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Kultur: Der Flug zum Mars

Zwei Freunde tanzen zu Techno durch die 90er, dann verlieren sie sich aus den Augen. Der eine wird ein Star-DJ: Chris Liebing. Ein Wiedersehen nach acht Jahren.

Es ist kurz vor drei Uhr nachts, wir befinden uns auf einer Techno-Party in Stuttgart mit 2000 Menschen, die seit Stunden tanzen, abwechselnd schreien und die Hände in der Luft haben. Es riecht nach kaltem Schweiß und Düften aus der Douglas-Parfümeriekette. Es riecht jung: Die meisten im Saal des „Zapata“ sind keine zwanzig Jahre alt, sie tanzen in Richtung des DJ-Pults. Dort legt ihr Held auf, Chris Liebing, den einige für den Nachfolger des berühmtesten deutschen Techno-DJs Sven Väth halten (am vergangenen Donnerstag gewann er in Berlin den „German Dance Award“, eine Art Oscar der DJ-Szene – Sven Väth und Westbam gingen leer aus).

Der Auftritt von Chris Liebing ist gleich zu Ende, er dreht die Lautstärke runter. Während die Bässe verschwinden, wird der Jubel lauter, und der DJ strahlt über das ganze Gesicht. Er hebt die Hände zum Gruß, verbeugt sich in Richtung Publikum wie ein Theater-Schauspieler nach einer gelungenen Premiere. Eigentlich ist die Szene an dieser Stelle zu Ende, doch dann passiert etwas, das einem Chris Liebing näher bringt; näher, als er sich vielleicht selbst vorstellen kann. Er ist ein, zwei Schritte zurückgetreten, da zieht es ihn wieder nach vorne, als könne er nicht wahrhaben, dass es das gewesen sein soll für heute Abend. Er nimmt das Mikrofon in die Hand und sagt: „Danke!“ Noch einmal bekommt der Star seinen Applaus, noch einmal schreien 2000 Teenager seinen Namen, noch einmal lässt er sich von seinen Fans die Seele streicheln. Erst jetzt verlässt er die Bühne.

Warum einem diese Szene nicht aus dem Kopf geht? Am Anfang des Abends, beim Essen in einem bürgerlichen schwäbischen Restaurant hat der DJ Chris Liebing von seinen Ängsten erzählt, die ihn in letzter Zeit heimsuchen. „Wenn ich heute Fehler mache“, hat er gesagt, „beende ich damit vielleicht alles, was ich mir aufgebaut habe. Dann habe ich keine Plattform mehr, auf der ich mich äußern und produzieren kann. Ich habe Angst, dass morgen alles vorbei sein könnte. Angst, falsch rüberzukommen. Angst, dass man mich missversteht.“ Es dreht sich selbstverständlich auch ums Geld: Top-DJs verdienen 2000 bis 4000 Euro pro Abend, bei vier bis sechs Auftritten pro Monat ein sehr guter Umsatz für einen Künstler. In jenem Moment um kurz vor drei Uhr nachts im „Zapata“ hat Chris Liebing es genossen, dass an diesem Abend nichts schief gelaufen ist. Die Plattform ist stehengeblieben.

Einerseits bin ich mit Chris Liebing verabredet, weil in diesen Tagen sein erstes Album „Evolution“ erscheint. Andererseits ist es ein Wiedersehen nach knapp acht Jahren. Acht Jahre, in denen wir uns weder gesprochen noch gesehen haben. Dabei haben wir Mitte der Neunziger jeden dritten Abend miteinander verbracht: Wir besuchten dieselben Partys, hörten dieselbe Musik, machten gemeinsam Skiurlaub, fuhren durchs Land, immer auf der Suche nach dem, was man Nachtleben nennt. Dann haben wir uns aus den Augen verloren. Er ist in der Techno-Welt geblieben, ich habe ihr den Rücken gekehrt. Das ist unser Thema: Was ist in diesen acht Jahren passiert? Mit ihm. Mit uns. Mit diesem Ding namens Techno.

Was ist Techno-Stress?

Um kurz nach acht Uhr abends ist mein Flugzeug aus Berlin gelandet, Chris Liebing wartet schon am Gate. Er ist etwas über 1 Meter 80 groß, kurze, schwarze Haare, dunkle Augen. Er trägt eine bequeme Sporthose, High-Tech-Turnschuhe und ein dunkles T-Shirt. Wir gehen zum Auto, dort wartet schon Tina, seine Managerin („Bookerin“, wie es in der Fachsprache heißt). Sie ist sehr groß und sehr schlank, trägt ihre blonden Haare als Zopf und begrüßt mich herzlich. Und Bubi ist da, der in Stuttgart den Techno-Club „Mach1“ leitet und die Party heute Nacht veranstaltet. Aus Berlin mitgekommen ist Andy, ein Bekannter von Chris Liebing, der gelegentlich mitreist von Auftritt zu Auftritt. Tina, Bubi, Andy: In der Techno-Welt redet man sich mit Vornamen an. Wir setzen uns in seinen Audi A8 mit Frankfurter Kennzeichen, es geht los.

Der Party-Talk zwischen Chris Liebing, Tina und Bubi beginnt sofort. Fahren wir ins Hotel? Oder macht Chris erst den Soundcheck? Wann gehen wir essen? Ab wann legt Chris auf? Gibt es eine After-hour im „Mach1“? Soll er da auch auflegen? Und überhaupt, wie viele Leute passen ins „Zapata“?

Der so genannte Techno-Stress beginnt, und von nun an wird er sich nicht mehr legen, bis zum Ende der Nacht. Was ist Techno-Stress? Als Anfang der Neunziger die Szene größer wurde, die Partys sich in Raves verwandelten, Sponsoren viel Geld verteilten, als also alle immer wichtiger wurden, da entstand ausgerechnet in dieser Szene, die anfangs auf Anonymität und eine Anti-Popstar-Haltung gesetzt hatte, eine Art VIP-Luxus-Lifestyle, der sich vor allem um sich selbst dreht. Techno-Stress heißt: Alle Beteiligten drehen sich gegenseitig hoch, „pitchen“ würden die DJs das nennen, so dass jeder Adrenalin durch seinen Körper schickt. Die künstlich erzeugte Anspannung steigt, damit sie in der Nacht der Euphorie weichen kann. Die 2000 Besucher kennen Techno-Stress nicht, aber all die anderen, DJ, Veranstalter, Booker können sich auf Dauer offenbar nur so hochpuschen. Tina legt die Route fest: Erst Soundcheck im Club, dann ins Hotel, kurz umziehen, dann essen gehen und um Mitternacht zurück in den Club, jetzt aber los, zackzack.

„Taxi, Hotel, dann sitzt du so rum“

Eigentlich sollte die Party, erzählt Bubi, in seinem Club stattfinden, aber der Andrang sei zu groß gewesen, „die Leute wollen den Chris sehen“, also wurde das „Zapata“ gebucht. Zu viele Fans? In einen größeren Club ausweichen? Der Audi fährt über die Autobahn in die Stadt, ich sehe zum Fenster raus und denke an Gießen, an den „Spinclub“, und wie alles begann.

Eines Tages wurde der erste Techno-Club in der Stadt eröffnet, in der Nähe des Bahnhofs, in einem Laden, der auf der Rückseite einer Pizzeria lag und „Brick“ hieß. Die Disco war außen mit roten Backsteinen verziert, darüber ein dunkles, rustikales Dach aus Holz. Wenn man den Innenraum betrat, war man mit vier, fünf Schritten auf der Tanzfläche, so eng war es. Als der „Spinclub“ eröffnete, änderte sich nichts an der Optik, und von heute aus betrachtet muss man festhalten: Der Laden sah überhaupt nicht nach Techno aus, sondern nach dem, was er gewesen war – eine kleine Studenten-Disco in einer kleinen Studentenstadt mit nicht einmal 100 000 Einwohnern. Warum der „Spinclub“ trotzdem eine Zeit lang funktionierte? Vielleicht weil es in der Aufbruchstimmung nicht viel brauchte, im Grunde reichte eine Dose Red Bull auf der Theke, und man dachte: Hier lebt Techno. Man muss sich den Chris Liebing von damals als einen vorstellen, der mitgerissen wurde von der Euphorie. Es war ja auch berauschend: Von Woche zu Woche traf man mehr Menschen auf den Partys, es fühlte sich an, als sei man im Epizentrum eines Wirbelsturms, der übers Land fegte und alles mitriss.

Zurück in die Gegenwart, in den dunklen Audi. Wir erreichen nach einer knappen Viertelstunde das „Zapata“, Soundcheck. Wieder gibt es Streit. Liebing wollte nur kurz seine Geräte anschließen, Laptop, Effekte. Jetzt stellt er fest, dass alles fehlt, das Mischpult ist nicht angeschlossen, und ein schwäbelnder Techniker weiß nicht, woher er den dritten Plattenspieler holen soll, auf den Chris Liebing besteht. Wie er selbst reagiert? Cool, freundlich. Dafür dreht Tina, die Managerin, auf. Bei aller Diskretion: Man hört es zischen zwischen ihr und Bubi, dem Veranstalter. Sätzen fallen wie „Das sind wir nicht gewöhnt … das ist sehr unprofessionell … lass dir etwas einfallen“. Bubi ist nervös, kümmert sich, telefoniert. Man merkt ihm an, dass er den Star nicht vergraulen will. Er braucht ihn ja bald wieder. Chris Liebing wird später erklären, wie froh er ist, dass ihn Tina fast überallhin begleitet. „Ich habe begriffen, dass du als DJ Ärger machen musst, wenn sich Veranstalter nicht an Absprachen halten. Aber es ist nicht leicht, das selbst zu übernehmen, wenn du kurz darauf die Leute unterhalten willst", sagt er. „Ich bin froh, dass ich das Ärgermachen delegieren kann.“ Er sieht zu Tina rüber und grinst. Tina nickt.

Das Leben eines DJs, dem Popstar des Nachtlebens. Einerseits wird er umjubelt, mischt Platten wie andere Gitarren spielen, andererseits lebt er wie in einem Kokon, umgeben von denselben zwei, drei Menschen, die alles, was sie tun, auf ihn ausrichten. Immer ist er auf Tour, jeden dritten Abend eine neue Stadt, neue Orte, neue Menschen, denen er nie nahe kommen kann. „Du fühlst dich manchmal wie der einsamste Mensch auf Welt“, sagt Chris. „Auch wenn das niemand nachvollziehen kann. Eben noch legst du vor tausend Leuten in einem Club auf, im nächsten Moment baust du dein Equipment ab, und außer dir ist nur noch die Putzhilfe da, die den Tresen sauber macht. Taxi, Hotel, dann sitzt du so rum.“ Der Kokon ist ein Schutz vor Einsamkeit: Chris braucht Tina. Chris braucht Andy. Sie müssen nur da sein.

Der Soundcheck ist abgeschlossen, der dritte Plattenspieler noch aufgetaucht. Unsere kleine Reisegruppe begibt sich zum Auto, wir fahren ins Hotel Maritim, checken ein. Tina sagt: „Wir haben nicht viel Zeit: in zehn Minuten wieder in der Lobby, ja?“ Alle nicken, Taschen werden geschultert, die Plastikkarten fürs Zimmer eingesteckt.

Oben setze ich mich aufs Bett. Bilder fallen mir ein aus unserer gemeinsamen Partyzeit. Love Parade ’94, Raves unter Autobahnbrücken oder an Baggerseen, die Nächte im legendären Kasseler Club „Aufschwung Ost“, Hotelzimmer, die man nur zum Duschen brauchte, weil man keine Zeit zum Schlafen hatte. Einmal wurde ein Zug von Frankfurt nach Berlin organisiert, der erste Techno-Zug, „Lovetrain“ hieß er. Wir fuhren durch die halbe Republik, im Gesellschaftswagen donnerten die Beats, „I believe“, „Higher State of Consciousness“, und einer sagte: „Das ist wie ein Flug zum Mars.“ Es war aufregend. Es war neu. Es war ein Experiment.

Warum, frage ich mich, ist Chris dabei geblieben und ich nicht? An welchem Punkt haben sich unsere Wege getrennt? Es stellte sich nach zwei Jahren eine Routine ein: Hotelzimmer bleiben eben Hotelzimmer, man möchte dann doch irgendwann regelmäßig schlafen, und die 87. After-hour-Party ist nicht mehr so spannend wie die erste. Die Aufregung legte sich bei mir und vielen anderen auch, die Revolution schien beendet. Und: Die Musik begann, sich im Kreis zu drehen, Techno war etabliert – die Idee also, dass Popmusik keine Refrains, nicht einmal Gesang haben muss, dass der Beat dominiert, nicht die Melodie. Techno bestimmte Mitte der Neunziger die Sounds der Hitparade, heute ist er neben Heavy Metal und Hiphop ein Einfluss unter vielen. So begann der Rückzug: weniger Party-Besucher, sinkende Plattenverkäufe – der Höhepunkt von Techno war Ende des Jahrzehnts erreicht. Bei Chris Liebing aber ging es erst richtig los.

Wir steigen ins Auto, fahren in ein Restaurant, dessen Küche Bubi als die beste schwäbische in ganz Stuttgart anpreist. Er ist mit der Meinung nicht allein, es ist voll, und an den Wänden hinter unserem Tisch hängen Fotos von Prominenten: Franz Beckenbauer und der Wirt, Arm in Arm.

Chris und ich verziehen uns in eine Ecke. Warum, frage ich, nennst du dich eigentlich „Chris“ und nicht mehr „Christoph“ wie früher? „Als ich nach Frankfurt gezogen bin“, antwortet er, „und meinen ersten Abend im ,Omen’ hatte, habe ich auf dem Flyer meinen Namen gesehen: Christoph Liebing. Und ich dachte mir, du bist jetzt ein anderer, du bist nicht mehr der kleine Christoph, du bist jetzt ein anderer, der Chris.“ Es klingt, als habe er seine Vergangenheit hinter sich lassen wollen. Er erzählt, er sei eigentlich ein Spätstarter gewesen, in der Schule eher unauffällig, weder gut noch schlecht, „ich war nie ein Anführer“. Er hat dann BWL studiert und auch „erst nach Jahren gemerkt, das ist nichts für dich“. Pilot wollte er werden, ja, das war sein Traum, viel reisen, sein eigener Herr sein, die Welt sehen. Er bewirbt sich bei Lufthansa und tatsächlich besteht er sämtliche Tests, doch ausgerechnet sein Jahrgang ist der erste, der nicht mehr ausgebildet wird, es fehlt an Geld. Erst jetzt wird mir klar, welche Bedeutung dieses Ding namens Techno für einen wie ihn hatte: Endlich hatte er eine Aufgabe, endlich ein Ziel. Techno füllte eine Leere aus, die ein intelligenter Junge wie er in sich gespürt haben muss, der nicht genau wusste, wo er hin wollte im Leben, außer dass er kein Banker werden wollte.

Er kam als Außenseiter in die Szene und ist es auf eine Art geblieben. „Ja“, sagt er dazu, „das Gefühl, von bestimmten Kreisen nicht akzeptiert zu werden, ist nie ganz verschwunden“. In den Leser-Umfragen des wichtigsten Szene-Magazins „Groove“ wird er regelmäßig auf die vorderen Plätze gewählt, „aber die Kritiker, na ja, ich weiß nicht, ob ich jetzt da etwas sagen soll …“ Dann erzählt er von einem Abendessen auf Ibiza, bei dem zufällig die deutsche DJ-Elite zusammenkam, Sven Väth und Hell saßen mit am Tisch, „Tresor“-Gründer Dimitri Hegemann und der Kanadier Richie Hawtin. Chris wurde wütend und fragte Hegemann, warum man als junger deutscher DJ in Deutschland nie so ernst genommen werde wie irgendein völlig Unbekannter, der zufällig aus einem Ghetto in Detroit komme. Man stritt sich, aber was Chris noch viel mehr traf: Nach einer Weile merkte er, dass Hegemann nicht wusste, mit wem er sich unterhielt, „der kannte meinen Namen, wusste aber nicht, wie ich aussehe“. Liebing, der Außenseiter ohne Gesicht.

Besonders im Süden, im Rhein-Main-Gebiet, Stuttgart, Saarland und im Ausland gilt Chris Liebing heute als einer der Top-Player unter den DJs. In Frankfurt hat er oft mehr Leute angezogen als Sven Väth, was ihm in der Szene Respekt eingebracht hat. „Ich wusste“, sagt er, „dass Techno mein Ding ist, deswegen habe ich immer weiter gemacht. Irgendwann kam dann der Erfolg“.

Es ist jetzt Mitternacht. Wir brechen auf und fahren zum „Zapata“. Der Laden ist voll, als Chris mit Entourage und Plattenkoffer sich den Weg durch die Menge bahnt, klopfen sie ihm auf die Schulter, schauen ihm erwartungsvoll ins Gesicht. Er selbst sagt, dass er sich in solchen Momenten unwohl fühlt, und tatsächlich lächelt er verlegen und schaut auf den Boden. Erst hinter dem DJ-Pult wirkt er sicherer, sucht den Kontakt zur Tanzfläche. Das Charmante in seinem Wesen steht im Widerspruch zu seiner Musik. Als Laie hat man das Gefühl, dass der Sound von Liebing wie eine Peitsche klingt, die aufs Publikum niedersaust, eine Peitsche, die die 2000 immer wieder spüren wollen.

Für immer 20 sein

Es ist halb drei Uhr, Chris nähert sich dem Höhepunkt. Warum macht er das? Warum reist er seit Jahren von Club zu Club? Warum ist er in der Techno-Welt geblieben, die vielleicht für immer der Planet sein wird, auf dem er lebt? „Ich bin süchtig nach den Party-Glücksmomenten“, hat er gesagt, „wenn man mit seinem Publikum eine andere Ebene erreicht, wenn diese Masseneuphorie einsetzt; wenn du das Gefühl hast, dass die Energieschwingungen im Raum dieselben sind“. Frage: Ist es nicht sehr mühselig, sein Leben auf diese kurzen Momente auszurichten, die manchmal nur Sekunden anhalten? „DJ zu sein ist ein Egoding“, sagt er, „aber diese Glücksmomente binden dich und das Publikum zusammen. Zum Beispiel letztes Mal in Mannheim, so um 7 oder 8 Uhr morgens, das war derart intensiv, die Leute sind durchgedreht und ich ja auch, und da guckst du dich selber an und denkst dir: Wow.“ Ich kenne solche Momente: Als der DJ John Aquaviva einmal in Kassel, es muss 1994 oder ’95 gewesen sein, mitten in seinem harten House-Mix den Discohit „I feel Love“ von Donna Summer und danach „We are Family“ aus den Siebzigern spielte, und 200 Menschen auf Tischen, Bänken und Tresen tanzten, schrien, hüpften; Menschen wie ich, die in den Siebzigern gerade mal geboren waren. Das Glück lag auf der Tanzfläche, ein paar Stunden lang. Es war ein naives Glück, das man fühlt mit Anfang 20, und das man später nicht wiederholen kann, weil man eben nicht mehr Anfang 20 ist. Chris Liebing sieht das anders, er setzt alles daran, für immer Anfang 20 zu bleiben.

Kurz nach drei. Er ist von der Bühne abgetreten, begrüßt die Gäste in der VIP-Zone. Man grüßt sich, ein Küsschen hier, ein Handschlag da, für jeden hat er ein paar Worte. Vor einigen Wochen sind die Rolling Stones durch Deutschland getourt, die Rentner des Rock ’n’ Roll, die es einfach nicht lassen können, wegen des vielen Geldes, sicher, aber wohl auch wegen der Glücksmomente, von denen Chris Liebing spricht. Wie wird es wohl in 20, 30 Jahren sein, wenn DJs wie Sven Väth, Westbam oder Chris Liebing im Alter von Mick Jagger sein werden? Wenn Techno Falten bekommt? Loslassen werden wohl die wenigsten DJs – die Sucht nach den Glücksmomenten ist einfach zu groß.

Am nächsten Tag, fünf Uhr nachmittags, ich bin zurück in meiner Berliner Wohnung, bekomme ich eine SMS von ihm: „War schön mit dir. Vielleicht sehen wir uns bald wieder! Dein Chris – oder auch Christoph.“

Christoph Amend

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