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Kultur: Der Glamour des Bösen

Im Land der Fetten und Feisten: zwei Ausstellungen feiern den US-Fotografen David LaChapelle

Es gibt zwei Arten, dem Wahnsinn der Wirklichkeit ins Auge zu blicken: fassungslos oder fasziniert. David LaChapelle hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Die Welt, die er in seinen Fotos zeigt, ist ein von Freaks und Prominenten bevölkertes Irrenhaus, ein bonbonbunter Garten der Lüste, in dem sich gleichzeitig Paradies und Hölle erfüllen. Ein Model saugt per aufgeklebtem Strohhalm Milch aus der eigenen Brust. Drei muskulöse Männer strecken in einer Art Darkroom-Knast dem Betrachter den entblößten Hintern entgegen. Eine Braut, wie ein Püppchen in Cellophan verpackt, hängt an einer Garderobenstange. Elton John tanzt, umgeben von Porzellan-Leoparden, auf einem gefleckten Klavier. Eminem hat sich ausgezogen, zwischen seinen Beinen hält er eine Dynamitstange mit brennender Zündschnur.

David LaChapelle ist ein Meister in der Kunst der Zuspitzung. In seinen sorgsam ausgeklügelten Inszenierungen treibt der New Yorker Fotograf die Absurditäten des westlichen Waren- und Schönheitsfetischismus so sehr ins Extrem, dass darin wie in einem Zerrspiegel die böse Fratze der Realität erkennbar wird. Man könnte ihn für einen Satiriker halten, einen Hogarth des 21. Jahrhunderts, der mit seinen Übertreibungen den American Way of Life geißeln will. Da treiben es Pornodarsteller, Hochleistungsartisten mit geölten Körpern und aufgepumpten Brüsten, bei hellichtem Tage vor Fastfood-Restaurants oder an Highway-Auffahrten miteinander. Eine alternde Bodybuilderin mit rostbraunem Teint posiert in einem geschmacklos eingerichtetem Schlafzimmer. Ein langbeiniges Mädchen wird von einem gigantischem Hamburger erschlagen. Das Land der Freien und Gleichen als Reich der Fetten und Feisten.

Wahrscheinlich ist das ein zu europäischer Blick auf diese überbordenden, eigenwillig zwischen Kitsch und Kunst oszillierenden Menschen-Arrangements und Konsum-Stillleben. Zum Gesellschaftskritiker fehlt LaChapelle der erhobene Zeigefinger, er verfolgt eine gut gelaunte Pop-Strategie der totalen Affirmation. Andy Warhols kategorischer Imperativ „All it Pretty“, alles ist schön, könnte auch sein Credo sein. Im Paralleluniversum des Fotografen hat die welke Haut seiner übergewichtigen Makeup-Artistin Sharon Gault, die er unter einer Glasglocke auf eine Wiese legt, genauso ihre ästhetische Berechtigung wie die Superstar-Brust der Schauspielerin Drews Barrymore, die er mit rot geschminkter Warze neben Desserttellern mit halben Pampelmusen und Kirschen ablichtet. „Wenn ich mich entschließe, jemanden zu fotografieren, sehe ich ihn als Star. Ich behandle jeden mit der gleichen Aufmerksamkeit“, sagt LaChapelle, der von der „New York Times“ als „Fellini der Fotografie“ gefeiert und vom „American Photo Magazine“ zu einem der zehn wichtigsten lebenden Fotografen ernannt wurde.

Seinen ersten festen Job bekam David LaChapelle, 1969 in North Carolina geboren, von Andy Warhol, der den 18-Jährigen für sein Magazin „Interview“ engagierte. Zuvor hatte er im legendären Studio 54 und angeblich auch als Stricher gejobbt, in den neunziger Jahren eroberte er mit seinen neobarock überkandidelten Bildwelten die Fotostrecken und Titelseiten von Zeitschriften wie „Vogue“, „Vanity Fair“, „Rolling Stone“ und „i-D“. Nun kommt seine Kunst im Museum an. Die Helmut Newton Foundation präsentiert 44 großformatige Werke von LaChapelle aus den letzten zehn Jahren, die unter dem Titel „Men, War & Peace“ mit Reportagen des Kriegsfotografen James Nachtwerk konfrontiert werden. Gleichzeitig sind in der Kreuzberger Galerie Jablonka 28 Fotos aus dem gerade erschienenen Bildband „Heaven to Hell“ (Taschen Verlag, 344 S., 49,99 Euro) zu sehen. In Auflagen von drei oder sieben Exemplaren abgezogen, kosten die Bilder zwischen 20 000 und 30 000 Euro.

LaChapelle ist ein begnadeter Eklektiker, in der Kunst- und Filmgeschichte bedient er sich genauso hemmungslos wie in der Trash- und Campkultur. Er stellt mit seinen Models akribisch Szenen aus Filmen wie „Taxi Driver“ oder „Der Pate“ nach, lässt in der Serie „Jesus it My Homeboy“ den wiederauferstandenen Heiland durchs heutige New York wandeln und inszeniert Dildo-Orgien in Tattoo-Studios oder Dampfsaunen. Celebrities wie Courtney Love, Sarah Jessica Parker oder Angelina Jolie treibt er zur totalen Selbstentblößung. Nur Liz Taylor darf so bleiben, wie sie ist, und einfach mit Schoßhund, Turban und pinkfarbenem Morgengewand auf einem Sofa sitzen. Sie ist schon im Originalzustand bizarr genug.

„Wer Realität will, soll den Bus nehmen“, hat LaChapelle in einem Interview gesagt. „Das blödeste Bild, das es gibt, ist ein schönes Mädchen an einem schönen Strand, in einem schönen Badeanzug, schön ausgeleuchtet.“ Das bestmögliche Bild zeigt demnach ein hässlichen Mädchen, das in Wirklichkeit ein Mann ist – den Transvestiten Amanda Lepore – mit aufgespritzten Lippen beim Durchprobieren von Posen aus Warhols Starportraits. LaChapelles Fotos verströmen einen Glamour, der auch vor dem Grauen nicht halt macht. Die Welt mag untergehen, aber sie wird dabei gut aussehen. In der apokalyptischen Vision „When the World is through“ birgt eine madonnenhafte Frau ein Baby aus einer zerborstenen Siedlung. Sie strahlt vor Schönheit.

Helmut Newton Foundation, Jebenstr. 2, bis 20. Mai; Di–So 10 bis 18, Do bis 22 Uhr. Jablonka Galerie, Kochstr. 60, bis 3. Februar, Di–Sa 11 bis 18 Uhr.

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