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Kultur: Der große Splash

Die Flut von London: Warum die Preise in astronomische Höhen steigen – und ein Ende nicht in Sicht ist

Gleich zwei Plätze ließ der Berliner Galerist Gerd Harry Lybke reservieren, direkt neben Edeljuwelier Lawrence Graff, der immer in der ersten Reihe sitzt und später einen Warhol für zwei Millionen Euro kauft.Die Galerie wollte wohl ein Auge darauf behalten, was in der Sotheby’s Contemporary-Auktion mit ihrem Starmaler Neo Rauch geschehen würde. Schließlich bringt das Gemälde „Losung“ laut Katalog „Unbehagen und Desillusion“ zum Ausdruck und ist mit drei Metern „vielleicht ein bisschen zu groß“, wie Spezialistin Cheyenne Westphal vor der Auktion vermutete. Trotzdem schätzte sie das Bild auf 350 000 bis 450 000 Pfund und garantierte dem Einlieferer einen Mindestpreis.

Alles ging gut. Das Bild erreichte ohne Schwierigkeiten 400 000 Pfund. Ein europäischer Privatsammler hat am Telefon dafür geboten, heißt es später. Anonymität gehört nach wie vor zum Spiel mit den Begehrlichkeiten –, obwohl die Kunstwelt in den letzten Jahren immer glamouröser und öffentlicher geworden ist. Künstler, Galeristen und auch Sammler tauchen immer öfter in den Klatschspalten der Boulevardpresse auf. Die Aufmerksamkeit zahlt sich aus: Mit der Prämie für das Auktionshaus kostet das Bild 456 000 Pfund (663 450 Euro), die Presse kann damit einen neuen „Rekordpreis“ verkünden. So, wie im Mai, als Rauchs „Stunde“ in New York 531 200 Dollar erzielte. Und im November, als Rauch 452 800 Dollar erreichte. Seit im Juni 2001 in der Berliner Villa Grisebach der erste Rauch versteigert wurde, steigen die Preise für den „Vater der Leipziger Schule“ mit enormer Geschwindigkeit. „Dumpf über’m Grund“ kostete seinerzeit 13 800 Mark.

Um sehr viel Geld ging es diese Woche auch bei den Londoner Auktionen. Rund eine halbe Milliarde Dollar für Kunst, das ist mehr als doppelt so viel wie vor einem Jahr. Und als Sotheby’s nach der Auktion burgundischen Weißwein reicht, stehen mehr Journalisten herum als jemals zuvor. Einige waren speziell wegen Gerhard Richters „Tante Marianne“ aus Deutschland angereist, mussten dann aber erstaunt feststellen, dass Richters Bild gerade einmal zwei Bieter auf den Plan rief und mit einem Preis von 3,1 Millionen Euro nur auf Platz sechs der Richter-Rangliste steht. „Ein toller Preis“, sagt Westphal. Und doch ein Preis, der hinter manchen hoch geschraubten Erwartungen zurückbleibt. Richters Höchstpreis ist inzwischen fünf Jahre alt, und Tante Mariannes deutsche Geschichte ist Hedge Fund Managern, die mit Kunst spekulieren, offenbar egal.

Der Markt ist launisch. Dass es in London hoch herging, kam dennoch nicht überraschend. Ronald Lauder, Erbe der Kosmetikunternehmerin Estée Lauder, hatte von seinem 2,7 Milliarden-Dollar- Vermögen gerade den Weltrekordpreis von 135 Millionen für Klimts „Porträt der Adele-Bloch 1“ abgezweigt und die Messlatte für Kunstpreise wieder ein bisschen weiter nach oben gerückt. Bereits im Februar waren die Preise in London explodiert. Auf den Contemporary Auktionen konnten viele Werke die erwarteten Preise verdreifachen. Doch es sind nicht nur Spekulanten, die auf dem boomenden Markt das schnelle Geld erhoffen. Auch neue Sammler aus Asien, Russland und Indien begeistern sich für moderne Kunst und bieten am globalen Knotenpunkt London mit.

Diese Bombenstimmung lockt neues Material auf den Markt. Wann sollte man verkaufen, wenn nicht jetzt, wo die Nachfrage so groß ist, die Schätzpreise und Garantien so hoch? Sogar Amerikaner liefern nun in London ein, wie der New Yorker Zahnarztausstatter Marvin Schein, der bei Sotheby’s Gemälde für rund 30 Millionen Pfund versteigern ließ – auch Modiglianis Porträt seiner Freundin, „Jeanne Hébuterne mit Hut“. Schein hatte das Bild 1997 für 9,5 Millionen Dollar ersteigert. Nun war es auf das Doppelte geschätzt worden und wurde fürs Dreifache verkauft: für 30 Millionen Dollar.

Es gibt viele Gründe für diesen Boom. Schon ein Blick in den „World Wealth Report“ der Investmentbank Merrill Lynch zeigt, was sich verändert hat. Danach ist die Zahl der Reichen im letzten Jahr weltweit um zehn Prozent gestiegen. In Südkorea um 21 Prozent, in Indien um 19 Prozent, in Russland um 17 Prozent. Noch schneller wächst die Zahl der Superreichen mit mehr als 30 Millionen Dollar flüssigem Vermögen. 85 400 gibt es weltweit, die nach diversifizierten Investitionsmöglichkeiten und dem Sozialre- nommee einer Kunstsammlung streben. „Wer heute reich ist, kommt um Kunst nicht herum“, sagt Sotheby’s Auktionator Tobias Meyer. Und der Erfolg gibt ihm Recht: 17 Prozent der Verkäufe in seiner Auktion gingen nach Asien. Der Kundenkreis von Christie’s und Sotheby’s war nie so groß wie heute.

„Bidding Frenzy“, „Bietwahn“, schrieb die Londoner Zeitung „Independent“ am nächsten Tag. Von den Deutschen war eine große Albert-Oehlen-Abstraktion dabei, die bei Christie’s 243 200 Pfund kostete, aber nicht die zuletzt so gefeierten jungen deutschen Maler: Matthias Weischer, Daniel Richter, Eberhard Havekost, Dirk Skreber – ihre Preise haben sich in einem halben Jahr vervierfacht und sind nun fürs Erste „ausgereizt“. Stattdessen stiegen die Preise für Peter Doig und Bridget Riley plötzlich auf über eine Million Pfund. Es gab, nach Jahren, wieder einen Rekordpreis für ein düsteres Anselm-Kiefer-Gemälde aus der deutschen Sammlung Fröhlich (702 400 Pfund). David Hockneys „Splash“ wurde für 2,9 Millionen Pfund an einen New Yorker Kunstvermittler verkauft. Jahrelang hatte der englische Popmaler relativ bescheidene Preise, nun holt er plötzlich auf.

Doch nicht bei jeder Preissteigerung gehen die Sammler mit: Bei Christie’s kostete Francis Bacons Triptychon mit Selbstporträts 3,8 Millionen Pfund, erwartet waren bis zu 5,5 Millionen. War das Bild von 1980 „zu spät“, aus der falschen Periode? Sah es zu glatt aus? Oder ist Bacon inzwischen einfach zu teuer? „Maypole“ von Luc Tuymans, ein verwischtes Bild tanzender Lederhosenbayern, das offensichtlicher an deutsche Geschichte erinnert als Richters „Tante Marianne“, hätte bei Christie’s mindestens 900 000 Pfund kosten sollen. Wie bei Rauch war der Preis garantiert, der Rekord programmiert.

Aber niemand wollte das Bild des belgischen Supermalers haben. Bis Februar gehörte es Charles Saatchi, hing in seiner „Triumph of Painting“ Ausstellung und war dann aber privat verkauft worden. Der Markt verweigerte dem Spekulanten den Erfolg. „Der Markt“ – das ist jene unfassbare Kraft aus Gerüchten und Klatsch, aus geschickt manipulierten Begierden, versteckt weiter gereichten Namen, verlockenden Angeboten, spekulativen Preisen, die bestimmt, was neu, heiß und teuer ist, und was seine besten Zeiten hinter sich hat.

Doch solche Rückgänge bestätigen eher einen gesunden Markt, bei dem die Sammler genau hinschauen, als einen überhitzten, auf dem alles und zu jedem Preis gekauft wird. Anders als die Auktionen der Klassischen Moderne verfehlten die Contemporary Auktionen für Nachkriegskunst mit ihren überhöhten Schätzpreisen diesmal die erwarteten Umsatzrekorde. Mittelmäßiges geht schlicht zurück und trotz der Geldmassen gab es wenig enthusiastische Bietschlachten. Bei Christie’s floppten drei spektakulär teuer angebotene Aquarelle von Schiele, während für altmodische Impressionisten wie Pissarro, Bonnard und Vuillard plötzlich wieder ganz lebhaft geboten wurde. Bewährte Qualität zu günstigen Preisen.

Doch am Schluss der Woche, als sich erschöpfte Kunstfreunde nach Christie’s Contemporary Auktion schon fragten, ob der Markt seinen Schwung verliert, gab es eine lange Bietschlacht um Enzo Cuccis leuchtendes neoexpressionistisches Gemälde „Quadro Santo“. Als es mit 568 000 Pfund das Zehnfache der Schätzung bringt, wird applaudiert. Solche überraschenden Preise werden selbst für Spezialisten nie vorhersehbar sein. Aber sie sind es, die den Kunstmarkt lebendig halten .

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