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Kultur: Der Fährmann legt ab

TANAS / NEUER BERLINER KUNSTVEREIN Nach fünf Jahren zieht Kurator René Block wieder weiter.

Die Komplimente fliegen hin und her. „Du hast eine wunderbare Ausstrahlung“, sagt die eine. „Du bist so energetisch“, erklärt die andere. Eine Stunde lang geht das so. Die Schwedin Johanna Adebäck und die Türkin Merve Ertufan machen einander Komplimente, die bezaubernd sind. Quittiert werden sie nur mit einem kleinen Lächeln, einem fast unmerklichen Nicken, denn es gehört zu den Regeln der Performance, dass keine der beiden auf das zuvor Gesagte eingehen darf, sondern ein anderes Kompliment zurückgeben muss. Die Macht des Lobs wird hier ausgespielt, doch auf eine so anmutige Weise, dass der Betrachter des Videos kaum den darunterliegenden Wettstreit bemerkt.

Mit „Iskele 2“ aber macht sich René Block selbst das schönste Kompliment. Knapp fünfzig Künstler hat der 71-Jährige für seine Abschiedsschau ausgesucht, darunter auch das schwedisch-türkische Duo. Sie alle begleiteten ihn auf seinem beruflichen Weg. Nun erweisen sie ihm ihre Reverenz mit ihren Werken. Für den einstigen Beuys-Galeristen stellt die Doppelausstellung im Ausstellungsraum Tanas und im Neuen Berliner Kunstverein nur eine weitere Station dar. Das ist wörtlich zu verstehen, denn Iskele heißen die Istanbuler Wartestellen für die Fähren über den Bosporus. Der Fährmann Block legt wieder einmal ab.

Seit Jahren macht der Berliner Kurator das so. Abschied und Aufbruch hieß es stets, denn sein Leben lang ist er neugierig geblieben. Nach zehn Jahren Galeriearbeit in Berlin ging er 1974 nach New York, war Fluxus-Vorkämpfer und engagierte sich für die Kunst des Fünften Kontinents, des Nordens, der Balkanländer – immer ein Pionier der Peripherie und zugleich deren Vorkämpfer in den Institutionen. Block leitete das Künstlerprogramm des Daad, war verantwortlich für die Ausstellungen beim Institut für Auslandsbeziehungen, organisierte die Biennale in Sydney, arbeitete als Direktor des Museums Fridericianum in Kassel und saß in so mancher Berufungskommission, darunter auch für die Documenta.

„Iskele“ stellt für Block in doppelter Hinsicht einen programmatischen Titel dar. Er verlieh ihn schon einmal vor zwanzig Jahren einer Schau, damals noch als Leiter des ifa-Ausstellungsprogramms. Zu sehen war ausschließlich junge türkische Kunst. Die Präsentation in Berlin, Stuttgart und Bonn bedeutete tatsächlich Aufbruch, denn bislang hatten diese Künstler keinen Namen in der Welt, Istanbul war noch unentdecktes Terrain. Ein Jahr später, 1995, wurde Block zum Kurator der 4. Istanbul-Biennale berufen, die türkische Szene fand in ihm ihren Paten. Daran knüpfte auch die Vehbi-Koc-Stiftung an, als sie den Ausstellungsmacher 2008 bat, einen Vorposten für türkische Kunst in Berlin zu gründen: Tanas, umgekehrt geschrieben das türkische Wort für Kunst „Sanat“.

Fünf Jahre später nun schließt René Block seinen Raum in der Heidestraße, mittlerweile einer der letzten im einstigen Galerienquartier am Hamburger Bahnhof. Seine Aufgabe sei erfüllt, sagt er, die türkische Kunst in der Mitte Europas angekommen. Istanbul ist heute eine der beliebtesten Destinationen der Kunst-Community, die geballte Aufmerksamkeit für die aktuelle Biennale, deren Prolog bei Tanas zu sehen war, macht es deutlich. Konsequenterweise nennt Block seine letzte Ausstellung „Iskele 2“. Diesmal aber steht der Titel für Ankunft, auch wenn er persönlich wieder einmal seine Sachen packt. Die Objekte der legendären Edition Block, die ebenfalls immer in den Räumen ausgestellt waren, sind bereits eingelagert.

Zu sehen ist nun die eindrucksvolle Bilanz eines reichen Kuratorenlebens. Und wie es Blocks Art ist, blickt er nicht zurück, sondern schaut nach vorn und hat in seiner Doppelausstellung Künstlerfreunde zusammengeholt, mit denen er noch weitermachen will, etwa in seiner privaten Kunsthalle Moen im dänischen Askeby, die von der Königin des Landes erst jüngst zum Ausstellungsort des Jahres nominiert wurde.

„Iskele 2“ imponiert durch seine Diversität. Künstler verschiedener Generationen, Nationen und medialer Richtungen kommen hier zusammen. Bildhauer wie Olaf Metzel, Michael Sailstorfer, Alicja Kwade sind darunter, Videokünstler wie Candice Breitz, Annika Kahrs, Zeichner wie Dan Perjovschi, Installationskünstler wie Mona Hatoum, Ayse Erkmen. Für sie stand Block am Anfang ihrer Karriere, heute sind sie international bekannt. Sie alle eint ein ungewöhnlicher Arbeitsansatz, die überraschende Herangehensweise, die politische Wachheit, auch das Risiko. „Ein Funken Leidenschaft“ nennt Asta Gröting ihren Beitrag. Das passt. Zwischen den offenen Enden, die in einem Wandloch liegen, springt alle paar Sekunden ein Funke über. Hier zündet was. Nicola Kuhn

NBK, Chausseestr. 128/129, Tanas, Heidestr. 50, bis 3.11.; Performances im HAU am 21.9., 17–22 Uhr.

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