zum Hauptinhalt

Kultur: Der Hüter seiner Leidenschaften

Sol LeWitt, einer der bekanntesten Vertreter der Minimal Art, schrieb 1969: "Das Werk eines lebenden Künstlers soll Eigentum des Künstlers bleiben. Ein Sammler ist sozusagen der Hüter des Kunstwerks".

Sol LeWitt, einer der bekanntesten Vertreter der Minimal Art, schrieb 1969: "Das Werk eines lebenden Künstlers soll Eigentum des Künstlers bleiben. Ein Sammler ist sozusagen der Hüter des Kunstwerks". Als hätte er den zweiten Satz verinnerlicht, sieht der Kunstsammler Egidio Marzona dem Aufbau seiner Kollektion im Beuys-Flügel des Hamburger Bahnhofs wohlwollend zu, schließlich weiß er sie in guten Händen. Seine ruhige Ausstrahlung hat nichts mit jenen selbstherrlichen Mäzenen gemein, die den Begriff des "Sammlerfürsten" prägten. Allüren sind ihm fremd.

Vielleicht würde der passionierte Raucher jetzt gern eine Pfeife anzünden, aber auf einer Transportkiste im Ausstellungsraum sitzend ist das selbst ihm nicht gestattet. Dabei gehörten all diese Arbeiten von Carl Andre, Mario Merz, Richard Long oder Donald Judd einmal ihm. Und die Schau "Probation Area" wird nur einen kleinen Ausschnitt seiner Sammlung zeigen, die insgesamt fast 1000 Werke umfasst: Zeichnungen, Bilder, Skulpturen und Installationen der Minimal Art, Konzeptkunst, Arte Povera und Land Art, die sich wie ein "missing link" in den Bestand der Stiftung Preußischer Kulturbesitz einfügen und ihn optimal ergänzen.

Dem Rummel um seine Person entzieht Marzona sich gerne. Wie ein Nachruf würde sich mancher Artikel zu seiner Person lesen, sagt er mit einem skeptischen Schmunzeln. Ein großspuriger Gönner ist der weitsichtige Sammler keineswegs, eher freundlich und bescheiden. Konzentriert hört er sich die Fragen an, spricht dann leise in präzisen Sätzen - klare Antworten freilich erhält man selten.

Geboren wurde der Sammler mit dem italienischen Namen 1944 in Bielefeld. Zunächst steigt er als Ingenieur in das florierende Betonsteinwerk seines Vaters ein, aber das Interesse an der Kunst treibt ihn in den sechziger Jahren nach Düsseldorf. Marzona lernt zahlreiche Künstler kennen, vor allem prägt ihn die enge Freundschaft mit dem Galeristen Konrad Fischer. Mit ihm teilt er die Begeisterung für die neuen Kunstströmungen, bei ihm kauft er auch sein erstes Bild: ein weißes Ölgemälde von Robert Ryman. Nach einer kurzen Episode als Galerist , entscheidet sich Marzona für eine verlegerische Tätigkeit und spezialisiert sich mit der Edition Marzona auf Kunst und Design der zwanziger Jahre.

"Ich habe Bücher gemacht" sagt er lapidar und meint damit Standardwerke wie die kunstwissenschaftlichen Publikationen über die Fotografie am Bauhaus, wegen der er jeden noch lebenden Schüler kennen gelernt hat. Die Begeisterung für das gedruckte Werk spiegelt sich auch in dem Herzstück seiner Kunstsammlung wieder: dem nahezu vollständigen Archiv zur Konzeptkunst.

Dieses Archiv umfasst etwa 50 000 Objekte: Einladungskarten, Kataloge, Plakate, Künstlerzeitschriften, Manifeste, Fotografien, Entwürfe - Forschungsmaterial für ganze Generationen von Wissenschaftlern. Sie erzählen die Geschichte und die Umstände der konzeptuellen Kunst auf einzigartige Weise nach. Diese in einer Art Forschungszentrum zugänglich zu machen, ist Marzonas größter Wunsch. Denn schon in den letzten Jahren konnte er den zahlreichen Anfragen von Kunst- und Kulturhistorikern kaum mehr nachkommen, schließlich umfassen Archiv und Sammlung auch zahlreiche Künstler, die es wiederzuentdecken gilt.

Marzona hat das Grundprinzip in der Kunst gewahrt, mit der eigenen Generation zu wachsen. Deshalb geht der Autodidakt zwar gerne auf Expedition, unternimmt Ausflüge in andere Epochen und Kulturregionen, sammelt zeitweise ganz junge oder afrikanische Kunst, Klassische Moderne oder Konstruktivismus. Doch den 60er und 70er Jahren bleibt er dabei bis heute treu.

Die Kollektion, die anfangs fast beiläufig, dann aber mit einer enzyklopädischen Verantwortung entsteht, ergänzt er systematisch in den 80er Jahren. Selten erwirbt er dabei etwas auf Kunstmessen. Überforderung spüre er angesichts der inflationären Massen. Vielmehr sucht er das Gespräch mit Künstlern oder Galeristen in einem intimeren Rahmen. Wer ihm gegenüber sitzt, der ahnt: Marzona ist jemand, der es versteht, nach Kräften zu feiern. Aber er gehört eben auch nicht zu denen, die schenkelklopfend Anekdoten von wilden Künstlerpartys erzählen. Im Gegenteil. Ja, lässt er sich entlocken, mit Richard Long verbinde ihn eine Art Freundschaft, aber längst nicht mit allen Künstlern, deren Werke er kauft. Zu manchem habe er ein regelrecht angestrengtes Verhältnis.

Die Künstler wiederum scheinen in dem 57-Jährigen eben jenen Hüter der Kunst zu erkennen, den Sol LeWitt einst forderte. Dan Graham etwa bezeichnet ihn freundschaftlich als seinen Lieblingssammler. Gern nahm der Amerikaner dann auch Marzonas Einladung in das norditalienische Refugium des Sammlers an, das 300-Seelen Dorf Verzegnis: Dort realisierte er als Außenskulptur einen Glaspavillon. "Sein Meisterwerk" , sagt Marzona und für einen Moment wird seine Begeisterung für diese Kunst spürbar. Im Laufe der Jahre entstanden in der rauen Gebirgslandschaft Installationen von Lawrence Weiner, Richard Long, Sol LeWitt, Richard Serra und Bruce Nauman. Dessen Betonpyramide ist so groß wie ein dreistöckiges Haus. Dem Skulpturenprojekt gilt jetzt Marzonas ganze Leidenschaft: Den Erlös aus der Sammlung will er für dessen Weiterführung verwenden.

Dabei schenkt Marzona ein Drittel der Kollektion der Stadt Berlin. Ein Drittel bleibt Dauerleihgabe für 15 Jahre. Das letzte Drittel erwirbt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz für zwölf Millionen Mark. Die Wahl überließ der Sammler dabei den Käufern, ihm selbst sind alle Werke gleich wichtig. Es ist eine angenehm klare Regelung, ohne Falltüren und doppelte Böden, ohne verborgene Absprachen, die das Museum zum Handlanger einer Privatperson machen könnten.

Was gab für Marzona den Ausschlag, seine Sammlung ausgerechnet Berlin zu überlassen? Neben internationalen Interessenten hatte sich vor allem die Kunsthalle seiner Geburtsstadt Bielefeld Chancen ausgerechnet, nachdem sie in diesem Jahr eine große Ausstellung der Sammlung ausgerichtet hatte. Marzona hält sich bedeckt.

Vielleicht passe Berlin in seiner kontinuierlichen Wandlung besser zu der prozessualen Kunst, die er gesammelt hat, weicht er aus. Der Deutsch-Italiener verbringt mittlerweile viel Zeit in der Hauptstadt, aber festlegen will er sich auch hier nicht. Mindestens ebenso oft ist er in New York, wo sein Engagement der ersten Adresse für ganz neue Kunst gilt: dem freien Kunstzentrum P.S.1 . Oder er hält sich in Verzegnis auf, jenem Dorf im Friaul, aus dem seine Familie Ende des 19. Jahrhundert ausgewandert war. Marzona konnte den alten Besitz seiner Großeltern wieder erwerben.

Marzonas Person bleibt schemenhaft - wie die Kunst, die sein Leben begleitet. Ob er von der Ausstellungseröffnung am kommenden Mittwoch klammheimlich verschwindet oder ob er ein rauschendes Fest feiern wird, lässt er offen.

Katrin Wittneven

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false