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Kultur: Der falsche Gegner

Warum der Papst Hans Kelsen kritisiert

Von Gregor Dotzauer

Papst Benedikt XVI. ist ein brillanter Kopf. Allein das Niveau, auf dem er am Donnerstag in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag die Grundlagen von Recht und Gerechtigkeit in den Begriffen von Natur und Vernunft rekonstruierte, erlebt man dort nicht alle Tage. Doch die Menschenfreundlichkeit, die er beansprucht, steht auf tönernen Füßen. Das „hörende Herz“ für das Richtige und Gute schlägt mit stählerner Unerbittlichkeit, und die Suche nach der wahren anthropologischen Freiheit definiert ihre Grenzen gerade durch den Bezug auf das Unendliche. Benedikt lässt göttliche Gnade vor menschlichem Recht walten. Das ist sein Beruf. Gerade durch den intellektuellen Gegner, den er sich gesucht hat, ist es aber auch eine erstaunliche Schwäche.

Die Rede ist von Hans Kelsen (1881–1973), dem berühmtesten Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts. Kelsen war ein deutscher Jude aus Prag, der in Wien aufwuchs, zwischen 1919 und 1929 österreichischer Verfassungsrichter war und 1940 vor den Nazis in die USA emigrierte. Als kritischer Rechtspositivist vertrat er eine Lehre, die Normen im Unterschied zur naturrechtlichen Betrachtung als Setzung des Menschen begreift. Naturalistische Fehlschlüsse, die aus einem Sein ein Sollen herleiten, waren ihm zuwider. Von dem, was ist, war er mit dem britischen Empiristen David Hume überzeugt, führt kein logischer Weg zu dem, was sich moralisch wünschen lässt. Als neukantianisch geprägter Denker sah Kelsen den Geltungsgrund des Rechts durch alle seine historisch veränderlichen Formationen hindurch in sich selbst, nicht in von außen herangetragenen Werten – ein Gedanke, den sein Schlüsselwerk „Reine Rechtslehre“ (1934) in einer Stufenordnung der Normen virtuos entfaltet.

Der Papst beruft sich nun darauf, dass Kelsen im hohen Alter den Dualismus von Sein und Sollen aufgegeben und behauptet habe, „dass Normen nur aus dem Willen kommen. Die Natur könnte folglich Normen nur enthalten, wenn ein Wille diese Normen in sie hineingelegt hat. Dies wiederum würde einen Schöpfergott voraussetzen, dessen Wille in die Natur miteingegangen ist. ,Über die Wahrheit dieses Glaubens zu diskutieren, ist völlig aussichtslos’, bemerkt er dazu. Wirklich? – möchte ich fragen. Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt?“

Abgesehen davon, dass diese Frage der naiven Aufforderung nahekommt, man möge nur aus dem Fenster schauen und erklären, wie das alles ohne die tätige Hilfe Gottes habe zustande kommen können, ist die begriffliche Unschärfe entscheidend. Natürlich ist es nicht sinnlos, diese Überlegung anzustellen. Sie ist sogar legitim. Es ist nur aussichtslos, sich über das Ergebnis zu einigen. Genau hier scheidet sich der Gläubige vom Nichtgläubigen

Die Pointe liegt indes darin, dass Kelsens weltanschaulich scheinbar so neutrale Theorie ideologischen Verführungen besser standzuhalten scheint als werthaltige. Anders als den vehementen Demokraten Kelsen führte es nämlich dessen großen Antipoden, den antisemitischen Staatsrechtler Carl Schmitt, der aus dem Geist des römischen Katholizismus eine „Politische Theologie“ (1922) entwickelte, von der Ablehnung der Weimarer Republik geradewegs zur Verherrlichung der nationalsozialistischen Idee.

In seiner Abschiedsvorlesung bekannte Hans Kelsen, nicht erklären zu können, „was Gerechtigkeit ist, die absolute Gerechtigkeit, dieser schöne Traum der Menschheit. Ich muss mich mit einer relativen Gerechtigkeit begnügen und kann nur sagen, was Gerechtigkeit für mich ist. Da Wissenschaft mein Beruf ist und sohin das Wichtigste in meinem Leben, ist es jene Gerechtigkeit, unter deren Schutz Wissenschaft, und mit Wissenschaft Wahrheit und Aufrichtigkeit gedeihen.“ Absolutisten wie der Papst müssen eine solche Relativierung – die Grundlage jedes Pluralismus – wohl als haltlosen Relativismus verdammen. Gregor Dotzauer

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