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Der Familie: Kleine Brüder

Familienbande: zwei Dramen über vernachlässigte Kids im Wettbewerb.

Kinder, die sich um ihre Eltern kümmern. Mütter, die sich zu Tode trinken. Väter, die gar nicht erst auftauchen. Und eben diese Kinder, die auch noch ihre kleinen Geschwister versorgen, die sich irgendwie kümmern, sich verantwortlich fühlen und den Laden zusammenhalten, es aber nicht hinkriegen, weil sie selber so dringend jemanden bräuchten.

Beide Wettbewerbsbeiträge, Thomas Vinterbergs Submarino (Dänemark) und Florin Serbans If I Want to Whistle, I Whistle (Rumänien), umkreisen das heimliche Hauptthema des Festivals: die Familie, beziehungsweise das, was davon übrig ist. Die erste, die kleinste Gemeinschaft, aufgeladen mit Verlangen und Versagen, überfordert, unkaputtbar. Beide Filme übernehmen den Titel ihrer Vorlage: Vinterberg adaptierte den Roman eines jungen dänischen Schriftstellers, Serban greift auf ein Jugendtheaterstück zurück. Beide bemühen sich um authentische Bilder vom rauen, verpfuschten Leben, von Underdogs und Junkies bei Vinterberg, von den Insassen einer Jugendstrafanstalt bei Serban. Und doch könnten die Filme kaum unterschiedlicher sein.

Bei Vinterberg leidet die Geschichte von den zwei Brüdern, die man zunächst als Kids das dritte Baby der Mutter versorgen sieht, bis es tot im Bettchen liegt, und die später auch als Erwachsene permanent versagen – diese in tristem Schneematschgrau gehaltene Story von zwei Männern, die partout nicht mehr hochkommen, krankt am fatalistischen Schema, in das sie seine Figuren zwängt. Alles geschieht zweimal: Missbrauch, fahrlässige Tötung, Schlägerei, Beerdigung – mit der Wiederholung wird’s noch schlimmer. „Submarino“ möchte Empathie für Menschen wecken, die ganz unten angekommen sind, und drückt sie doch selber in den Dreck. Als ob Underdogs, anders als andere, keine Wahl hätten, sondern nur ein unerbittliches Schicksal.

Serbans Gefängnisfilm konzentriert sich im Gegenteil auf jene Momente, in denen sein Held in einer vermeintlich aussichtslosen Lage die Wahl hat. Zuschlagen oder stillhalten? Aufgeben oder kämpfen? Sich kümmern oder besser den eigenen Vorteil bedenken?

Der 18-jährige Silviu – George Pistereanu spielt ihn wie ein verwundetes wildes Tier – kommt bald frei, aber seine nichtsnutzige Mutter, eine Prostituierte, die schon sein eigenes Leben verpfuscht hat, will schon am nächsten Tag mit dem kleinen Bruder nach Italien. Also nimmt Silviu die hübsche Sozialarbeiterin als Geisel, die ihn für eine Studie interviewt hat. Ein niedergeschlagener Wärter, eine Glasscherbe an der Kehle des Mädchens – es geht ganz schnell und man begreift diese Minute, diese Verzweiflungstat sehr genau. Aber anders als Vinterberg entwickelt Serban kein Worst-Case-Szenario. Silviu will nur eins: Die Mutter soll ihm schwören, dass sie den kleinen Bruder nicht auch noch ins Verderben zieht.

Silviu und die anderen, von jugendlichen Straftätern gespielten Gefängnisinsassen, es sind junge Männer voller Energie. Florin Serban zeigt ihre Körperlichkeit, die Virilität, die latente Aggression, den Lebenshunger, wenn sie auf den Feldern arbeiten. Geschorene Schädel, geduckte, aufmerksame Blicke, die Kamera sitzt ihnen im Nacken. Und doch ist „If I Want to Whistle, I Whistle“ ein trotziger Film. Der Streit um die Hackordnung im Knast muss nicht zwangsläufig in Schlägereien ausarten. Der schweigsame Silviu, der Junge mit den kräftigen Fäusten, er will nichts als einen Satz von der Mutter, er will sich auf Worte verlassen können und vielleicht noch mit dem Mädchen, seiner Geisel, einen Kaffee trinken gehen. Er will einen Bodensatz Zivilisation – und wenn es ihn die Freiheit kostet.

„Submarino“: Heute 17.30 Uhr (Urania), 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 21.30 Uhr (Kant-Kino); „If I Want to Whistle, I Whistle“: Heute 9.30 Uhr (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr (Urania), 21.2., 17 Uhr (Babylon)

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