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Kultur: Der Geschmack des Terrors oder: Es war einmal in Argentinien

FILM

Maria sieht nichts. Sie hört nur quietschende Türen, das monotone Klackern eines Tischtennisballs, das fröhliche Geplärr eines Radios – die Geräuschkulisse des Foltergefängnisses. Wenn die Schreie zu laut werden, dreht die argentinische Militärpolizei die Musik auf. Und wenn der Ball nicht mehr klackert, sind die Wärter fertig mit ihrem perfiden Pausenspaß. Dann nähern sich Schritte. Dann wird Maria von hinten die Augenbinde weggerissen und sie blinzelt ins kalte Neonlicht des Kellergewölbes.

Marco Bechis Film „Junta“ über die Zeit der argentinischen Militärdiktatur nimmt gefangen in der beklemmenden Atmosphäre des Terrors. Die eigentliche Folter ist kaum zu sehen; das Grauen entsteht in den Köpfen. In einem der „Operationssäle“ trifft Maria auf Felix, einen netten jungen Mann mit leiser Stimme. Er lächelt sie an, denn er ist verliebt. Sie kennen sich von draußen, da hat sie ihn abblitzen lassen. Hier unten sieht die Sache anders aus: Hier gehört er zu den Mächtigen. Felix beginnt, Maria zu umgarnen – und versucht gleichzeitig mit allen Mitteln, sie zum Reden zu bringen.

Immer wieder treibt es Felix zur Pflichterfüllung: Richtwerte einhalten, Ergebnisse abliefern, Formulare ausfüllen, foltern. Und Maria? Sie kann kaum anders als dankbar zu sein für jede kleine, abscheuliche Nettigkeit. Stolz ist Luxus, wenn es ums Überleben geht. Ist Felix besser als seine Kollegen? Nein, aber es ist gut, dass es ihn gibt.

Neben der Unterwelt existiert die Tageswelt – nur ist der Terror hier genauso gegenwärtig. Marias Mutter rennt auf der Suche nach ihrer Tochter gegen eine Wand von Angst, Gleichgültigkeit und Verrat an. Über ihr leuchten Hubschrauber die Stadt ab, auf der Suche nach Widerständlern. Argentiniens Junta ist seit 20 Jahren Vergangenheit. Aber Zehntausende sind bis heute verschwunden, viele Täter sind amnestiert.

Marco Bechis wehrt sich mit seinem Film gegen dieses Vergessen. Er wurde selbst zehn Tage lang in einem der geheimen Folterlager gefangen gehalten; wohl deshalb bleibt sein Film nahe an der Realität, nüchtern, kühl, fast dokumentarisch (OmU, in Berlin in den Kinos Eiszeit, Hackesche Höfe, Filmbühne am Steinplatz).

Der Horror entspringt der Normalität, Carlos Echeverría als Felix ist kein Monster: Das nimmt ihm alles Fiktive, alles Unwahrscheinliche. Und Antonella Costa in der Rolle der Maria stilisiert der Regisseur nicht zur tragischen Heldin. Sie ist einfach nur sehr machtlos, wie alle hier unten.

Stefan Maetz

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