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Kultur: Der griechische Traum

Olympia-Tagebuch (4) Von Petros Markaris

Athen leidet am Smog. Das wissen wir alle. Ich messe den Luftschmutz mit dem Blick auf die Akropolis. Ist die Akropolis von meiner Wohnung aus klar zu sehen, dann haben wir keinen Smog. Verschwindet die Akropolis hinter dem Dunst, dann muss ich die Fenster schließen und die Klimaanlage anschalten.

Am Abend der Eröffnungsfeier dieser Olympischen Spiele glänzte die Akropolis in voller Pracht. Sie blieb nicht hinter dem Dunstschleier (und seit Jahren auch nicht mehr hinter Baugerüsten) verborgen. Also kein Smog? Das schon. Aber er war umgezogen. Er schwebte über dem OlympiaStadion, wo die Eröffnungsfeier stattfand. Und er verbreitete keinen Luftschmutz, sondern: Doping-Schmutz.

Es war, Milliarden Menschen haben es am Fernseher erlebt, trotzdem eine schöne Eröffnungsfeier. Dimitris Papaioannou, der sie inszeniert hat, ist kein Star-Regisseur. Er hat seit achtzehn Jahren ein Tanztheater, arbeitet mit wenig Geld und ohne eigene Bühne. Sein Ensemble ist klein. Sein Publikum sonst auch.

Dimitris Papaioannou verfügte zum ersten Mal in seiner Laufbahn über Geld – über ein riesiges Budget. Und er machte aus der Show des Jahres alles andere als ein kitschiges Fernsehspektakel. Diese Eröffnungsfeier war ästhetisch geschmackvoll, teilweise auch provokativ, so der Einzug der Mannschaften zur heftigen Begleitmusik von DJ Tiesto.

Was alle mitbekommen haben, war die Wanderung durch die Olympischen Spiele, von der Antike bis in die Neuzeit. Was wenige mitbekommen haben, war der gleichzeitige Tribut an drei moderne griechische Künstler: an den Maler Jannis Tsarouhis, dessen Lieblingsthemen Schiffe, Jungen und Matrosen immer wieder zitiert wurden; an den Komponisten Manos Hadjidakis und den Theaterregisseur Karolos Koun. Ihre Zusammenarbeit brachte im Jahre 1959 die legendäre Aufführung der „Vögel“ von Aristophanes zustande, die dann durch die Welt zog. Nun wurde die Eröffnungsfeier vom Licht, von den Farben und von der Musik getragen – ähnlich wie einst die Aufführung der „Vögel“.

Unten Dimitris Papaioannou und die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, oben der Doping-Smog von Kostas Kenteris und Katerina Thanou. Papaioannou war bis zum Vorabend der Eröffnungsfeier fast unbekannt. Den beiden Sprintern dagegen wurde gehuldigt, weil sie den Traum des Durchschnittsgriechen verkörperten, der stets die Hoffnung hat, arm ins Bett zu gehen und über Nacht reich und weltberühmt zu werden. Die beiden waren das lebendige Beispiel dieses Traums. Sie waren über Nacht Weltmeister geworden.

Nicht von ungefähr haben wir einen Intercity namens „Kenteris“, eine Hochgeschwindigkeitsfähre namens „Kenteris“, sogar ein Flughafen (auf der Insel Chios) heißt „Kenteris“, und soeben hatten sie sogar eine Linie der neuen Athener Straßenbahn nach Kenteris benannt. Wie er es geschafft hat, wollte keiner wissen. Der Zweck heiligt die Mittel, solange man nicht ertappt wird. Was bleibt? Womöglich nur eine Straßenbahn, Endstation Sehnsucht.

Die Vorsitzende des griechischen Organisationskomitees, Janna Angelopoulou-Daskalaki, ist den Griechen mit ihren smarten Auftritten und ihrer Arroganz nicht besonders sympathisch. Sie hat aber unsere allgemeine Schwäche für die großen Namen überwunden und für die Eröffnungsfeier einen hochbegabten, aber bis dahin nur Eingeweihten bekannten Künstler geholt. Hierzu gehörte Mut, und nicht nur wir Griechen können ihr dankbar sein.

Petros Markaris lebt als Romancier, Dramatiker, Film– und Fernsehautor sowie Übersetzer von Goethe, Brecht und Bernhard in Athen. Seine Krimis mit dem knurrigen Kommissar Kostas Charitos (zuletzt: „Live!“) sind auch in Deutschland Bestseller. Für den Tagesspiegel schreibt Markaris dreimal wöchentlich sein Olympia-Tagebuch.

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