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Kultur: Der gute Judas

Ein

von Christina Tilmann

Es waren einmal zwei gute Freunde, Jesus und Jehuda. Gemeinsam zogen sie durch’s Land, in langen nächtlichen Diskussionen erörterten sie Gottes Willen. Ein seltsames Gespann: der tumbe Zimmermann, der Wunder tut, und der kluge, schriftenkundige Judäer, der im Freund den Messias erkennt. Es endet in ihrer gemeinsamen Verschwörung: Jesus muss hingerichtet werden, um die Menschen zu überzeugen, dass er der Messias ist. Jehuda nimmt das schwere Amt auf sich, den Freund zu verraten – und erhängt sich dann aus Trauer selbst.

Eine Apokryphe neueren Datums: Der französische Schriftsteller Eric-Emmanuel Schmitt spielt sie in seinem 2005 erschienenen „Evangelium nach Pilatus“ durch. Und bekommt nun unerwartet Bestätigung: Pünktlich vor Ostern präsentiert der amerikanische Sender „National Geographic Channel“ ein angeblich verschollenes Judas-Evangelium, das sich allerdings als schon seit den Siebzigern bekannt herausstellte. Der 13-seitige Text aus dem 4. Jahrhundert, den die Basler Maecenas-Stiftung nun weitgehend rekonstruiert hat, besteht aus einem Dialog zwischen Judas und Jesus. Der Inhalt: Jesus eröffnet seinem vertrauten Freund Judas die „Mysterien des Himmelreichs“ und gibt ihm den Auftrag zum Verrat, auf dass die Schrift erfüllt werde. Der Verräter als Erfüllungsgehilfe der Heilsgeschichte.

So weit, so Gedankenspiel – eine Diskussion, an der sich die frühen Christen hundert Jahre nach der Kreuzigung ebenso beteiligten wie Walter Jens mit seinem Buch „Der Fall Judas“ oder zuletzt eben Eric-Emmanuel Schmitt. Der Umdeutungen nicht genug: Dan Browns Bestseller „The Da Vinci Code“ (deutsch: „Sakrileg“) ist noch weiter gegangen und hat Jesus eine Geliebte angedichtet, und ein gemeinsames Kind. Ein Rollentausch: Der Böse ist der Gute, die Hure ist die Heilige, der Verräter der unschuldig Verleumdete. Und der Erlöser spielt sein eigenes Spiel mit Römern und Schriftgelehrten.

Die Reaktionen sind vorhersehbar. Schon sehen sich Juden in Israel von dem jahrhundertealten Vorwurf des ChristusMords befreit, schon betont die christliche Kirche eilfertig, dass das Judas-Evangelium selbstverständlich nicht als kanonisch anerkannt und an der Rolle des Judas als Verräter festgehalten werde. Um Dan Browns Bestseller wird prozessiert.

Doch ändert es etwas, wenn Jesus ein bisschen manipuliert und Judas weniger intrigiert hätte? Wer sagt, dass Götter nicht tricksen dürfen, wenn es der guten Sache dient? Und das hat noch kein Evangelium und keine Verschwörung bestritten: Gestorben ist er immer noch in echt.

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