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Kultur: Der Hang zum Gesamtkunstzwerg

Wo, bitte, gehts zum Skandal: Christoph Schlingensief sucht an der Wiener Burg Elfriede Jelineks „Bambiland“

Niemals, auf keinen Fall, unter gar keinen Umständen darf ein Journalist (auch ein Theaterkritiker nicht) seine Geschichte mit einem Taxifahrer beginnen. Das ist ebenso strengstens verboten wie im Theater das Pfeifen auf der Probe.

Aber (ein sehr großes Aber): Was ist das überhaupt für ein Theater, was Christoph Schlingensief an der Wiener Burg anrichtet? Ist es nicht vielmehr ein atavistischer Almauftrieb mit Sack und Pack, mit Porno und Richard Wagner, auf dem steilen Weg von der Berliner Volksbühne – dort hat vor zehn Jahren seine hektische Theaterlaufbahn begonnen – hinauf nach Bayreuth, wo Schlingensief kommenden Sommer den „Parsifal“ inszenieren und dann wohl für immer und ewig seinen Platz im Himmel oder in der Hölle finden wird?

Das Taxi also. Auf dem wegen Christkindlmarkt und Punschständen verstopften Weg ins Burgtheater erzählt der Fahrer, warum er nie mehr ins Theater geht. Einmal, vor langer Zeit, musste der gute Mann die zwölfjährige Schwester eines Kommilitonen zu einer Schiller–Aufführung mit in die Burg nehmen, weil der Freund mit seiner Freundin allein sein wollte. Als das Licht im Theater ausgeht, steht die Kleine auf und ruft ins Parkett: „Ich heirate einen Neger.“ Ein andermal, bei einem Horváth, klemmte der Eiserne Vorhang, das Publikum wartete zwei Stunden, bis die Vorstellung fortgesetzt wurde. Und schließlich, erzählt der unheilvolle Chauffeur, fiel im zweiten Akt einer Wiener Komödie in der Josefsstadt der Hauptdarsteller tot um.

Heutzutage gibt es andere Gründe, warum es so schwierig, peinlich und leider ungefährlich im Theater ist. Zum Beispiel: Ein Regisseur, der keiner ist, besorgt die Uraufführung eines Textes, der auch nur entfernt theatralisch genannt werden kann, und in dieser „Uraufführung“ werden grob geschätzt fünf Prozent des neuen „Stückes“ zu Gehör gebracht, was wiederum auch kein wirklicher Schade ist. Und in Wahrheit noch viel komplizierter. Weil es offiziell gar keine Uraufführung war, sondern eine „erste Voraufführung“, im Einverständnis mit der Autorin Elfriede Jelinek und dem Rowohlt Theater Verlag. Bambi-Publicity gab’s jedenfalls genug.

Elfriede Jelinek, die Stiefmutter aller Theaterschlachten, seit Einar Schleef, Werner Schwab und Thomas Bernhard nicht mehr am Leben sind, fand die dicke, fette Mogelpackung toll. Sie hatte sich Christoph Schlingensief zur Exekution ihres „Bambilands“ ausdrücklich gewünscht, wohl wissend, dass Schlingensief mit ihrem Katarakt von Assoziationen zum Irak-Krieg etwa so sensibel umgehen würde wie die Amerikaner und Briten mit dem Regime von Saddam Hussein. „Bambiland“ ist seit dem Frühsommer auf der Jelinek-Homepage nachzulesen – ein wilder Schreibversuch ins Offene, ein Steinbruch waffentechnischer Details, mit Bush-Bashing, Kriegsberichterstattungsfetzen und Stellen aus den „Persern“ des Aischylos, die als das erste Kriegsdrama der Theatergeschichte gelten. Ein monströses Ich, halb Stammtischschwester, halb entthronte, machtlos CNN konsumierende Gottheit, leidet da an kolossaler Redesucht.

Und Schlingensief stopft der Jelinek das Mundwerk, um selbst loszulegen: Von Richard Wagner („Ich will meine eigene Oper haben“), von den Oberhausener Kurzfilmtagen (die fehlen bei keiner Schlingensief-Performance), von Joseph Beuys („Aus dem Avantgardisten von damals wurde plötzlich der Märtyrer von heute“ – oder bezieht sich das auf Schlinge selbst?), von einer obskuren Partei, die sich unter einem Hakenkreuz-Bambi-Emblem versammelt, von der Mama („Ich habe es dir noch nicht gesagt: Ich glaube, ich bin schwul“), von den Wiener Aktionisten („Wir arbeiten in der Tradition von Günter Brus, Hermann Nitsch und Klaus Bachler“). Klaus Bachler ist Direktor des Burgtheaters, er wird sich von Schlingensiefs „Bambiland“-nahme einen richtig schönen Wiener Skandal versprochen haben.

Nun war Empörung oder Krawall bei diesem ersten „Bambiland“-Happening an der Burg Fehlanzeige. Der Abend verlief in den gesitteten Bahnen eines Kulturbetriebs, den nichts mehr schreckt. Auch nicht der „Bambiland“-Film, in dem die Schlingensief-Truppe, angeführt von Margit Carstensen und Udo Kier, erst ewig um Hrdlickas Wiener Mahnmal der Judenverfolgung herumtanzen, um dann auf der Toilette und im Keller des Hotel Sacher zwei Pornodarstellerinnen zuzuschauen, die einen hübschen jungen Kollegen masturbieren. Der schwarz-weiße Streifen wird auf voller Burg-Bühnenhöhe auf eine transparente Leinwand projiziert. Davor windet sich, wie der Leibhaftige anzuschauen, Margit Carstensen und stößt mit Grabesstimme, oh wie schauerlich, dann doch ein paar Jelinek-Sätze hervor.

Washington? Bagdad? Darum geht’s nicht. Dafür umso mehr um – Bayreuth. Und Berlin. Das Bühnenbild von Mascha Deneke gleicht dem Volksbühnen-Ambiente von Schlingensiefs „Atta Atta“-Show vom Januar 2003; mit der Sofaecke, dem Maleratelier und dem Zeltplatz samt Wachturm. Dort oben steht der Zeremonienmeister und dirigiert wild fuchtelnd seinen Wagner, wie andere Menschen Luftgitarre spielen. Hin und wieder taucht auf der Filmleinwand Pierre Boulez auf, der über Spezialfragen der Wagner-Aufführungspraxis spricht. Boulez wird Schlingensiefs „Parsifal“ auf dem Grünen Hügel dirigieren.

Davor liegen die Mühen der Etappe. Schlingensief scheint von seinem Bayreuth-Engagement derart überwältigt, dass man diese Jelinek-Verwurstung (wie gesagt, ihr Text ist per se grützig) als öffentliches Warmlaufen für Wagner betrachten kann. Der Hang zum Gesamtkunstzwerg ist nicht zu übersehen. Schlingensief malt, mit Hintern, Hand und Genitalien, expressive Schinken. Er stellt die Kreuzigung nach und tritt selbst mit dem Bischofsstab an die Rampe. Verwechselt er Bayreuth mit Oberammergau? Will er Wagner auch mit dem schmerzkatholischen Kitsch-Brimborium zu Leibe rücken?

In Badewannen und am Boden wälzen sich die Akteure in Blut und Schlamm – ein großes Plastikbambi schaut lieb zu. Ein orgiastischer Soundtrack wummert aus den Lautsprechern (die Burgtheater-Direktion lässt an der Garderobe fürsorglich Ohrstöpsel austeilen), dafür kann sich Schlingensief bei Uwe Altmann von der Berliner Volksbühne bedanken. Die Musik (sind wir denn schon in der Oper?) hält die Show vom Heiligen Christopherus über die zwei Stunden zusammen.

Kein Schlingensief, keine Jelinek, kein Ensemble kam am Ende auf die Bühne. Dünner Applaus, keine Buhs – „Bambiland“ war müde abgebrannt. „Ich darf mich auch mal wiederholen“, sagt Schlingensief zu seiner Mama-Darstellerin. Aber nun hat er – was den Wienern vielleicht neu ist – nicht nur sein Berliner Volksbühnen-Tamtam wiederholt und verlängert, sondern auch eine genuine Wiener Geschichte: das legendäre „Orgien Mysterien Theater“ des Hermann Nitsch, und zwar mit Ansage. Ihr Kinderlein, kommet. Bambi schlachten!

Es sind die längst geführten Grabenkriege, weshalb das Theater seine Anziehung verliert. Die wilden Sachen sind retro. Viele der Jüngeren (Schlingensief ist auch schon Mitte Vierzig) wüten mit geliehener Kraft, während die alten Peymänner nur noch schmollen und grollen. Da ist keine Seite mehr, auf die man sich schlagen möchte. Rührend, wie Dorothee Hartinger gegen Schluss von „Bambiland“ sich in dem vorweihnachtlichen Chaos müht, das Publikum doch noch zu provozieren. Einige Schauspieler sind während der Bambi-Proben ständig ein- und ausgestiegen, aber das ist letztlich auch egal: ob der hilflose Protest der Hartinger, die in Peter Steins „Faust“-Monument das Gretchen gab, gespielt war oder echt.

Mag die Sehnsucht nach dem Theaterskandal selbst spießig sein, es ist auch blöd, wenn nix passiert. Wenn ein zufälliger Taxifahrer mit dem bösen Blick größere Dramen entfacht als ein Schlingensief und eine Jelinek, die dafür berühmt sind und bezahlt werden.

Rüdiger Schaper

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