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Kultur: Der geheime Garten

Fast niemand hat bisher seine Sammlung gesehen. Ein Besuch bei Friedrich Christian Flick in Zürich

Wenn er aus dem Fenster blickt, sieht er direkt auf den Schiffbau, in dem seit dem Jahr 2000 der Regisseur Christoph Marthaler und sein Team wirken. Eine Nachbarschaft, aus der eine entschiedene Feindschaft wurde: Als Friedrich Christian Flick vor zwei Jahren den Plan bekanntgab, seine umfangreiche Kunstsammlung in einem Privatmuseum in unmittelbarer Nähe des Theaters der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, protestierten Marthaler & Co.: Die Sammlung sei erworben mit Mitteln, die aus der Ausbeutung von Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg stammten, Flick weigere sich samt seiner ganzen Familie, in die Zwangsarbeiterfonds der deutschen Wirtschaft einzuzahlen, kurz: Man wolle diesen Nachbarn nicht.

Die Nachbarschaft ist geblieben, die Kontroverse auch: Bis heute hat kein Gespräch zwischen dem Kunstsammler und seinen Kritikern stattgefunden. Das einzige, was Marthaler erreicht hat, ist, dass die Kunstsammlung für Zürich verloren ging. Statt als Privatmuseum die zeitgenössische Kunstszene rund um Kunsthaus, Daros Collection und Migros Museum zu bereichern, wird nun Berlin von Flicks Reichtum profitieren. Mindestens sieben Jahre lang werden die rund 2000 Werke der Sammlung in der Rieck-Halle am Hamburger Bahnhof zu sehen sein. Was genau die Kollektion umfasst, wissen bislang nur Eingeweihte.

Ortstermin in Zürich: Ein Industrieareal zwischen Autobahnzubringer und Straßenbahndepot. Einst stellte hier Sulzer Maschinen her. Heute entwickelt sich „Zürich West“ entlang von Hard- und Limmatstraße zur Produktionsstätte für Kunst und Kultur. „Forschung und Entwicklung“ steht noch an der Tür des unauffälligen Industriebaus aus den sechziger Jahren: eine Inschrift, die Friedrich Christian Flick gern behalten hat, als er das Gebäude übernahm. Sein Büro, mittels Glaskasten eingestellt in die umgebaute Maschinenhalle, sieht der Kunstsammler als „Experimentierfeld“, als Ausstellungsraum und gleichzeitig als Lagerhalle. Thomas Schüttes große, silberne „Geister“-Skulpturen bewachen den Raum. Rund hundert Werke, einen Bruchteil der Sammlung, hat Flick in unmittelbarer Nähe seines Schreibtischs, der Rest lagert im Depot. Für Berlin wird er sich von vielem trennen müssen.

Überhaupt, der Schreibtisch: entwickelt vom Installationskünstler Jason Rhoades, nach Gerhard Richters Bild „Der kleine Akt“. Auf dem Bild ist ein schwarzer Slip zu sehen, der Flick wie Rhoades fasziniert. Nun hat der Schreibtisch die Form eines riesigen weißen Slips. Ein Scherz, den Flick ebenso goutiert wie den Titel eines Bildes von Albert Oehlen: „Als Gott den Rock erschuf, muss er geil gewesen sein.“ Mit Kunst ist es für den trotz weißer Haare jugendlich wirkenden Sammler wie mit einer Frau: eine Liebesbeziehung. Neben dem Schreibtisch eine Arbeit von Paul McCarthy, die Flick auf sich gemünzt sieht: ein unwegsamer Berg, darauf eine spielzeugkleine Figur. „Das ist Mick, wie er schwierige Wege geht“. Hinter dem Schreibtisch, als Weihnachtsgeschenk seines Galeristen Iwan Wirth, eine Arbeit des Schweizer Fotokünstlers Beat Streuli: die drei Kinder Flicks. In der Sitzecke schließlich Sofas von Franz West, darüber Martin Kippenbergers „Junger progressiver Arzt“: der Forscher, der im Dienste der Wissenschaft ein noch dampfendes Gehirn seziert.

Experimentiert hat Flick immer gern, auch bei der Kunst. Sehr leger, im schwarzem Rolli und grauem Sakko, lehnt er in der Sofa-Ecke, raucht eine Zigarette nach der anderen, Marlboro Lights, immer nur halb, hört aufmerksam zu, denkt nach. Eher scheu, zurückhaltend beantwortet er die Fragen. Das Sprühende, Schwärmende ist seine Sache nicht, eher die jungenhafte Freude am Spielzeug Kunst. Er macht kein Hehl daraus, dass seine Kunstbegeisterung mehr eine auf Umwegen fortschreitende Entwicklung als ein von Anfang an systematisch verfolgter Plan war. „Auch wenn es manchmal so aussieht, als ob ich hin- und herschwanke: Wenn man wie ich nicht von Anfang an geplant hat, ein Museum aufzubauen, ist es normal, seine Meinung auch einmal zu ändern.“

Flick kann umdenken und hinzulernen - und er kann das offen zugeben. Er ist ein Privatsammler ohne Hintergedanken: Die Kulturpolitik eines Peter Ludwig, die Marktberechnung eines Charles Saatchi sind seine Sache nicht. Er berät sich mit Galeristen, er pflegt die Freundschaft zu Sammlern wie Ingvild Goetz in München, Frieder Burda in Offenburg oder Heinz Berggruen, der in Gstaad sein Nachbar ist - aber sich mit ihnen abstimmen, das tut er nicht. Stolz ist er darauf, dass es ihm gelungen ist, seine weltberühmte Bruce-Nauman-Kollektion im Verborgenen aufzubauen. Und die Möglichkeit, mit Künstlern über ihre Werke zu sprechen, empfindet er fast demütig als Privileg: „Künstler sehen Dinge anders als wir. Es gibt Menschen, und es gibt Künstler, und die Künstler sind eben anders als die Menschen. Die haben andere Gehirnwendungen.“

Die Ehrfurcht ist ernst gemeint: Kunst war dem Spross einer Industriellenfamilie „nicht in die Wiege gelegt“. Das Elternhaus war eher preußisch-humanistisch orientiert, mit den Schwerpunkten Geschichte, Theater und Literatur. Die Jugend in Düsseldorf brachte erste Berührungen mit der Kunstszene, mit Joseph Beuys, der damals an der Kunstakademie lehrte, mit dem Kreis um Gerhard Richter, Sigmar Polke und Konrad Lueg, der sich später als Galerist Konrad Fischer nannte. Dann, in den 70ern, Flick verließ gerade das Familienunternehmen, kamen die erste Kunstkäufe, alte Meister. Irgendwann hat er das Interesse an der alten Kunst verloren: Die wirklich guten Stücke waren nicht mehr auf dem Markt, und überhaupt: „Als junger Mensch möchte man näher an den Problemen der Zeit sein. Man möchte Gegenwart atmen.“

Flick sammelt, wie er lebt: mit Leidenschaft, aus dem Bauch heraus, und mit Ausdauer und System. Er liest Kataloge und Werkverzeichnisse, klappert systematisch die Häuser ab: „Es ist wie mit einem Blind Date: Wenn man zehn Anfragen startet, bekommt man vielleicht acht Absagen. Aber in zwei Fällen wird etwas daraus.“ Konrad Fischer, Leo Castelli, Rudolf Zwirner und Iwan Wirth sind die prägenden Berater. Aus Interesse wird Leidenschaft, aus Leidenschaft Passion, fast Obsession. Schnell ist die erste Wohnung voll, dann das zweite Haus, die Sammlung wächst, wächst über den häuslichen Rahmen hinaus. Am Ende muss Flick jeden Tag ein Bild gekauft haben. Siebzig Prozent seiner Zeit verbringt er mit Kunst. Und irgendwann weiß er: „Das muss öffentlich zugänglich gemacht werden.“

Und mit der Öffentlichkeit kommt die öffentliche Kritik. Und der Vorwurf, die Kunst werde nur instrumentalisiert, um den Namen Flick auf eine neue, positive Ebene zu heben, wie er es einmal formulierte. Ein wunder Punkt. Flicks Stimme im Gespräch wird lauter, das Thema schmerzt ihn, immer noch: „Nicht ich habe die Kunst instrumentalisiert, um meine Familiengeschichte reinzuwaschen. Genau das Gegenteil ist der Fall: Erst zu dem Zeitpunkt, an dem ich, aus Verantwortung der Kunst und den Künstlern gegenüber, mitgeteilt habe, die Sammlung öffentlich zu machen, wurde die Kunst als Geisel genommen, um mich zu bestimmten Handlungen zu zwingen.“ Gern hätte er sich nur um Kunst gekümmert, nun muss er rechtfertigen, erklären, immer wieder. Hätte er, wie gefordert, in den Zwangsarbeiterfonds eingezahlt, wäre das Thema schnell erledigt gewesen. Doch Flick, Jahrgang 1944, möchte nicht für die Sünden seiner Großvätergeneration büßen. Er möchte auch nicht – wie der Tabakerbe Jan Philipp Reemtsma – die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte zu seinem Lebensinhalt machen. „Es gibt mich als Flick-Namensträger, aber auch als eigenständige Person. Und ich bringe mich, für einen Normalverbraucher, schon ziemlich viel ein.“ Schuld - nein. Verantwortung - ja.

Die Hauptverantwortung sieht er gegenüber den Künstlern, „seinen“ Künstlern. Künstler, die er vor Instrumentalisierung bewahren möchte, auch davor, in die Diskussion um die Flick-Stiftung verwickelt zu werden. Natürlich gab es Gespräche, natürlich gab es auch Künstler, die informiert werden wollten, die nachgefragt haben, doch: „Keiner hat seine Werke zurückgefordert und gesagt, er möchte nicht mehr in der Sammlung vertreten sein.“ Im Gegenteil: Die Auseinandersetzung mit der Kunst ist für Flick seine Art der Vergangenheitsbewältigung: „Ich habe immer schwierige, harte, kantige Kunst gesammelt. Diese Art von Kunst taugt weder als Investment noch als Alibi.“

Dann schweifen die Gedanken noch einmal zu Martin Kippenberger. Ein Bild, es zeigt einen riesigen, warnend gereckten roten Zeigefinger, heißt „No go home“. Es zeigt, so interpretiert Flick, „den Zwiespalt zwischen den Wurzeln, dem Heim, das etwas Wärmendes, Beruhigendes hat, und dem Nomadentum, das Kippenberger bewusst gepflegt hat und aus dem er seine Kreativität zog.“ So ein Bild, sagt Flick, rege ihn zum Nachdenken an: „Weil ich es auch auf mich beziehen kann.“

Christina Tilmann

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