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Kultur: Der Höchststapler

Von Roosevelt zu Lenin: Ernst von Waldenfels schildert das bizarre Leben des Esoterikers Nikolai Roerich.

In 5000 Metern Höhe ist es so weit: Die Kamele werden abgesattelt, die Zelte im Schnee aufgestellt, dann das Grammophon ausgepackt, und bald erklingt über den Gipfeln des Himalaja ein kratziger „Parsifal“. Nikolai Roerich, Wagner-Liebhaber, Maler, Mystiker und Abenteurer, ist am Ziel, oder jedenfalls wähnt er sich kurz davor. Ein paar Tagesmärsche noch, dann wird er den „Mahatmas“ gegenüberstehen, jenen heimlichen Herrschern der Welt, deren spiritistische Funksprüche, empfangen von Roerichs Ehefrau Helena, die Karawane in die Berge geführt haben.

Was hier geschildert wird, ist weder eine Film- noch eine Romanszene, sondern eine verbürgte Momentaufnahme – und nicht einmal die bizarrste! – aus dem Leben eines Mannes, der sich anschickte, die Welt aus den Angeln zu heben und dessen Erbe heute unter anderem vom International Centre of the Roerichs in Moskau und vom Roerich Museum in New York gepflegt wird.

Ein nicht ganz leicht zu fassendes Leben ist es, das Ernst von Waldenfels in dieser ersten umfassenden Roerich-Biografie in deutscher Sprache aufrollt. Nicht nur Roerich selbst, auch seine bis heute aktiven Anhänger haben die ohnehin schwer glaubliche Lebensgeschichte dieses Mannes so dicht mit Legenden umwoben, dass es einen akribischen Archivwühler wie von Waldenfels braucht, um Fakten und Fiktion zu entwirren.

Schon Roerichs Herkunft ist unklar. Geboren wurde er 1874 in Sankt Petersburg, vermutlich als Sohn eines deutschstämmigen Kurländers aus kleinen Verhältnissen. Genau weiß man es nicht, weil Roerich schon in seiner Jugend Mythen streute: Allein aufgrund einer vagen Namensähnlichkeit erklärte er sich zum Nachfahren Ruriks, jenes halb legendenhaften Gründers der Kiewer Rus, dem mittelalterlichen Vorläuferstaat des Russischen Reichs. Als Rurik-Roerich zu malen begann, war es folgerichtig die altmoskowitische Sagen- und Ritterwelt, um die seine ersten Bilder kreisten. Ebenfalls in dieser frühen Schaffensphase entstand ein selbst entworfenes – vulgo: gefälschtes – Familienwappen, das Roerich die Hochzeit mit einer Schönheit aus dem Petersburger Hochadel ermöglichte.

Helena, die später in Funkverbindung zu den „Mahatmas“ stand, war kaum weniger charismatisch als ihr Ehemann – und mindestens ebenso gewandt im Vorspiegeln falscher Tatsachen. Gemeinsam stiegen die Roerichs in der schwer okkultistisch aufgeladenen Atmosphäre des vorrevolutionären Sankt Petersburgs zum gefeierten Guru-Paar auf. Schon hier ließen sie jenes chamäleonhafte Geschick allseitiger spiritueller Anverwandlung erkennen, das sie später, im Exil, zur Meisterschaft bringen sollten.

Ab 1917 in Finnland, vor allem aber in den 20er Jahren in New York gelang es ihnen, die disparatesten Förderer für ihre Hirngespinste zu gewinnen. Schwerreiche Devisenmakler, monarchistische Revolutionsflüchtlinge, Theosophen, Buddhisten, Orthodoxe und Kommunisten schlossen sich mit der gleichen Begeisterung den zahllosen spiritistischen Geheimgesellschaften der Roerichs an, mit der sich später auch Landwirtschaftsminister Henry Wallace, kurzzeitig sogar Präsident Franklin D. Roosevelt für die esoterische Mission der Roerichs erwärmten – die erklärtermaßen nicht weniger zum Ziel hatte als die Errichtung eines weltumspannenden Gottesstaats unter der Herrschaft der „Mahatmas“.

Diese alterslosen Weisen der theosophischen Lehre aber lebten im Himalaja, und obwohl ihre Funksprüche zuverlässig eintrudelten, drängte es die Roerichs bald nach einer physischen Begegnung mit ihren Gebietern. So kam es zur ersten von drei Himmelfahrtsexpeditionen, die Nikolai Roerich nach Tibet, in die Mandschurei und quer durch die innere Mongolei führten. Mitte der 20er Jahre – auf dem Höhepunkt der antireligiösen Verfolgungen in der Sowjetunion! – gelang es dem Revolutionsflüchtling, sich den bolschewistischen Behörden in Moskau als Versöhner von Kommunismus und Religion zu empfehlen, angeblich ausgestattet mit einem Geheimauftrag von Lenin, der kommoderweise kurz zuvor verstorben war. Man glaubte ihm nicht nur, es fand sich gar ein okkultistisch interessierter Flügel der Geheimpolizei, der Roerich und seiner Familie ein Mandat zur Durchquerung Südsibiriens und der angrenzenden Mongolei verlieh.

Kaum in Ulan Bator angekommen, schrieben sich die Roerichs statt des Sozialismus den Buddhismus auf die Fahnen, zwecks besseren Fortkommens im damals noch nahezu komplett von der Außenwelt isolierten Tibet. Den englischen Kolonialverwaltern, die die abgelegene Region als Pufferzone zwischen Indien und dem roten Russland nutzten, waren die unorthodoxen Pilger zwar suspekt, aber auch sie knickten am Ende vor dem intriganten Verhandlungsgeschick der Roerichs ein. Mit 63 Kamelen und einem Grammophon im Gepäck setzte sich die Karawane in Bewegung, Richtung Himalaja.

Der Abstieg des Hoch- und Höchststaplers Roerich begann ironischerweise auf dem Dach der Welt. „Parsifal“ war kaum verklungen, als das Unheil seinen Lauf nahm. Die Tibeter verweigerten der Expedition den Zugang zur Hauptstadt Lhasa. Es war ein Rückschlag für Roerich, der in der festen Überzeugung aufgebrochen war, dass die Bewohner der Region ihn ohne Zögern zum neuen Dalai Lama küren würden. Nicht nur das blieb aus, auch die Mahatmas weigerten sich beharrlich, in Fleisch und Blut aufzutauchen.

Die Roerichs wären nicht die Roerichs gewesen, wenn solche Fehlschläge sie entmutigt hätten. Kaum war die Expedition auf Umwegen in Indien angelangt, meldeten sich die Mahatmas wieder zu Wort, diesmal mit einem neuen Auftrag: der Gründung eines Forschungsinstituts in den Bergen unweit von Darjeeling. Von hier aus koordinierte Helena von nun an brieflich die weltweiten Aktivitäten der Roerich-Anhänger – die sich bis heute finden lassen –, während Nikolai allein zur zweiten, schließlich zur dritten Expedition aufbrach.

Dem ersten Fehlschlag aber folgten weitere. Eine enge Vertraute der Roerichs war plötzlich überzeugt, die Funksprüche der Mahatmas selbst empfangen zu können, worauf sie ihren einstigen Gurus den Rücken kehrte und den Hauptfinanzier der Bewegung gleich mitnahm. Als Nikolai Roerich kurz darauf in der Inneren Mongolei bei undurchsichtigen Waffengeschäften erwischt wurde, wurde die Sache schließlich seinen Unterstützern in der amerikanischen Politik zu heiß. Man ließ ihn fallen – er hatte den Bogen überspannt. Er starb 1947 in Indien.

Das alles ist in seinen Einzelheiten noch weitaus verblüffender, als es hier angedeutet werden kann, und man liest diese packend erzählte Biografie von der ersten bis zur letzten Seite mit ungläubigem Kopfschütteln. Zu verdanken ist das nicht nur dem Stoff, sondern auch dem Autor: Waldenfels gelingt genau die Balance zwischen Nähe und Distanz, die bei einem derart esoterischen Thema geboten, aber schwer zu treffen ist.









– Ernst von Waldenfels:
Nikolai Roerich. Kunst, Macht und Okkultismus. Osburg Verlag, Berlin 2011, 559 Seiten, 26,90 Euro.

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