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Der Erste Weltkrieg in der Literatur: In Schockgewittern

Das Literaturarchiv in Marbach zeigt, wie Schriftsteller auf den Ausbruch des Ersten Weltkrieges reagiert haben.

Der 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs im August 2014 wirft seine kulturellen Schatten seit Monaten voraus. Den musealen Auftakt macht jetzt das Deutsche Literaturarchiv in Marbach mit der Ausstellung „August 1914 – Literatur und Krieg“. Weil sich bei einem Krieg, der als europäische Auseinandersetzung begann und als Weltkrieg endete, eine nationale Nabelschau verbietet, hat man sich in Marbach schon 2011 mit zwei Archiven in Großbritannien und Frankreich in Verbindung gesetzt und zur Zusammenarbeit entschlossen.

Die Marbacher Ausstellung bildet den ersten Teil eines deutsch-britisch-französischen Gemeinschaftsprojekts, das unter dem Titel „Der Krieg in den Archiven“ in drei Ausstellungen in Marbach, Oxford und Straßburg die unterschiedlichen nationalen Perspektiven auf den Ersten Weltkrieg zeigen soll. Der Marbacher Schau soll im Sommer 2014 in den Bodleian Libraries der University of Oxford die Ausstellung „The Great War: Personal Stories from Downing Street to the Trenches“ folgen. Sie beschäftigt sich mit den Verbindungslinien zwischen den Oxforder Intellektuellen und der politischen Elite in London während der Kriegsjahre.

Die Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg wird dann im Herbst 2014 unter der Überschrift „La mort des poètes“ das Schicksal dreier im Krieg gefallener Dichter in den Mittelpunkt stellen: des Deutschen Ernst Stadler, des Franzosen Charles Péguy und des Engländers Wilfred Owen.

Beabsichtigt war also nicht eine gemeinsame Ausstellung, wohl aber der Austausch einzelner Exponate. So haben die Bodleian Libraries in Oxford ihre Originalmanuskripte der Tagebücher von Franz Kafka nach Marbach ausgeliehen, die Straßburger Universitätsbibliothek hat eine Auswahl aus ihrer Sammlung von Schützengrabenzeitungen zur Verfügung gestellt. Damit sollte demonstriert werden, dass die Kriegsgegner von einst sich heute gemeinsam für eine friedliche Zukunft Europas engagieren.

In der Ausstellung gibt es vor allem Papiere, Papiere, Papiere, über 200 an der Zahl

Ulrich Raulff, der Direktor des Marbacher Archivs, war immerhin ehrlich genug zuzugeben, dass die Beschränkung auf eine deutsch-französisch-britische Trilogie eine Verkürzung der Dimensionen dieses Krieges bedeutet. Die Schlachten im Osten, auf dem Balkan, in Norditalien oder im Orient werden ausgeblendet. Überhaupt scheint es das Schicksal der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg zu sein, dass sie sich, jedenfalls in Deutschland, einseitig auf den Krieg an der Westfront, die Materialschlachten in Flandern und Nordfrankreich beschränkt. Dabei zeigt sich in der Ausstellung selbst, dass die dort vertretenen Autoren auch an anderen Kriegsschauplätzen im Einsatz waren: Harry Graf Kessler in den Karpaten, Robert Musil an der österreichisch-italienischen Front, Werner Picht (der Vater des Pädagogen Georg Picht) in Polen, Gustav Sack in Rumänien oder Armin T. Wegner (bekannt als Zeuge des Völkermords an den Armeniern) in der Türkei.

Was wird in der Ausstellung gezeigt? Abgesehen von einigen Fotos und wenigen anderen nicht literarischen Objekten wie Ernst Jüngers Stahlhelm oder dem Päckchen mit der Pfeife von Gustav Sack, das als einzige Hinterlassenschaft nach dessen Tod in Rumänien an seine Witwe geschickt wurde, sind es: Papiere, Papiere, Papiere, über 200 an der Zahl. Zu den im Krieg entstandenen Fotografien plant Marbach eine gesonderte Schau unter dem Titel „Die Reise – Fotos von unterwegs“. Dabei hat man sich auf Tagebücher und tagebuchähnliche Briefe beschränkt, weil diese, so das Kalkül der Ausstellungsmacher Heike Gfrereis und Ellen Strittmatter, die gesteigerte Zeiterfahrung am besten wiedergeben.

Das Konzept ist puristisch: Der Betrachter erfährt lediglich den Autor, den Entstehungsort und das Datum des gezeigten Manuskripts. Alle übrigen Informationen muss man sich aus dem Katalog holen, in dem sämtliche Texte transkribiert sind. Für den ersten Kriegsmonat, den August 1914, kann man Tag für Tag verfolgen, wie verschiedene Schriftsteller auf die neue Situation des Krieges reagiert haben, für die restliche Zeit von September 1914 bis zum Kriegsende im November 1918 hat man sich auf Stichproben beschränkt.

Was die Ausstellung einzufangen sucht, sind also nicht resümierende Rückblicke auf den Krieg, wie sie die Kriegsbücher der zwanziger Jahre – von Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ (1920) bis zu Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ (1929) versucht haben, sondern der ungefilterte Schock des Augenblicks. Die Erfahrung, die dieses Ausstellungsprinzip beim Betrachter auslösen soll, scheint von Karl Heinz Bohrers „Ästhetik der Plötzlichkeit“ inspiriert zu sein, der diese nicht zufällig in der Auseinandersetzung mit dem Werk von Ernst Jünger entwickelt hat. Aber das funktioniert nicht bei allen Texten. Es zeigt sich da vielmehr eine Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen.

Während die Soldaten an der Front wie der bereits am 30. Oktober 1914 in der Nähe von Ypern gefallene Ernst Stadler, wie Harry Graf Kessler, Robert Musil oder eben Ernst Jünger stichwortartige Notizen in ihre taschenkalendergroßen Hefte machen, die einen expressionistischen Sprachduktus annehmen, schreiben die Daheimgebliebenen wie Hermann Hesse oder Franz Kafka weiter wie zuvor. Unter dem Datum des 6. August 1914 notiert Kafka: „Ich entdecke in mir nichts als Kleinlichkeit, Entschlussunfähigkeit, Neid und Hass gegen die Kämpfenden, denen ich mit Leidenschaft alles Böse wünsche“, um wenig später fortzufahren: „Der Sinn für die Darstellung meines traumhaften innern Lebens hat alles andere ins Nebensächliche gerückt.“ Kafkas Tagebücher zeigen vor dem Krieg wie währenddessen dieselbe Schönschrift, die sich durch die äußeren Ereignisse nicht wirklich erschüttern lässt.

Literaturmuseum Marbach, bis 30. März 2014, Di-So 10 bis 18 Uhr. Der dreibändige Katalog hat 716 S. und kostet 15 €.

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