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Kultur: Der Führer in Fetzen - uraufgeführt an der Berliner Volksbühne

Wir könnten jetzt von Utopien sprechen. Und vom Scheitern: Denn ou-topos war schon bei den alten Griechen das, was nicht ist, das, was keinen Ort kennt.

Wir könnten jetzt von Utopien sprechen. Und vom Scheitern: Denn ou-topos war schon bei den alten Griechen das, was nicht ist, das, was keinen Ort kennt. Christus zum Beispiel verkündete und verkörperte eine Utopie. Aber auch Mao, Hitler, Fidel Castro, der Papst persönlich, Lenin, Stalin und Donald Duck taten es. Jeder (o Patriarchat!) auf seine Weise und aus mehr oder weniger menschenverbessernden Gründen. Eine ebenso schreckliche wie lächerliche Ahnengalerie. Am langen Bühnenseil schwingt Don Quixote, Hans Kresniks jüngster Antiheld, an ihr vorüber. Wie ein Affe im Urwald. Wie ein Pendel, das ins Leere schlägt.

Säuberlich auf rote Leinwände gespannt, hängen die genannten Konterfeis aus dem Schnürboden. Als wäre die Volksbühne ihr eigenes Museum oder ein Depot für den gehobenen politischen Unterricht. Und wenn das Hitlerbild, auf dessen Rückseite, hi hi, eine große schwarze Birne gemalt ist, an diesem Abend auch herunterfällt, damit Don Quixote (Krzysztof Raczkowski), seinerseits nun in Hitler-Maske, einen schnaufenden Pas de deux mit diesem stemmt: Das Gefühl von déja vu will partout nicht weichen. Gewiss, bald darauf hängt der Führer buchstäblich in Fetzen und drängt sich das Volk mit winzigen Trippelschrittchen im nunmehr leeren Bilderrahmen. Die Kraft zur Metapher aber war bei Kresnik zweifellos schon stärker, suggestiver, subversiver. Plötzlich ordnet nur mehr das Hirn, was wie glühende Messer hätte in alle Eingeweide fahren sollen: Dass der berühmte Schoß noch fruchtbar ist; und dass jederzeit ein neuer alter Rattenfänger vom Himmel fallen könnte. Soviel zur Utopie, ach ja, in unserer utopielosen Zeit.

Wir könnten aber auch vom Tanz sprechen, von jenem "choreografischen Theater", welches Johann Kresnik für sich erfunden hat und das in seiner Ritualisierung und seinem Willen zur Brutalität irgendwie schon immer etwasvom Stierkampf hatte. Wer schön sein will, muss leiden, nein, ärger noch: Wer die beste, kräftigste Kunst machen will, der muss daran zugrunde gehen? Deshalb also Spanien, deshalb der alte Cervantes, deshalb jetzt Don Quixote de la Mancha?

Oder hat Kresnik, der "letzte Mohikaner", in jenem Ritter von der traurigen Gestalt, der auszog, gegen Windmühlen zu kämpfen und im Wahn zu enden, bloß ein neues treffliches Alter ego gefunden? Am allerliebsten, so der Künstler im Programmheft (das nur bedingt lesbar ist, weil nämlich ein dicker, bedeutungsschwerer, sozialistischer Stern aus der Mitte der Textseiten herausgestanzt wurde), würde er seine Arbeiten als "rostig" bezeichnen. Auch dies ein wahrhaft ambivalentes, gefährliches Wort.

An besagter Müdigkeit - die freilich eine Kresniksche Müdigkeit ist, indem sie so lange mit Bildern gegen Bilder Sturm läuft, bis alle Energie verpufft und die ganze Volksbühne, ja halb Berlin in einem schwarzen Loch versinkt - ändern auch die wacker drastischen Mittel wenig (Ausstattung HansJoachim Schlieker): Ob die Damen des Ensembles nun allesamt feingerippte Unterhosen tragen, an denen sich farbecht abzeichnet, wie freizügig sie ihrer Notdurft gehorchen, ob der getreue Sancho Pansa alias Osvaldo Ventriglia sich mit einem erigierten Riesenpenis bewaffnet, um seinen wimmernden Herrn gegen Ende in Windeln zu legen, ob Blut fließt oder Schokolade, ob mit Gurken Unzucht getrieben wird oder mit der Kirche, ob die erste Reihe im Saal als Abfallgrube dient, in welche schubkarrenweise die Requisiten entsorgt werden (Bügelbretter, Telefonbücher, Säuglingspuppen, Farbtöpfe) - anarchisch, anarchistisch ist dies alles nicht. Kresnik, so scheint es, hat es sich hinter der Maske des bürgerschrecklichen Buhmans verdammt bequem gemacht. Die Revolution ist tot, das politische Theater lebe hoch - was also schert ihn die Welt, wie sie sich wandelt und wähnt?

Gleichwohl kennt die Aufführung auch lichte Momente. Wenn Karin Neuhäuser, die "Haushälterin", in ihrer Kittelschürze Marx vorliest, dann tut sie dies mit herrlicher Schnoddrigkeit und einem bodenständigen Staunen in der Stimme. Wenn Serge Weber Musiken mixt, als existierten zwischen Bach, der Internationalen, Rock, Pop ("Alles, was uns fehlt, ist die Solidarität"), Orgel- wie Sphärenklängen keinerlei Berührungsängste, dann macht das durchaus Laune - gerade in den krachenden Übergängen, den bösen Brüchen aus Geräuschen. Am Ende versinkt die Welt in Düsternis, drehen die beiden tumben Ritter samt Simona Furlanis schmerzlich liebreizender Dulcinea zu Wagners "Walhall"-Motiv (!) zwei wilde Runden auf dem Motorrad. Ein Bild wie aus den Tagen der Revolution, nein: ein Bild wie aus "Les Misérables". Und ganz leise, während Rosinantes hölzerne Gedärme sich über der Szene erleichtern, hören wir Kresnik über Kresnik lachen, wie er beharrlich an seinem rostroten Socken strickt.

Christine Lemke-Matwey

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