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Kultur: Der Flugblattliedermacher

Begleitmusik für die Bundesrepublik: Walter Mossmanns gesammelte Werke erscheinen bei Trikont

Es war im Jahr 1966, da fragte „Twen“, die Kultzeitschrift jener Jahre: „Ist das endlich das neue deutsche Lied?“ Walter Mossmann – den Namen hatte noch niemand gehört. „Twen“ bewies gutes Gespür. Die Lieder dieses neuen Sängers wurden zur Begleitmusik für drei Jahrzehnte Bundesrepublik, und deshalb waren es in der Tat deutsche Lieder.

Seit 1996 singt Walter Mossmann nicht mehr. Kehlkopfkrebs. Aber verstummt ist er auch mit 62 Jahren keineswegs. Denn das Singen war ja immer nur einer der vielen Berufe des Walter Mossmann. „Ich wollte Bücher machen, Radio, Filme, Theater, selbstverständlich auch eine Oper und hin und wieder Lieder“, schrieb er in aller Unbescheidenheit über seine Pläne, damals in den Sechzigerjahren. Er hat sie alle wahrgemacht, sogar die Oper. Sie heißt „Heimat“ und hat mit der Revolution von 1848 zu tun; noch so ein deutsches Thema.

Dennoch, der Liedermacher, der Mann mit der Gitarre, das ist das Bild, das von Walter Mossmann haften geblieben ist. Unter den Hunderten von Liedern, die er geschrieben hat, sind besonders jene im Gedächtnis geblieben, mit denen er als stimmgewaltiger Widerständler gegen die Atomkraft durch die Lande zog, in die Hörsäle, zu den Bauzäunen, der AKW-Nein-Lautsprecher, der „Bote von Wyhl“, die Kunde vom siegreichen Protest am Oberrhein unter die Leute zu bringen.

Dieses Etikett hat nie wirklich gestimmt. Walter Mossmann, der Radikale, der Undogmatische und Unabhängige war nie das Sprachrohr von Umweltschützern oder gar eines grünen Protests. Das lässt sich nun aufs Schönste nachprüfen, denn bei Trikont ist die Summe seines Sängerlebens erschienen, 4 CDs mit einer Auswahl von 58 Liedern, 1963 das erste, 1983 das jüngste. „Best of Mossmann“ gewissermaßen.

Wer diese Lieder hört, hört Zeitdokumente. Hört die Enge der Sechzigerjahre und das Aufbegehren dagegen, das zur Eruption von ’68 führte. Hört von Berufsverboten, Deutschem Herbst, Platzbesetzungen, von der Filbinger-Affäre und manch anderem, was deutsche Aufregungen verursachte: dem Putsch gegen Allende, dem Chemieunglück in Seveso, den Exzessen der Franco-Diktatur. Ein musikalisches Geschichtsbuch linker Meilensteine, linker Mythen und mancher linken Hysterie. Ein Zeitdokument auch, weil die Sprache eine Sprache der Ferne ist, mit jenen linken Floskeln, die heute manchmal ein Erröten und öfter noch ein Lächeln hervorrufen.

Ebenso spannend wie das Flanieren durch die Jahrzehnte der alten Bundesrepublik sind die Entwicklungen der Liedformen. Die erste CD ist mit „Chansons“ überschrieben. Mossmann, Mitte 20, ergibt sich mit vollem Ernst dem Genre, fördert Tief- und Tiefstgründiges zutage, schwer verrätselt zuweilen, anspielungsreich, mit Zitaten jonglierend, bereitwillig literarische Hochbildung verratend. Aber da ist schon, was bleiben wird: seine Lust am Zorn, seine scharfe Zunge.

Nach 1969 ist Mossmann für einige Jahre still. Die Sangespause führt zu einem verblüffenden Stilwechsel. 1974 erscheint die nächste Platte, Walter Mossmanns Protestsongs heißen nun „Flugblattlieder“. Sie sind politische Agitation, nehmen Stellung zu aktuellen, tagesgebundenen Themen, sind präzise, aber plakativ, scharf, aber schwarzweiß und zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt. Sie suchen nicht mehr die tiefen Wahrheiten wie zuvor die Chansons, sondern eher die einfachen, dem Geist der Zeit verpflichteten.

Ein paar Jahre später ändert sich das wieder. Auf einmal spukt das eigene Ich in den Texten herum. Noch werden all die politischen Gewissheiten der letzten Jahre nicht wirklich in Frage gestellt, aber da sind Irritationen, erste Haarrisse in einem allzu schlichten Weltgebäude.

Das hat Konsequenzen. Aus den Rissen werden Brüche. Walter Mossmann sprengt die Formen. Die kurze reportagehafte Ballade genügt nicht mehr, die Wirklichkeiten und Wahrheiten sind dafür zu groß geworden, weil sie, um die Erfahrungen des Ichs bereichert, neue Dimensionen gewinnen, von Lebens-, Liebes- und Sinnkrisen erzählen. Die Lieder sind keine Lieder mehr, sie werden zu Text- und Toncollagen, die von nun an Mossmanns Markenzeichen sind. Eines dieser Stücke ist auf der vierten CD dokumentiert, das „Unruhige Requiem“, ein Totengesang auf den in Nicaragua ermordeten deutschen Arzt Tonio Pflaum. Es ist – in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Heiner Goebbels – ein hartes, peinigendes, 20-minütiges Dokument des Zorns und der Verzweiflung.

Vier CDs deutsche Geschichte: Man könnte jetzt auf den Gedanken kommen, dass ein Geschichts- oder Politiklehrer sie seinen Schülern vorspielte, sich in die Ecke setzte und dazu schwiege. Was wohl passieren würde? Aufregung? Widerspruch? Ratlosigkeit? Verständnis? Wut?

Aber welcher Lehrer tut schon sowas.

Walter Mossmann: 1. Chansons, 2. Flugblattlieder, 3. Balladen, 4. Cantastorie apokrüfen (Trikont)

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