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Kultur: Der heutige Islam an der Salzach

Im christlichen Salzburg dominiert das Abendgeläut der Domglocken, bevor die Janitscharen ihre alttürkische Militätmusik als klingende Kunstwahrheit unter das Festspielpublikum bringen.Und während die Bühne eine Wüstenlandschaft darstellt, prasselt scharf der Regen auf das zu Spielzwecken eingerichtete Dach über dem Residenzhof.

Im christlichen Salzburg dominiert das Abendgeläut der Domglocken, bevor die Janitscharen ihre alttürkische Militätmusik als klingende Kunstwahrheit unter das Festspielpublikum bringen.Und während die Bühne eine Wüstenlandschaft darstellt, prasselt scharf der Regen auf das zu Spielzwecken eingerichtete Dach über dem Residenzhof.Die Begleitumstände sind weniger störend, als daß sie die Sinne weiten für das multikulturelle Credo des palästinensischen Regisseurs François Abou Salem.

"Die Entführung aus dem Serail" muß nicht unbedingt in der Türkei vor sich gehen, meint die Bühnen- und Kostümbildnerin Francine Gaspar, deren reichhaltige Erfahrung unter anderem eine Professur in Tunis einschließt.Schauplatz der Handlung sei vielmehr der eines durchaus heutigen Islam, in seiner bunten Widersprüchlichkeit von Damaskus bis Bagdad denkbar.Eine Grenze aus Stacheldraht teilt Vorder- und Hinterbühne: Das Land führt Krieg.

"Erdrosseln möcht ich dich!" spricht Osmin, der türkische Aufseher über das Landhaus des Bassa, zu dem Eindringling Belmonte, einem Sohn aus gutem Haus in strapazierten Jeans."Warum? Weil ich dich nicht leiden kann." Abou Salem wandelt die Dialoge des Singspiel-Librettos ab, nimmt aber die Emotionen ernst, wie sie sich in dem Originalzitat spiegeln.Groß ist die Gefahr und geeignet, Kriege zu schüren.

Für die Zuschauer des 18.Jahrhunderts, besonders die an den Türkenkriegen unmittelbar beteiligten Wiener, gab es auf dem Theater nichts Lustigeres als einen geprellten Muselmann, dazu noch einen vom Zypernwein berauschten.Abou Salem sieht einen anderen Osmin und hat die Musik von Wolfgang Amadeus Mozart auf seiner Seite: "Glaubst du, ich bin gerne Soldat?" In der Tat trägt die buffoneske Spielbaßfigur eine Waffe am Gürtel, und im Terzett mit Belmonte und Pedrillo, die entschlossen sind, in den Palast zu gelangen, verlangt er als Grenzwächter die Pässe.Indem sie das Komische in "Osmins Alptraum" überführt, predigt die Inszenierung, daß wir im Umgang mit dem Thema Islam seit den "Türkenopern" über 200 Jahre älter geworden sind.

Bassa Selim ist in diesem Fall ein orientalischer Politiker, der Konstanze, Blonde und Pedrillo als Geiseln genommen hat, weil er Gespräche über sein besetztes Land erzwingen will.Die Aufführung benötigt einen "Sprachcoach", um das arabisch gefärbte Deutsch Akram Tillawis mit dem des amerikanischen Belmonte zu koordinieren.Der Selim-Schauspieler, der den Orient an die Salzach trägt, dominiert den Abend.Als er heimkehrt in sein Land nach erfolgreichen Verhandlungen, wird er auf Schultern getragen.Vertraute Bilder, gemischte Gefühle.Der Sieger hat in Europa studiert, und seine Neigung zu Konstanze bleibt nicht unerwidert, wenn gerade ihre "Marternarie" zur Liebesszene wird.Die Kulturen bündeln sich in der Interessantheit dieses Selim, der mit den Werten des Islam, arabischer Musik und Poesie in Einsamkeit umgeht.

Einzuräumen ist, daß die visionäre Kraft der Regie sich einem Anflug von anekdotischem Laienspiel verbindet.Haremsdamen und Kinder stehen herum, ohne abendfüllend Eindruck zu machen.Ein Wasserbad Osmins unter der Fuchtel der "Engländerin" Blonde und das Trinkgelage, das Pedrillo mit ihm anzettelt, haschen nicht gerade nach Originalität der Personenführung.Ebensowenig textliche Schlaglichter emanzipatorischer Art wie "Nieder mit dem Schleier!" Die Idee jedoch, die "Türkenoper" in unsere Gegenwart zu holen, den genius loci Salzburgs, wo die Fenster der Residenz für zuschauende Angestellte geöffnet sind, mit orientalischen Mustern in eine völkerübergreifende Wahlverwandtschaft zu bringen, hat schon jetzt ihren Platz in der Rezeptionsgeschichte des Werkes.

Behende, flexibel und souverän geleitet der Dirigent Marc Minkowski am Pult des Mozarteum Orchesters Salzburg die Sänger und Sängerinnen durch die Oper.Der Barockspezialist, der auf Genauigkeit der Artikulation schwört, hat für diese Partitur exotische Instrumente dabei wie die große Trommel aus dem Harem von Topkapi in Istanbul.Die jungen Akteure auf der Bühne vereint der moderne Stil zu einem frischen Ensemble.Franz Hawlata als gefeierter Osmin hält die Partie frei von allem Buffo-Klischee und forcierter stimmlicher Grundgewalt.Es fällt diesem Osmin schwer, soviel Huld wie die des Selim zu ertragen, ein resignierender Hüter der Tradition, dem Spaß zu Gift wird.Christine Schäfer als Konstanze bewältigt Koloraturen aller Arten, ohne am Premierentag ihre Bestform zu erreichen, die sich mit lyrisch-liedhafter Hingabe einstellt.Die Regie läßt sie weitgehend im Stich.Malin Hartelius als Blonde kaum minder, gesanglich ist sie ganz Wonne und Lust.Andreas Conrad, fast schon ein Pedrillo vom Dienst zu nennen, reüssiert auch hier.Besonders aber Paul Groves als Belmonte, weil er als Amerikaner im Islam von Salzburg sich selbst spielen darf und ihm seine sehr ansprechende Tenorstimme dabei hilft.

"Die Instrumente sagen, was Konstanze dem Bassa nicht sagen kann" (Marc Minkowski), und die Interpretation des Werkes ist einem Ideal auf der Spur, das Verzeihung vor Fremdenfeindlichkeit und Fundamentalismus gehen läßt.Wir sollen uns über die Realität nicht täuschen lassen, aber sehen, wie der gnadenvolle Verlierer Selim das westliche Gewand abtut und sich auf seine islamischen Wurzeln besinnt: Im mystisch-schwärmerischen Wirbeltanz der Derwisch-Mönche, ein unvergeßlicher Abgang.

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