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Kultur: Der Fragemensch

Der Gefährte von Karl Kraus: zum Tod des Berliner Musikwissenschaftlers Georg Knepler

Im Alter war er von bezaubernder Hässlichkeit, und er erinnerte an Voltaire. Georg Knepler war ein hagerer Mensch, mit schmalem Gesicht, spitzer Nase, geistsprühenden Augen, und voltairianisch war sein Wesen: aufklärerisch, spitz, polemisch und tolerant. Er sprach Englisch und Wienerisch, und wenn er auf Borniertheiten stieß, dann redete er am liebsten Tacheles.

Auch seine musikalischen Vorlieben waren wienerisch, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert, Johann Strauß. Dazu Jacques Offenbach. Für einen Musikwissenschaftler waren das merkwürdige Präferenzen: Sie begrenzen sich gewöhnlich auf ein Spezialgebiet. Georg Knepler aber war ein Universalist. Ihn interessierte, was Musik zur Sprache bringt, was sie uns sagt und warum wir sie benötigen, und so waren ihm alle Epochen gleich nahe. Im Alter von 96 Jahren ist der große Musikwissenschaftler am Dienstag in Berlin gestorben.

Knepler hat eine zweibändige „Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts“ (1961) hinterlassen, eine Abhandlung über die musikalischen Universalien „Geschichte als Weg zum Musikverständnis“ (1977), das Erinnerungsbuch und sein spätes Mozart-Buch „Wolfgang Amadé Mozart – Annäherungen“ (1991). Seine Bücher beweisen: Er war des Wortes mächtig wie kaum ein anderer Musikologe unserer Zeit. Das öde Universitätsdeutsch war ihm verhasst. Er betrachtete seine Gegenstände mit den Augen eines Künstlers. Er war in Wien, wo er 1906 geboren wurde, nicht nur ein Schüler Guido Adlers gewesen, sondern auch des Pianisten Eduard Steuermann und des Dirigenten Hans Gál. Er war Kapellmeister und Pianist, ehe er sich für die Theorie entschied.

Von 1929 bis 1931, begleitete er Karl Kraus auf seinen Offenbach-Lesungen, in denen er die großen Offenbach-Operetten quasi als Einmann-Theater vortrug, in vollständiger Länge und mit hinzugedichteten scharfzüngigen „Zeitstrophen“. Knepler hat darüber später sein schönstes Buch „Karl Kraus liest Offenbach“ (1984) geschrieben.

Die Hitler-Jahre trugen ihm, dem Wiener Juden, das Exil in London ein. Erst 1949 kehrte er nach Berlin zurück und wurde, überzeugter Sozialist, der er war, Gründungsrektor der Ost-Berliner Deutschen Hochschule für Musik, die seit den 60er Jahren den Namen Hanns Eislers trägt. Er machte sie in den zehn Jahren seines Rektorats zu einem international beachteten Institut, überwarf sich allerdings auch, damals im dogmatischen Musikbild der 50er Jahre befangen, mit Bertolt Brecht und Eisler, und er polemisierte gegen Arnold Schönberg und die serielle Musik.

Dafür hat er sich früh und öffentlich entschuldigt. Aber er vermochte seine Irrtümer ins Produktive zu wenden. Die oben genannten Bücher sind die gründlich und sauer erarbeiteten Korrekturen jenes einseitigen Musikbildes, dem er einige Jahre anhing.

Nachdem er emeritiert war, übernahm er bis 1970 die Leitung des Musikwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität und machte sich durch seine unbequemen Fragen allmählich so unbeliebt, dass er nach seinem Ausscheiden in seinem eigenen Institut Hausverbot bekam. Das traf vor allem diejenigen, die es vom Zaun brachen. Georg Knepler war ein „Fragemensch“, wie es der Dirigent und Musikwissenschaftler Peter Gülke einmal formulierte. Traurig, dass er seine Fragen jetzt nicht mehr stellen kann.

Gerhard Müller

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