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Mephisto lässt grüßen. Becker als Pluto. Foto: Joachim Fieguth

© Joachim Fieguth

Kultur: Der Höllenbengel

„Mittlerweile singe ich vom Blatt“: Ben Becker über sein Opern-Debüt in „Orpheus in der Unterwelt“.

Herr Becker, wie stellen Sie sich die Hölle vor?

Viel Feuer, viel los! Im besten Fall nicht böse, sondern eine gute Party. Aber ich glaube nicht wirklich an die Hölle.

An der Staatsoper herrschen Sie jetzt in Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ über den Hades.

Ich spiele Pluto, den Höllenhund. Wie der Tagesspiegel schrieb: „Was liegt näher“. Dabei sollte ich ursprünglich Jupiter übernehmen. Das wäre untypisch für Ben Becker gewesen, was den Regisseur Philip Stölzl und mich gerade interessiert hat. Aber da habe ich in musikalischer Hinsicht weiche Knie bekommen.

Zu naheliegend, das unkten manche schon, als Sie den Tod im Salzburger „Jedermann“ übernommen haben.

Wenn die mich in Salzburg nur engagiert hätten, weil ich diesen Blödsinn gemacht habe (gemeint: Beckers Drogenkollaps mit Herzstillstand 2007), hätte ich denen in den Hintern getreten. Das war aber glücklicherweise nicht der Anlass. Vielleicht verkauft es trotzdem die eine oder andere Theaterkarte mehr, bitte! Beim „Orpheus“ gab es eine frühe Figurine für meinen Part, die sah wie ein Rocker aus. Da bin ich an die Decke gegangen: Das kann nicht euer Ernst sein, Leute, geht’s vielleicht noch klischeehafter? Ich finde es langweilig, auf eine Schiene festgelegt zu werden. Da bringe ich lieber Fotos von Gustaf Gründgens an, jetzt hat der Pluto was von Mephisto, aber spaßig.

Sie spielen doch selbst mit den Klischees und nennen sich den „Rockstar unter den Schauspielern“.

Das ist auch eine Art Panzer, den ich mir zugelegt habe. Das Dumme ist nur, wenn man im Spiel ernster genommen wird, als man will, und alles missverstanden wird. Wenn ich für die Platte „Wir heben ab“ meiner Band Zero Tolerance einen Song schreibe, der „Hell Angels“ heißt, und alle sagen: Klar, der Becker macht einen Rocker-Song. Dabei erzähle ich darin von einem kleinen Jungen, der im Kinderzimmer ein Superman-Comic liest und sich wünscht, fliegen zu können. Irgendwie unschlagbar zu sein, wie ein Hells Angel, der sein eigenes Gesetz ist.

Wie viel lyrischer Tenor wird denn vom Sänger Ben Becker erwartet?

Ich habe eine Arie, das reicht mir auch, die ist nicht ohne. Als Schäfer Aristeus – in den verwandelt sich Pluto anfangs – bin ich von einem Chor von Damen umgeben, die als Gänseblümchen verkleidet sind, ich selbst sehe mit Zottelbart und dickem Schaffellmantel aus wie ein in die Jahre gekommener Jesus, das Krippenspiel ist ein Witz dagegen. Offenbach ist nicht einfach zu singen, ich habe daran mit einem Korrepetitor schwer gearbeitet.

Singen ist schlimmer, als auf der Bühne nackt zu sein?

Entblößen kann man sich auf die eine oder andere Weise. Das kann auch komisch sein. Wenn ich den Leuten die Möglichkeit gebe, über mich zu lachen, soll’s mir recht sein. Ich habe unterwegs jedenfalls viel gelernt. Und mittlerweile singe ich vom Blatt.

Mit der Welt der Oper sind Sie bislang nicht groß in Berührung gekommen, oder?

Das liegt so weit zurück, dass ich mich nicht daran erinnern kann. Als mein Vater Rolf Becker als Oberspielleiter für die Bremer Oper zuständig war, gab es einen Versuch, mich in „My fair Lady“ auf die Bühne zu stellen. Da hatte man es aber mit einem schreienden Vierjährigen zu tun, der umbesetzt werden musste. Das war die letzte Berührung. Abgesehen von den Salzburger Festspielen, die sind eine einzige große Oper. Ich habe immerhin mit Anna Netrebko auf dem Tisch getanzt.

Wie viel Freiheit lässt Ihnen der Regisseur?

Viel. Ich bin aus Stölzls Regie noch nicht schlau geworden. Ich glaube, er weiß genau, was er will, lässt sich aber nicht in die Karten schauen. Es gab eine Phase, da wurden mir jeden Tag neue Texte auf den Garderobentisch gelegt, gleich seitenweise. Und es sind ja ziemlich umgangssprachliche Texte, die Librettist Thomas Pigor schreibt. Der Offenbach wurde komplett umgemodelt, was besonders schwer zu lernen ist. Da taucht plötzlich die heiße Hexe Hildegard neben der geilen Annegret auf, und ich soll mir das alles merken.

Das Vertrauen in Stölzl haben Sie aber nicht verloren?

Ich muss ihm vertrauen, tue ich auch, weil ich seine Arbeiten sehr schätze. Das Beste ist sein „American Pie“-Video mit Madonna. Er hat mit Rammstein gearbeitet, macht Werbung und Oper. Er ist vielseitig, was ich sehr schätze. In Deutschland darf man das ja eigentlich nicht sein.

Sie gelten als Rüpel. In ihrer jüngst erschienenen Autobiografie schreiben Sie, wenn schon Etikett, dann bitte „Enfant terrible“.

Ja, das hat was von „Krieg der Knöpfe“, damit kann ich was anfangen. Dieses Rüpel-Image stimmt einfach nicht. Aber Schubladen müssen offenbar sein.

Wie möchten Sie gesehen werden?

Als ernst zu nehmender Künstler, der sich in vielen Sachen ausprobiert. Wenn ich touren gehe, wie jetzt mit einer Lesung von John Donne und Joseph Brodsky, ernst zu nehmende Themen also, und ich die Leute damit zum Heulen bringe, fühle ich mich verstanden. Da sagt keiner: Das ist aber ein Rüpel!

–Das Gespräch führte Patrick Wildermann

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