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Kultur: Der Fantasiefluchtwagen

Die Berliner Festspiele verschenken eine Stretch-Limo. Der Gewinner braucht nur eine originelle Nutzungsidee. Eine Testfahrt.

Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Schaf seinen Huf in eine Stretchlimousine setzt? Okay, kommt drauf an, was man unter Schaf versteht. Also präziser gefragt: Wie wahrscheinlich ist es, dass eine neun Meter lange Nobelkarosse, die vor Jahren in der Wüste Dubais zurückgelassen wurde, ihren Weg auf eine Wiese im Berliner Landschaftspark Herzberge findet und ein rauwolliges pommersches Landschaf hineinklettert? Nicht sehr, stimmt genau. Aber es passiert. Und dafür braucht es bloß einen Futtereimer und die Fähigkeit, fiktiv bis fantastisch erscheinende Situationen in Realität zu verwandeln.

Die Experten für solche Fälle sitzen bei der Geheimagentur. Ein seit zehn Jahren bestehendes Performancekollektiv, das seinen Namen so ernst nimmt, dass die beteiligten Künstler anonym bleiben möchten. Das Projekt, das die freundlichen Geheimagenten gerade im Auftrag des Festivals „Foreign Affairs“ durchführen, trägt den schönen Titel „Der Unwahrscheinlichkeitsdrive“. Ein Terminus aus dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams. Grob vereinfacht bezeichnet er einen Raumschiffantrieb, der das unendlich schnelle Reisen von einer Situation zur nächsten ermöglicht. Das ist mit der schwarzen Lincoln-Limousine, die derzeit im Auftrag der Foreign Affairs über Berlins Straßen kreuzt, zwar nicht möglich. Aber weniger absurd erscheint dieser Drive kaum.

Im Fonds des Wagens sitzen neben einem Schälchen mit Schokoautos die verantwortliche Geheimagentin und der Londoner Künstler Joshua Sofaer. Er trägt eine goldene Leggins zur goldenen Krawatte und erzählt, was es mit diesem Auto auf sich hat, das von der kalifornischen Firma Krystal Koach auf seine imposante Länge gestreckt wurde. Und einem Geschäftsmann in Dubai gehörte. Vor fünf Jahren schlug auch in dem Emirat die Wirtschaftskrise zu. Das Problem: Bankrott zu machen ist am Persischen Golf nicht nur verpönt, sondern eine Straftat. „Der Besitzer machte sich aus dem Staub und ließ das Auto in der Wüste neben dem Flughafen zurück“, erzählt Sofaer. Eine wahre Massenbewegung in Dubai. Es gibt beeindruckende Bilder von diesem Friedhof verwaister Luxuskarossen im Wüstensand.

Einen der Fluchtwagen importierten zwei afghanische Brüder aus Bremen nach Deutschland. Zu welchem Zweck? „Driving the girls“, hieß es vielsagend bis fragwürdig. Von diesen Gentlemen jedenfalls erwarb die Geheimagentur das Auto. Um es zu verschenken. An denjenigen, der die unwahrscheinlichste Verwendung dafür findet.

Die Vorschläge werden auf Testfahrten einer Prüfung unterzogen. Und an dieser Stelle steigt Rike Feurstein in der Rosa-Luxemburg-Straße zu. Sie ist Hutmacherin mit ausgeprägtem ökologischem Bewusstsein und plant zwecks kontrollierter Wollgewinnung eine Schafszucht nahe Berlin. Mit einer edlen, vom Aussterben bedrohten Rasse namens Rotkopfschaf, auf Französisch: Rouge du Roussillon. Jedes Tier soll seine eigene Produktlinie bekommen. Einen Teil der Herde erhält Feurstein aus dem Streichelzoobestand des Tierparks Berlin, einen anderen aus dem Nürnberger Zoo. Aber es fehlt ihr noch ein Bock. Und der soll, so ihr Vorschlag, aus den Pyrenäen importiert werden. Im Tiertransporter mit getönten Scheiben.

„Die Limousine“, glaubt Sofaer, „ist ein Symbol“. Dafür, was passiert, wenn der Kapitalismus kollabiert. Die Krise hinterlässt ein Verwendungs- und Sinnvakuum. In Gestalt der leer stehenden, voll funktionstüchtigen Fabriken in Griechenland. Oder der Rohbauten entlang der spanischen Küste. Oder der Limousine aus Dubai. Gefragt ist nun die kollektive Transformations-Fantasie. Nicht nur für das Gefährt, so die Geheimagentin, sondern im besten Falle für die gesamte Gesellschaft.

Es seien eine Reihe bemerkenswerter Vorschläge bei den Berliner Festspielen eingegangen, erzählt sie. Eine Familie hatte die Idee, mit dem Wagen Menschen zu Kulturveranstaltungen zu kutschieren, die sich solchen Luxus gewöhnlich nicht leisten. Ein Wohnungsloser regte an, ihn damit zum Hartz-IV-Amt zu fahren, um dem Vorgang das Demütigende zu nehmen. Andere wollten aus der Limousine einen Swimmingpool machen. Oder den Wagen auf dem Mond parken. „Es ist der Unwahrscheinlichkeitsdrive“, gibt Sofaer allerdings zu bedenken. „Nicht der Unmöglichkeitsdrive“.

Rike Feurstein, die Schafszüchterin in spe, trägt ein Dirndl, bestickt mit Fernsehturm und Brandenburger Tor. Auf einer Skala zwischen minus drei und plus drei soll sie den Grad der Unwahrscheinlichkeit ihres Vorhabens bestimmen, das ist Teil der Testfahrt. Sie entscheidet sich für minus eins, ziemlich unwahrscheinlich. Am Steuer sitzt der Chauffeur der Geheimagentur, neben ihm eine Performerin im Hochzeitskleid. Denn mit einem derart überdimensionierten Auto gerät man leicht in vertrackte Situationen. Der Anblick der falschen Braut aber stimmt wütende Verkehrsteilnehmer sofort milde.

Die Reise führt zum Tierpark, Rotkopfschafe anschauen. Leider hat der leitende Tierarzt gerade keine Zeit, über die Bestimmungen zum artgerechten Transport von Vierbeinern in Limousinen Auskunft zu geben. Wie weiter? Ein Versuchstier für den Einstieg wäre schön, doch woher nehmen? In Friedrichsfelde wird eine schafskundige Dame namens Monika aufgelesen. Die ist – welche Unwahrscheinlichkeit! – pensionierte Mützenmacherin. Und kennt eine Population im Landschaftspark Herzberge. Ein paar Telefonate, dann gibt der Schafs-Verantwortliche Stephan Lübke grünes Licht. Das Auto darf unter lautem Blöken auf die Wiese fahren und seine Türen öffnen.

Eingebettet ist der „Unwahrscheinlichkeitsdrive“ in ein Performance-Wochenende zum Thema „Wette“. Die Kunst dieser Aktion liegt darin, utopische Potenziale wachzukitzeln. Die Menschen anzuregen, das Unwahrscheinliche zu denken, ja zu wünschen. Wer am Ende die Limousine bekommt, wird auf offener Bühne verhandelt, das Publikum entscheidet mit. Rike Feurstein jedenfalls schreibt nach der Fahrt eine Mail: „Was für ein fast magischer Moment, als das Schaf endlich sein viertes Bein in den Wagen gehoben hat!“

„Der Unwahrscheinlichkeitsdrive –

Die Entscheidung“: Fr, 12. Juli, 19 Uhr,

Haus der Berliner Festspiele

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