zum Hauptinhalt

Kultur: Der Himmel. Die Hölle. Trotzdem toll.

Benjamin von Stuckrad-Barre, eben noch auf Suchtstation, meldet sich mit einem neuen Buch zurück in unserer Poprepublik

These: Wer sich in die Medien begibt, kommt darin um. Gegenthese: Wer sich umbringen will, kann das überall tun.

Benjamin von Stuckrad-Barre, 29, Schriftsteller, hat ein neues Buch in petto und macht es so: Bei der Vorausscheidung zum Grandprix brüllt er dem Moderator unverständliches Zeug ins Mikro, vor x-Millionen Zuschauern. Auf einer Pressekonferenz von Udo Lindenberg während der Leipziger Buchmesse liest er ewig lange Oden vor, bis die Zuhörer sich gar sehr wundern. Zum Schluss lässt er beiläufig die Bemerkung fallen, er habe noch kein Quartier für die Nacht. Oder er kriecht beim Rowohlt-Buchmessenfest Reinhold Beckmann förmlich auf den Schoß und drängt ihm einen Auftritt in dessen frecher Show auf. Ist das eines Schriftstellers würdig? Ist das eklig?

Eklig fand das kürzlich die „FAS“ und titelte „German Psycho“, in Anspielung auf Bret Easton Ellis’ amerikanischen Gegenwarts-Klassiker „American Psycho“, von dem es heißt, er habe die deutsche Popliteratur stark beeinflusst, also auch Stuckrad-Barre. „Stuckrad-Barre, so scheint es, lebt schon lange nicht mehr dort, wo Schriftsteller eigentlich leben.“ Ja, wo leben Schriftsteller denn eigentlich? Am Bodensee? Im Marbacher Literaturarchiv?

Im Literaturbetrieb erzählte man sich schon länger, dass es BvStB nicht gut gehe, gar nicht gut. Von schwerer Kokainabhängigkeit, von Bulimie und Psychiatrieaufenthalten war die Rede. Nein, das ist nicht nett von der „FAS“, über einen Quartals-Psychotiker, der sich am Ende fühlt, zu schreiben, dass er am Ende sei.

Doch jetzt entert Stuckrad-Barre die Bühne der deutschen Medienrepublik erst recht, etwas zerknautscht, aber clean und voller Tatkraft. Er präsentiert sein neues Buch „Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft – Remix 2“, die Doppel-CD zum Buch, den Film zum Buch und sendet wieder auf allen Kanälen: Wie verabredet bei Beckmann und auch im „Spiegel“ plaudert er über seine Drogenabhängigkeit.

Ob er den Vorwurf fürchte, dass er aus dem Versuch, von Koks und Alkohol loszukommen, eine Show mache? Er wolle „Bild am Sonntag“ und „RTL exklusiv“ zuvorkommen, die ihn in der Klinik aufgespürt hätten. Und es sei eine Art Rückversicherung, die es ihm schwer mache, mit den Drogen irgendwann doch weiterzumachen.

BvStB pokert wieder, setzt sich unter Druck, will, sagt er, seinen nächsten Roman über seine Krankheit schreiben. „Das Buch muss von der Hölle handeln“, sagt er der Fotografin und Dokumentarfilmerin Herlinde Koelbl. Die hat einen Film über den quälenden Prozess der Entziehungstherapie gedreht, „Rausch und Ruhm“, ihn oft in der Klinik besucht und mit ihm gesprochen. Wie eine Psychiaterin, wie eine strenge, freundliche Mutter.

BvStB entblößt sich in dem Film, zeigt sein versautes Wohnquartier, die Höhle eines Junkies. Aber er scheint es ehrlich zu meinen, hat, was man in der Therapiesprache Krankheitsbewusstsein nennt. Koelbl lässt Stuckrad-Barre in ihrem Film eine gute Figur machen. Wenn einer im Mediensumpf krank geworden ist – warum soll er sich nicht der Medien bedienen, um wieder gesund zu werden?

Benjamin von Stuckrad-Barre lebt ein Buch. Das murmelt er kokett in Herlinde Koelbls Kamera. Sein schriftstellerisches Projekt ist klar umrissen. Eigentlich ist es mindestens hundert Jahre alt: die Durchdringung von Kunst und Leben. Im Grunde ist es ein Thomas-Mann-Projekt. Heute nennt man das: Koinzidenz von Fiktion und Realität. Klingt nach Klischee. Aber es gibt keinen in der deutschen Literatur, der dieses Projekt so langfristig und hartnäckig verfolgt.

Das geht so: Mit 23 Jahren, nach den ersten journalistischen Gehversuchen mit dem Roman „Soloalbum“ einen Bestseller landen, dann, gefeiert und angefeindet wie ein Popstar, auf große Lesereise gehen, mit kreischenden Teenies und Groupies noch und nöcher. Und wiederum darüber einen neuen Bestseller schreiben, „Livealbum“. An einer zum Ennui wild entschlossenen Männerrunde im Hotel Adlon teilnehmen („Tristesse Royale“) und damit mal eben die Republik in eine Debatte über 1968 stürzen. Zwischendurch die künstlerisch-journalistischen Arbeiten veröffentlichen („Remix1“). Arbeiten, von denen er viele nicht hätte schreiben können, wenn er nicht seinen Starstatus als Eintrittskarte in die Glamourwelt hätte. Ein perfekter Zirkel. Mitunter teuflisch.

Der Drogenabsturz, die Psychose als in Kauf genommener Betriebsunfall – und alles also neues Material für die Literatur. Lohnt sich das? Ist das als literarisches Projekt nicht Schnee von vorgestern? Nein, denn die Öffentlichkeit funktioniert heute anders als zu Thomas-Mann-Zeiten. Früher bediente sich die Wirklichkeit der Medien, heute schaffen die Medien die Wirklichkeit. Medien sind Krieg, der permante Ausnahmezustand, und wenn wirklich Krieg ist, kommen sie zu sich selbst. Die lädierten Körper nach Sendeschluss – das interessiert Stuckrad-Barre.

„Remix 2“ setzt ein mit einer großartigen Reportage über einen ehemaligen Waffeninspektor in seinem Bio-Labor. Und, friedlicher, aber nicht weniger strategisch: Sind die Eheleute Paola und Kurt Felix wirklich so glücklich wie im Fernsehen? BvStB macht sich auf den MedienKriegspfad und findet es heraus: „Die Hölle, deren Himmel. Trotzdem toll.“

Nein, Stuckrad-Barres Projekt ist literaturgeschichtlich abgesichert. Von seinen großen Vorbildern, von Rainald Goetz und Christoph Schlingensief, hat er gelernt. Von Ersterem, wie man sich schreibend der Gegenwart aussetzt, als sei sie die Foltermaschine aus Kafkas „Strafkolonie“. „Folter = Lektüre der Welt“ steht handschriftlich auf dem Buchrücken von „Remix 2“. Und von Schlingensief hat er gelernt, wie man Medienwirklichkeiten – nein, nicht entlarvt, wie die 68er sagten, sondern umgräbt, so lange, bis Blümlein sprießen und der Schein einer gesellschaftlichen Versöhnung entsteht.

Rainald Goetz begann seine Karriere auch mit einem Medienexperiment: Er schlitzte sich 1983 beim Wettlesen in Klagenfurt die Stirn auf. Und wurde als Show-Maker beschimpft. Er schottete sich ab und feilte an seinen glanzvollen Texten. Stuckrad-Barre feilt auch, manche Kapitel von „Remix 2“ reichen an Goetz heran. Aber weil es nicht in BvStBs Konzept passt, sich abzuschotten, weil er den Schlingensief in sich hat, dürfen auch schwächere Texte in den „Remix“-Büchern stehen bleiben (etwa „Wickerts Wetter“).

Sie sind dokumentarisch gerechtfertigt. Auch das ist seine Kunst. Stuckrad-Barre hat sich in seiner Version einer Ethnographie der Gegenwart selbst zum Fetisch gemacht. Das kann er wie kein anderer, und er wird es überleben.

Die Essayistin Katharina Rutschky verglich in einer Poproman-Studie Stuckrad-Barres „Soloalbum“ und Christian Krachts „Faserland“ mit dem überhaupt ersten Poproman, Goethes „Werther“. Sie diagnostizierte ein erstaunliches „Kunstwissen“ in den Produkten der Lit-Popper, die sich allmählich „von der Kunstreligion verabschieden“. Dennoch spielen die Pop- Schreiber uns die stereotypen Dichterposen vor: den Erleuchteten, den Mystiker, den Masochisten, den Dandy etc. Ihre Werke sind kanonisiert. Tatsächlich haben sie der deutschen Literatur einen Vitalisierungsschub versetzt, wie er nicht zu erhoffen war.

Die Popliteraten haben längst eine Aura, die vergleichbar ist mit dem Kreis um den Dichter-Propheten Stefan George Anfang des 20. Jahrhunderts. Nur, dass Kreise heute Netzwerke sind. Die Georgianer provozierten durch Strenge und Rückkehr zu den Klassikern. Die Lit-Popper provozieren, weil sie mit literarischer Leichtigkeit und mit gedrehten Nasen die Konventionen der Literatur-Literatur verletzen. Wir beobachten sie, und sie beobachten uns. Und so weiter.

Synthese: Wer sich in die Kunst begibt, kann sich Berufskrankheiten zuziehen. Gute Besserung!

Marius Meller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false