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Kultur: Der Grauenversteher

FORUM Mitternachtsfilme von Nobuo Nakagawa

Wer lässt sich schon gerne von kleinen Mädchen erschrecken? In Japan sind es nicht wenige. Die Schockinfusion, die dem Horrorgenre Ende der neunziger Jahre durch den so genannten „J-Horror“ mit seinen blassen, weiblichen Spukgestalten und ihren tropfnassen Haaren verabreicht wurde, Wurzelt in den folkloristischen „shinrei-mono“ (Geistergeschichten). Wenn man die jungen Regisseure nach ihren Einflüssen fragt, nennen sie aber fast immer einen Film: „Ghost Story of Yotsuya“ (1959) von Nobuo Nakagawa, wichtigster Genre-Regisseur der goldenen Ära des japanischen Films und Klassiker des fernöstlichen Kinospuks.

Nobuo Nakagawa, 1905 in Kyoto geboren, begann als Komödienregisseur, ging als Dokumentarist nach Schanghai und heuerte nach seiner Rückkehr 1946 bei den Shintoho Studios an, wo er jedes Jahr vier bis sechs Filme fertig stellte. Als er 1984 starb, hatte er 97 Filme gedreht, die oft unter Zeitdruck und mit niedrigen Budget entstanden. Dennoch trägt sein Werk eine Handschrift, erkennbar gerade in den formalisierten „shinrei-mono eiga“, einer für westliche Augen ungewöhnlichen Form historischer Geisterfilme.

Nagakawas „Ghost Story of Yotsua“, die Geschichte eines Samurais, der seine Frau tötet und anschließend von deren Geist heimgesucht wird, bringt das Genre in minimalistischer Inszenierung auf die Höhe seiner Möglichkeiten. Erst spät, dann aber mit Nachdruck entlädt sich die Gewalt. Bevor die Frau an eine Tür genagelt und im Sumpf versenkt wird, entstellt Gift ihr Gesicht. Am Höhepunkt ihrer Verwandlung zieht sie sich mit einem Kamm die Haut von der Schläfe ab – Nakagawas böse Verdrehung eines erotischen Versatzstücks aus dem Kabuki.

Diese drastische Darstellung körperlichen Versehrens war 1959 unbekannt. Nakagawa ist wohl der erste Regisseur überhaupt, der Blut reichlich einsetzte, nicht nur als Schockwert, sondern als Mittel zur Bildgestaltung – in seinen Horror-, aber auch in Samurai-Filmen wie „Okatsu the Avenger“ (1969), der einen Eindruck davon gibt, wo Tarantino sich für „Kill Bill“ inspirieren ließ.

Nakagawa ging oft über die Beschränkungen des Genrefilms hinaus – vor allem in der sorgfältigen Charakterisierung seiner Figuren. Hinter dem Konfektionisten verbirgt sich ein humanistischer Filmemacher, der noch in standardisierter Kinoware das Ausgeliefertsein seiner Figuren zur Darstellung bringen wollte. In „Lynch“ (1949) führt er Film Noir, Familiendrama und Yakuza-Intrige zu einer ausgefallenen Mischung zusammen.

„A Wicked Woman“ (1958) erzählt das Drama einer Mutter, die zur Mörderin wird. „Kaachan“ (1961) ist das neorealistische Porträt einer Familie, die sich im bitterarmen Tokio der Nachkriegszeit weigert, Hoffnung und Frohsinn aufzugeben.

Nakagawas Thema ist die buddhistische Vorstellung vom Karma, das in seinen Filmen eine eigenwillige, fast fatalistische Färbung annimmt und in der wiederkehrenden Verwendung von Radmotiven seine symbolische Entsprechung findet. „Jigoku“ (1960), Nakagawas Opus Magnum, bildet die buddhistische Hölle gleich selbst ab. Ein entrümpeltes Inferno, fast ohne Dekor und Requisiten; ein schwarzes Nichts unter halluzinativer Primärfarbenbestrahlung. In einer halbstündigen Collage der Qual werden die Verdammten aufgespießt, gehäutet, gekocht und zersägt, während die Hauptfigur Shiro umherirrt auf der Suche nach der Seele seines toten Kindes. Ein bizarres, psychedelisches morality play – überaus seltsam, unbedingt sehenswert.

Täglich 24 Uhr (Cinestar 8), Wiederholung am nächsten Tag 14 Uhr (Delphi)

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