorauseilender, leicht ironischer Souveränität zur Dienerin eines möglichst authentischen Regietheaters, da nimmt einer der klügsten, Jelinek-erfahrensten Theaterregisseure den Freibrief nur zögerlich an. Und zeigt, verglichen mit der vor fünf Monaten im Hamburger Thalia-Theater herausgekommenen Ur-Uraufführung, die im Mai das Berliner Theatertreffen eröffnen wird, ein fast anderes Stück.

Es geht um die RAF, um Ulrike Marie Meinhof alias Maria Stuart, um Gudrun Ensslin alias (Königin) Elisabeth, um Andreas Baader als Schatten des klassischen Graf Leicester, also um eine Art Übermalung der Schiller‘schen „Maria Stuart“: mit den blutigen Farben heutig-gestriger Politkämpfer, Terrortäter, Selbstmordopfer. Doch in den Münchner Kammerspielen lädt Jossi Wielers Inszenierung im Gegensatz zu der wilden, wüsten, virtuos grotesken Hamburger Version von Nicolas Stemann ein zu einem verblüffend leisen, sittsamen Requiem für Täter und Opfer, für versprengte Idealisten und verblichene Ideologen. Andachtsvoll sitzt zum Auftakt eine Bürgerfamilie beim Nachtmahl, nur ein zarter Bühnennebel und etwas Erde am Boden deuten so etwas wie Friedhofsruhe an, und nach einer gewissen Grabesstille fragen die schon etwas älteren Kinder, Junge und Mädchen, nach ihrer Mama, und Vater und Stiefmutter geben in leicht gedrechselten Worten zu Salat, Wein und Scampi Auskunft, dass die Vermisste wohl auf immer verloren sei.

Bald danach tritt die Mama selbst aus dem Dunkel einer hintergründigen Tapetentür – als Geistererscheinung der von Bettina Stucki so statiös wie zurückhaltend verkörperten Ulrike Meinhof. Sie verkündet: „Die Mutter, liebe Kinder, hat bestimmt kein Glücklicher beschützt“, aber irgendwie und irgendwann ist auch von einem „linken Vollidiot“, von Jordanien, schlafenden Massen, dem Kapital, den männlichen Hypochondern und dem Tod als Meister im revolutionären Kinderspiel die Rede. Das kommt sehr elegisch daher in teils hoher, zarte Schillerlocken drehender Sprache, Jargon in Jamben, und gleich wieder taucht’s ab in sozial-psychoanalytische Wortwörtlichkeiten und Kalauer (eine Gruppe heißt „K- Gruppe“, denn sie ist immer eine „kleine“ Gruppe).

Links außen steht dabei nur immer Stuckis Ulrike M., und rechts sitzt nahezu unbewegt die imaginäre Familie Röhl- Meinhof am Tisch, verkörpert von Hildegard Schmahl und Werner Rehm als altem Paar (bei Jelinek abgründiger ein „Chor der Greise“), und als liebe Kinder figurieren Katharina Schubert und Sebastian Rudolph (bei Jelinek schillernäher und elisabethanischer die „Prinzen im Tower“ genannt).

Sonst passiert lange nur wenig, viel halbdunkles Kammerhörspiel – bis zu sehr dezent angehauchter Westernmusik Brigitte Hobmeier als Gudrun Ensslin mit Ensslinperücke auftritt und in der gepflegten Widerrede mit Stucki-Meinhof die Stuart-Elisabeth-Travestie andeutet: das „Königinnendrama“ und den von RAF-Zeugen überlieferten revolutionären Hennenkampf. In dieses posthume Gefecht greift dann sehr spät noch der Gockel Andreas Baader mit mancherlei „Fotzen“-Sprüchen ein: Sebastian Rudolph, vom Kind zum halbstarken Mann geworden, der freilich als Macho-Hänfling im Unterhemd so blass bleibt wie Brigitte Hobmeiers aufsagende, aufschreiende, zwischentonlose Gudrun Ensslin.

Im Übrigen bewegt sich als Einziges die Theatermaschinerie, wenn der Bühnenbildner Jens Kilian mal eine Andeutung von Gefängnistreppenhaus auf-und abfahren lässt.

Voller Distanz zu jeder aktuell denkbaren Kommentierung der RAF horcht Jossi Wieler dem raffiniert reflexiven, oft sarkastisch ironischen Jelinek-Text nur demütig objektivierend nach. Aber das Münchner Hörschauspiel übersieht Elfriede Jelineks doppelten Boden. Sie wünscht sich, sagt die Autorin einleitend, auch „Chaos, Schmutz, Unordnung“. Stemanns Hamburger Aufführung steigerte die Schiller-Königinnentravestie daraufhin mit Anleihen beim fetzig rohen Elisabethanischen Theater, die er wiederum mit Resten des zynisch gebrochenen Pop-Kults um die RAF verspiegelte, alles unterm realsatirischen Kinotheatermotto: Bernd Eichinger und Stefan Aust präsentieren „Der Untergang der RAF“. Das hat in der Hamburger Szene für einigen Wirbel gesorgt – und natürlich hat die einschlägig bekannte Meinhof-Tochter Bettina Röhl gleich Protest angemeldet.

In München dagegen, nach zwei Stunden melancholisch bleierner Zeit, protestiert niemand. Das bürgerliche Publikum jubelt sogar, als sei hier mit der RAF auch noch das Regietheater verblichen.

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