zum Hauptinhalt

Kultur: Der Glaube würfelt nicht

Bernhard Schulz über Gregor Schneiders Hamburger Kaaba

Die Kaaba ist das geheimnisvollste Bauwerk der Welt. Bauwerk? Man möchte sich nicht den Zorn muslimischer Menschen zuziehen, indem man den schwarz verhüllten Stein, alljährlich Ziel millionenfacher Pilgerfahrten, einfach als „Bauwerk“ bezeichnet – wer aus der westlichen Welt hätte ihn schon sehen, geschweige denn berühren können? Mekka ist schließlich eine heilige Stadt, verboten für Auswärtige.

Es handele sich ganz prosaisch um ein „Heiligtum, gemauert aus Steinen“, erklärte der niederrheinische Künstler Gregor Schneider gestern in der „Welt“. Der Mann muss sich auskennen, unternimmt er doch, nach Venedig und Berlin, den dritten Anlauf, die Kaaba als Kunstform nachzubilden. Der Biennale von Venedig, wo er seine temporäre Kaaba medienwirksam auf dem Markusplatz errichten wollte, schien das Vorhaben zu brisant, obgleich Venedig stets eine Schnittstelle zwischen Okzident und Orient war. In der Lagunenstadt hatte der mittlerweile 37-jährige Schneider auch seinen bislang größten Erfolg gefeiert, als er die Besucher des deutschen Pavillons 2001 in sein labyrinthisch-klaustrophobisches Haus „ur“ schickte, stundenlanges Warten vorausgesetzt.

Das bleibt den Besichtigern der Hamburger Kaaba auf der ungemütlichen Freifläche zwischen Alter und Neuer Kunsthallech erspart. Ob sie aber mehr von dem begreifen, was Schneider über Räume raunt – als ob die Kaaba ein „Raum“ wäre und nicht vielmehr ein Objekt –, wird sich zeigen. Und ob man dieses Objekt tatsächlich begreifen kann „als universelle Form, die frei ist für alle Interpretationen“, ist doch die Frage. Wenn Schneider hinzufügt, „der Bogen der Bezüge“ sei „weit gespannt – von Malewitsch über Christo bis zur Dönerbude um die Ecke“, kann einem vor so viel westlich-libertärer Interpretationsfreiheit nur bange werden. Malewitsch, dem Hamburg in Kürze eine Ausstellung widmet, hatte ein präziseres Geschichtsbewusstsein. Er setzte seine Bilder wie das berühmte „Schwarze Quadrat“, die er sehr wohl als Ikonen verstand, bewusst in die „schöne“ Ecke, die in russischen Bauernhäusern für Heiligenbilder reserviert war.

Nicht alles ist beliebig. Es gehört zum Konflikt der Kulturen, dass es über die Würdeform von Kunst oder als heilig erachteten Gegenständen höchst unterschiedliche Ansichten gibt. Dass dieser Respekt im Abendland verschwunden ist, mögen wir als Frucht der Aufklärung feiern. Den Weltmaßstab haben wir damit aber nicht gepachtet. Weltweit gibt es weit mehr als eine Milliarde Menschen, für die dieses Objekt ein höchst singuläres Rätsel bleibt, das allein der Glaube erkennen kann.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false