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Kultur: Der Glücksspieler

Er spielte Schurken – und war doch der schönste Hollywood-Star. Zum Tode von Gregory Peck

Von Andreas Conrad

und Peter W. Jansen

Das Geheimnis seines Erfolges? Die Antwort hat Gregory Peck selbst gegeben, auf seiner Berlinale-Pressekonferenz 1993: „Früher bekamen die Schauspieler häufig die gleichen Rollen und wurden dadurch für die Zuschauer so etwas wie alte Freunde.“ Richtig, nur einem Freund wird solch ein herzlicher, begeisterter Beifall zuteil, wie damals im Zoo-Palast, als zur Verleihung des Ehrenbären sein vielleicht bester Film „To Kill a Mockingbird" von 1962 gezeigt wurde.

Andererseits, man konnte diese Selbstcharakterisierung auch hintersinnig anders verstehen: Denn Freund Peck hatte es zeitlebens vermieden, sich auf einen Rollentypus festzulegen, ja, er wählte bewusst das Versteckspiel mit immer anderen Helden- und Nichtheldentypen. „Die Leute wissen genau, wer Jimmy Stewart oder wer John Wayne ist, und sie wissen, wer Bogart war“, sagte er einmal, vor fast 30 Jahren. „Aber für mich haben sie keine Schublade. Irgendetwas in mir sträubt sich gegen diese Typisierung.“

In Berlin genoss er die feierliche Herausgehobenheit, die mit seinem Namen verbunden war. Auch Billy Wilder war zugegen und der Schauspieler Brock Peters, damals Mitglied der Jury, mit dem Peck seit den Dreharbeiten befreundet war. Peters hatte den Schwarzen gespielt, den Peck als Anwalt Atticus Finch vergeblich vor der Lynchjustiz zu bewahren suchte.

Versteckspiel hin oder her: Peck machte es seinen Zuschauern leicht, ihn zu mögen. So viel Bescheidenheit ohne jede Koketterie ist selten. „Ich bin Schauspieler und hatte das Glück, daraus einen Beruf zu machen“ – derart schlicht beschrieb er sich in Berlin. Und Skandale gab es bei ihm, dem laut Hitchcock „anekdotenlosesten Menschen von Hollywood“, auch nicht. „Ich könnte zwar viel erzählen, tue es aber nicht. Diskretion, Diskretion und nochmals Diskretion." Er war gewiss ein Star, aber er war auch gut erzogen. Gregory Peck hat immer damit leben müssen, der netteste Junge von nebenan zu sein.

Überhaupt, Hitchcock. Der Meister, der schöne Männer sowieso nicht leiden konnte, soll ihm einmal zwecks Regieanweisung gesagt haben, er brauche sein Gesicht nur möglichst ausdruckslos hinzuhalten, die Kamera werde es dann schon richten. Ja, anekdotenlos, freundlich, integer, nobel, diszipliniert zu sein – das waren die unverwechselbaren Markenzeichen dieses Gentleman unter den Stars, noch gentelman-liker als William Holden oder Rock Hudson. Wenn man Texte über ihn liest, die Würdigungen etwa zu seinen Geburtstagen, dann kann man eine Strichliste anlegen für folgende Attribute: aufrichtig, solide, wacker, elegant, bescheiden, gewissenhaft, anständig, fleißig.

So haben ihn seine Kritiker verleumdet, so hat ihn sein Publikum geliebt, seitdem er 1944 in „Days of Glory“ in Hollywood angefangen hatte. Dabei stimmten die ersten Filme des am 5. April 1916 geborenen Apothekerssohns und anfänglichen Broadway-Schauspielers mit seinem Image überhaupt nicht überein. In Hitchcocks „Spellbound“ (Ich kämpfe um dich) spielte er einen kranken Arzt, der von Ingrid Bergman gerettet werden musste, und in King Vidors „Duell in der Sonne“ einen wüsten Gangster, einen Schurken, der in einer zensierten Szene sogar Jennifer Jones vergewaltigt...

Gleichzeitig trat er in dem Clarence- Brown-Film „Die Wildnis ruft“ neben Jane Wyman, die nun wahrlich eine Garantie für den Segen der bürgerlichen Häuslichkeit war, als archetypischer Vater auf; und in „Tabu der Gerechten“ von Elia Kazan als engagierter Reporter, der antisemitische Tendenzen in den USA anprangert; in „Nevada“ von William A. Wellman als aufrechter Bandit. Es waren diese Filme, die Pecks späteres Image prägten, bis hin zu „Ein Herz und eine Krone“, (1954) wo er die zum Weinen dünne und zerbrechliche Traumprinzessin Audrey Hepburn an seinen breiten Schultern in Schlaf sinken ließ. Man sieht ihm, dem amerikanischen Reporter an, dass sie nirgendwo anders besser aufgehoben sein konnte.

Dabei zeigte er gerade in diesem Melodram, dass er auch misstrauisch und skeptisch sein konnte. Dass er nicht alles glaubte, sondern immer noch eine Frage hatte. Man muss nur auf seine Augen achten und auf die Stirnfalten, um zu wissen, dass dieser Mann voller Widersprüche war, die auszuleben er sich nicht erlaubte. Die er nur aus Versehen zu erkennen gab, weil sie zu seinen 190 Zentimetern Aufrichtigkeit und zu den weichen, ebenmäßigen Zügen nicht passten. Denn er mochte ja gelegentlich hart und (fast) brutal sein, rücksichtslos aus Pflicht oder besessen von einer Idee wie Captain Ahab in „Moby Dick“ unter der Regie von John Huston – zwielichtig aber war er nie.

Er war nie ambivalent wie Humphrey Bogart, nie melancholisch wie Montgomery Clift oder James Dean, nie so verletzt und zergrübelt wie Marlon Brando. Dass er der Schönste war in Hollywood, hatte ihm manche eher biedere Träume und mehr Sympathie eingetragen als heutzutage Richard Gere – ihn aber auch weniger begehrenswert gemacht.

Trotzdem: Seit Mitte der Vierzigerjahre und bis hoch in die Sechziger hinein, und dann noch einmal 1976 („Das Omen“) hatte es im US-Kino keine ähnliche sure number gegeben. Mit Gregory Peck konnte und wollte man sich identifizieren, bei ihm sich anlehnen. Wenn er sich bereits in Hitchcocks „Fall Paradine“ (1948) rettungslos in seine Mandantin, eine Mörderin, verliebt, ist er schon deshalb entschuldigt, weil Mrs. Paradine keine andere als Alida Valli ist. Wer hätte ihr schon widerstehen mögen?

In die Geschichte des Kinos wie der Moden, des Lebensgefühls und des kollektiven Bewusstseins aber wird Gregory Peck aus La Jolla, California, eingehen vor allem als die Figur, die seiner privaten Lebenshaltung wohl am nächsten gekommen ist. Einer, der schön war wie er und seine Schönheit am liebsten versteckt hätte, konnte nur wünschen, Tom Rath zu sein, der Mann, der gerade noch erkennt, dass er sein Glück nicht in den Sensationen des Lebens findet, sondern als „Der Mann im grauen Flanell“ (1956). Das war Gregory Peck at his best: die Menge überragend und doch einer unter vielen, der Durchschnittsbürger als Ideal seiner Gesellschaft. So hat man ihn geliebt. In der Nacht zum Donnerstag ist der Glücksschauspieler Gregory Peck im Alter von 87 Jahren gestorben.

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