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Kultur: Der ewige Herbst

In der Kunst zum deutschen Terrorismus zeigt sich der falsche Heroismus vergangener Schlachten

Die RAF-Ausstellung ist keine RAF-Ausstellung. Ihr Thema ist nicht die Geschichte der „Rote Armee Fraktion“ und des deutschen Terrorismus, sondern die Widerspiegelung dieser Geschichte in der bildenden Kunst.

Da gibt es viel Material, alles andere wäre ein Armutszeugnis des Kunststandorts Deutschland. Vor einem Jahr haben ungeschickte Äußerungen der Ausstellungsmacher dazu geführt, dass dem Projekt wegen Glorifizierungsverdachtes die staatliche Förderung entzogen wurde. Das war seltsam, nicht nur, weil Glorifizierung sowieso keine Kunst sein kann, außer in Staaten wie Nordkorea. Literatur und Film haben sich in Deutschland unzählige Male mit dem Terrorismus befasst, mal auf gelungene, mal auf misslungene Weise, auch mit Hilfe staatlicher Filmförderung. Beim Ausstellungswesen ist die gefühlte Bedeutung eines Kulturgutes offenbar anders. In den Galerien steht die letzte Fluchtburg des Schönen, Guten und Wahren.

Einer der Hauptvorwürfe lautete: Die Ausstellungsmacher haben nicht mit den Angehörigen der Terroropfer geredet. Auch das war ein Missverständnis. Ein Künstler, der über einen Vorgang, der ihn bewegt, zum Beispiel ein Bild herstellt, muss vorher nicht recherchieren wie ein Historiker oder Dokumentarfilmer. In der Debatte über das Projekt wurde noch einmal das alte Schauerstück aufgeführt. Einerseits Sympathisantenhatz, andererseits weitschweifige Rechtfertigungen, von denen sich ein Widerhall noch in den aktuellen Interviews und Katalogtexten findet, Texte, die unter der Last ihres Fachchinesisch ächzen wie ein Schiff in schwerer See. Weitere Defensivmaßnahme: Gezeigt wird nur, was bereits öffentlich zu sehen war, ohne dass der Staatsanwalt kam.

Der Krieg ist vorbei. Die RAF ist Geschichte. Alle Beteiligten dürfen die Schützengräben verlassen. Und die Kunst darf nicht nur, sondern muss sogar offen und vieldeutig auf die Ereignisse schauen, solange sie nicht Gewalt verherrlicht oder das Andenken Toter in den Schmutz zieht. Keines von beidem ist bei der RAF-Ausstellung der Fall. Verantwortlich für das Projekt sind Klaus Biesenbach, Ellen Blumenstein und Felix Ensslin, Sohn von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper, der vor seinem Freitod eines der wichtigsten 68er-Bücher geschrieben hat, „Die Reise“. Das Geld für die Ausstellung – Titel: „Zur Vorstellung des Terrors“ – stammt nun im Wesentlichen aus einer Internet-Versteigerung von Werken, die beteiligte Künstler zur Verfügung stellten. Der Rückzug des Staates hat, Ironie der Geschichte, aus der RAF-Ausstellung ein Musterbeispiel für private, selbst finanzierte Kulturinitiativen gemacht, sozusagen ein neoliberales Modellprojekt. Natürlich fehlen nicht die Klassiker, Joseph Beuys oder Gerhard Richter. Das angreifbarste und zugleich eindringlichste Werk dürfte von Hans-Peter Feldmann sein, in „Die Toten“ zeigt er auf 38 Metern Wand 91 Porträts, die meisten sind aus den Medien bekannt. Menschen, getötet oder gestorben zwischen 1967 und 1999. Feldmann unterscheidet nicht zwischen Tätern und Opfern. Seine Chronologie beginnt mit dem von der Polizei erschossenen Studenten Benno Ohnesorg. Hat also der Staat angefangen?

Solche Fragen gehören in eine politische Debatte. Aber wenn man vor Feldmanns Arbeit steht, begreift man, dass es hier um etwas anderes geht, um Trauer. Indem die Porträts aus Zeitungsseiten und Fahndungsplakaten herausgelöst werden, gewinnen sie etwas an Privatheit zurück. Vielleicht kann es gelingen, diese Gesichter mit den Augen derjenigen zu betrachten, die diese Menschen einmal geliebt haben.

Die Geschichte des deutschen Terrorismus besteht, in der kollektiven Erinnerung, aus einer Folge ikonenartiger Bilder – die Gefangennahme von Holger Meins, die Toten von Stammheim, das Flugzeug auf dem Rollfeld... Wahrscheinlich ist es die erste Geschichte, die wir auf diese Weise erlebt haben: als mediale Inszenierung. Die Terroristen und ihre Anhänger, die vom Kino beeinflusst waren, Andreas Baader zum Beispiel von Godards „Außer Atem“, andere von den Surrealisten, fangen schon Mitte der 70er an, mit Videokameras zu arbeiten, filmen die Todesangst von Hanns-Martin Schleyer, im Falle des entführten Peter Lorenz fordern sie eine Live-Übertragung im Fernsehen. So entsteht ein historisch neues Schlachtfeld. Sie beschreiten einen Weg, an dessen Ende der erste speziell für die Medien inszenierte Massenmord der Geschichte steht, die Anschläge auf das World Trade Center in New York.

Viele Arbeiten handeln davon, wie man hinter die Medienbilder gelangen könnte, zurück zur eigenen Erfahrung. Das Duo Kopys/Löffler zum Beispiel geht nach Stammheim, an den Ort, dessen Name ein ungutes Markenzeichen ist, und filmt in der Umgebung des Gefängnisses Gärten und Eigenheime, durchschnittliches Dorfleben. Das Gefängnis kommt nicht ins Bild. Die Werke sind durchweg ernst, schwerblütig, oft pathetisch. Humor oder Ironie fehlen weitgehend, sogar Leichtigkeit ist schwer zu finden, von Martin Kippenberger einmal abgesehen. Stalinismus, Hitler, fast jede Spielart des politischen Verbrechens hat neben Verzweiflung und Trauer als Instrument der Verarbeitung auch Lachen hervorgebracht. Nicht die RAF.

In den politischen Analysen wird oft das Stellvertreterhafte dieses Kampfes betont – das moralische Versagen der Elterngeneration vor 1945 löst bei den Kindern eine Überproduktion von Moralismus aus, mörderischen Hochmut. Nie glaubten Kinder so sehr, im Recht zu sein, wenn sie mit dem Lebenswerk ihrer Väter abrechneten. Die Terroristen führen den Krieg noch einmal, diesmal aber als die Guten. Todesengel. Sie kommen ja oft aus Pfarrershäusern. „Jesus Christus mit der Knarre“ hat Wolf Biermann in seiner linksradikalen Phase das große Terroristenvorbild Che Guevara einmal genannt, ganz ernsthaft, als ob das als christliches Bild wirklich denkbar wäre.

Wer glaubt, frei von Schuld zu sein, darf Steine in unbegrenzter Menge werfen: So lautet, in einem Satz, das Programm der RAF. Lutz Dammbeck hat, ganz in diesem Sinn, in seinen Bildern germanische Heldengesichter des Nazibildhauers Arno Breker in der Mitte halbiert und die Breker-Köpfe mit Porträts von Gudrun Ensslin und Andreas Baader zusammengenäht. Titel: „Nibelungen“.

Seit den späten Neunzigerjahren erlebt die RAF als enthistorisiertes, unpolitisches Symbol für Radikalität eine Auferstehung, auf T-Shirts zum Beispiel. Sie wird zum globalen Label. In einem Film der Amerikanerin Sue de Beer, der in der Ausstellung zu sehen ist, wird im Zimmer eines USA-Highschool-Killers ein Poster von Ulrike Meinhof gefunden. Der Schüler kann der Polizei nicht sagen, ob die Frau auf dem Poster eine Filmfigur ist oder ob es sie wirklich gab.

Vom Pop haben sie bei den Kunstwerken leider die Finger gelassen. Die Ausstellung nimmt die Terroristen als Träumer des Absoluten ernst: Verbrecher sind sie, Gescheiterte, gewiss, aber in großem Stil. In der RAF und in der Kunst über sie wallt noch einmal ein Heroismus auf, der einem heute fremd und lächerlich vorkommt. Je länger man auf die RAF schaut, desto sympathischer wird einem die Spaßgesellschaft.

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