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Kultur: Der Himmelsstürmer

Die Wahrheit über „Idomeneo“: Eine politische Posse – und ein historischer Abend in der Deutschen Oper Berlin

„Das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts“: Was für die Marschallin in Richard Strauss’ „Rosenkavalier“ stimmt, muss für die Personnage in und um Mozarts „Idomeneo“ an der Deutschen Berlin nicht falsch sein. Eine wild gewordene Abonnentin greift zum Telefonhörer. Ein Innensenator denkt an den Karikaturenstreit und hält sich raus. Und eine urlaubende Intendantin kippt eine Inszenierung vom Spielplan. Hektisch, still und leise. Als wäre dies möglich in globalisierten Zeiten wie diesen, in denen Pippi Langstrumpfs Vater Efraim nicht länger „Negerkönig“ heißen darf und man sich aus Angst, potenziellen Minderheiten auf die Füße zu treten, bald überhaupt nicht mehr wird rühren können. In Deutschland. In der Kunst. Absurd.

Was eine Kettenreaktion aus vorauseilendem Gehorsam, kommunikativem Unvermögen und kosmetischer Schadensbegrenzung am Ende erbringt, war nun an der Bismarckstraße zu besichtigen. Das Mozartjahr auf seinem Höhepunkt, unfreiwillig. Oper wie im Zoo. Und eine treffliche Metapher für unsere gefräßige Mediengesellschaft: Ganz viele Kameras, ganz viel ganz grelles Licht – fein säuberlich gruppiert um ein tiefes schwarzes Loch. Mozart? Das Stück? Kaum einer weiß, um was es hier geht, aber das exzessiv. Die perfekte Verwechslung von Mittel und Zweck, Inhalt und Form. Erst der Hype, und dann, vielleicht, so etwas wie der Sinn vom Ganzen. Noch nie jedenfalls waren so viele Menschen in der Oper, die noch nie in der Oper waren. Das ist an sich nichts Unrechtes, im Gegenteil, aber ein bisschen absurd auch dies.

Mozarts frühes dramma per musica „Idomeneo“ (Uraufführung 1781 in München) handelt von Krieg und Gewalt, von den Stürmen des Meeres und denen der Liebe, vom aufgeklärten Individuum und seiner Sehnsucht nach Halt in dieser wilden Welt. Der Kreter-König Idomeneo soll – so will es Poseidon – seinen Sohn Idamante opfern. Um der Macht, um des kretischen Friedens willen. Idomeneo aber weigert sich, setzt seine ganze Väterlichkeit gegen den Götterspruch und wird seinerseits durch Ilia errettet, die trojanische Prinzessin, die Idamante liebt und bereit ist, ihr Leben für seines hinzugeben. Das Orakel spricht, Idomeneo dankt ab, großes lieto fine mit Chor.

Hans Neuenfels’ Inszenierung erzählt diese Fabel in schnörkellosen, konsequent symbolistischen Bildern. Und manch einer staunt gewiss über sich selbst: Wie wehrlos sich eine derart differenzierte, kluge Arbeit doch gegenüber dem Demagogengeschrei der vergangenen Monate ausnimmt. Wie verletzlich die Kunst ist im Vergleich zu allem lauthalsen Gerede darüber. Und wie rasch sich das Leise doch vergisst. Da gibt es typisch Neuenfelsisches: Die versehrten Trojaner, die die kretischen Hofschranzen zum Tanz auffordern; die Schrifttafeln, das Theater im Theater, all die gestorbenen und/oder mythischen Seelen, die Reinhard von der Thannens Szene mit barockem Augenzwinkern bevölkern.

Und es gibt ein klares Bekenntnis der Regie: Das Göttliche, es bleibt an diesem Abend nicht abstrakt (nur das Orakel krächzt im Finale aus einem Lautsprecher), sondern nimmt konkret Gestalt an. So konkret wie Mozarts jugendliche Seria-Helden offenkundig mit dem Überleben ringen. Die Götter sind Jesus, Buddha, Mohammed und Poseidon, jeweils in typischer Gestik und Gewandung, und sie mischen sich halb fremdelnd, halb neckisch ins Geschehen des dritten Aktes. Ein bisschen kurios ist das schon, wenn die drei Religionsstifter und der glitschig-grüne Meeresgott mit spitzen Fingern den Dolch weiterreichen, mit dem Idomeneo zur Tat schreiten soll. Oder wenn sie wie karnevaleske Schaufensterpuppen um den Opferstock herumsitzen, auf den Idamante bereitwillig sein Haupt bettet. Aber ist die Behauptung, so fragt Neuenfels mit Mozart, dass Übermenschliches existiere, welches uns zur Unmenschlichkeit zwänge, nicht noch viel kurioser, absurder, verlogener? Ist nicht die gesamte morgen- wie abendländische Geschichte voll von Gräueltaten im Namen des Glaubens und seiner diversen Kirchen? Bis heute?

Dieser so schlüssig entwickelte Kontext enthebt die viel geschmähte Schlussszene jedweder Blasphemie. Idomeneo also – das Echo des finalen Chores ist noch nicht verhallt – betritt noch einmal die Bühne, zieht den vielzitierten blutigen Sack hinter sich her, drappiert die blutigen Köpfe brav paritätisch auf den vier Stühlen. Und lacht irre, kreischt, greift sich Augen rollend ans Herz. Ganz so schadlos ist das Metaphysische aus unserer Welt offenbar doch nicht wegzudenken. Ein offenes, utopisches, ja fast ein versöhnliches Ende.

Im März 2003 dauerte die besagte Szene etwa doppelt so lang, und natürlich macht es sich bemerkbar, dass von der Premierenbesetzung kein einziger Sänger mehr übrig ist. Außer ein paar hohlen Gesten und holprigen Übergängen freilich ist der szenischen Einstudierung hier wenig vorzuwerfen. Die Kraft eines Regiekonzepts im Repertoirebetrieb liegt ja gerade darin, gegen den gewöhnlichen Schlendrian ein Stück weit immun zu sein. Aufs Musikalische freilich hätte Kirsten Harms zweifellos mehr Sorgfalt verwenden müssen. Mit Raúl Giménez einen abgesungenen Knattertenor für die Titelpartie zu verpflichten, mit Mihoko Fujimura eine Wagnersängerin für den zarten Idamente und mit Victoria Loukianetz eine stimmlich überforderte Elettra, das ist das eine. Not oder Taktik oder Täuschung. Ralf Weikert am Pult des Orchesters der Deutschen Oper allerdings ist eine Wahl, für die es nahezu keine Entschuldigung gibt. So viel uninspirierte, sich selbst anödende Mozart-Langeweile dürfte heutigen Gräben selten entweichen. Ein Skandal, vom Publikum brav beklatscht. Wie übrigens auch Nicole Cabells entzückende Ilia, deren rosig timbrierter, stilsicherer Sopran dem Abend ein einsames Glanzlicht aufsteckte. So rasch also nivelliert sich die Kunst, wenn sie missbraucht wird. Aber das wäre unschwer auch im November bereits festzustellen gewesen.

Christine Lemke-Matwey

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