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Kultur: „Der Hunger ist groß“

Berlin, Moskau: Volker Diehl eröffnet als erster Galerist aus dem Westen eine russische Dependance

Herr Diehl, Moskau ist als Kunststandort stark im Kommen. Sie kennen die Stadt sehr gut. Ist es trotzdem Pionierarbeit, die Sie da leisten?

Es ist schon etwas anderes, in Moskau eine Galerie zu eröffnen als in New York oder London. Russland ist ein Land, in dem sich die Dinge sehr schnell ändern. Damit muss man klarkommen. Auch Geschäfte und Verträge schließt man anders ab. Das lernt man erst, wenn man da ist.

Zum Auftakt zeigen Sie zwei imposante, extra für Ihren Raum entwickelte Leuchtschriftinstallationen der Konzeptkünstlerin Jenny Holzer. Diese blinkenden, recht politischen Aussagen mit dem Titel „Truisms", waren in Russland noch nie zu sehen. Ist das Ihr Ziel, etablierte, internationale Künstler nach Moskau zu bringen?

Ja, ich möchte Dinge zeigen, die in Moskau noch nie zu sehen waren. Im Westen leiden die Leute meist an Überfütterung und Langeweile. Das ist manchmal schade, aber auch verständlich: Es gibt eben ein Überangebot an zeitgenössischer Kunst. In Moskau ist es genau umgekehrt, da ist der Hunger groß und das Interesse riesig, das möchte ich auf jeden Fall nutzen und dort erstklassige, internationale Kunst aus dem Westen zeigen. Peu à peu werde ich auch jüngere Künstler und speziell russische Künstler in das Galerieprogramm integrieren. Etwa Olga Chernysheva, eine Künstlerin, mit der wir im Herbst eine Ausstellung planen.

Was bieten Sie dem Moskauer Publikum, unter dem Namen „Diehl + Gallery One“?

Die Galerie ist größer als in Berlin, mehr eine kleine Kunsthalle. Sie liegt an der Smolenskaya Straße, die Richtung Westen führt. Eine schöne Gegend. Alle kommen da vorbei, wenn sie am Wochenende in ihre Datschen fahren. Gegenüber der Galerie liegt das Regierungsgebäude der russischen Föderation, nebenan die Britische Botschaft. Mich kennt in Moskau niemand, die Adresse dagegen jeder. In den Räumen befand bis in die Neunziger der russische staatliche Kunsthandel „Gallery No.1“ – lange die einzige Stelle, an der Kunst verkauft wurde. Der Name „Diehl + Gallery One" greift das auf.

Russische Sammler werden schon jetzt als die bedeutendste Kraft auf dem Kunstmarkt gefeiert. Lockt Sie dieses Potenzial?

Es gibt eine kleine Gruppe sehr, sehr wohlhabender Sammler wie Pintschuk und andere, die im großen Stil zeitgenössische, internationale Kunst kaufen. Alles, was Rang und Namen hat. Aber das ist eine relativ kleine Szene. Wenn man nachzählt, dann kommt man auf eine Zahl von russischen Sammlern, die finden Sie in jedem besseren Häuserblock auf der Upper East Side in New York.

Wer ist dann Ihre Klientel?

Neben den wenigen Sammlern, die mit großem Glamour teure Kunst kaufen, gibt es eine junge Generation um die dreißig, die gute Geschäfte macht und damit viel Geld verdient. Der Mittelstand ist in Russland wohlhabender als hier. Diese Menschen besuchen auf ihren Reisen Kunstmessen und Ausstellungen, und was sie besitzen, vergleichen sie mit dem, was im Westen gesammelt wird. Diese Klientel ist wichtig für mich. Wir verkaufen nicht jeden Tag für Millionen. Ich verkaufe sowieso nicht jeden Tag Kunst. Aber wenn wir mehrmals im Monat auf einem Level von 20 000 bis 25 000 Dollar Kunst verkaufen, dann ist es das Geschäft, auf das ich hinarbeite.

Sie arbeiten mit einem Sammler namens Dimitrij Chichikashvili zusammen. Chichikashvili gehört auch das Gebäude, in dem sich Ihre Galerie angesiedelt hat.

Im Prinzip hat mich Chichikashvili, dessen Sammlung unter dem Namen „Kira Foundation“ in Erscheinung tritt, erst darauf gebracht, in Moskau eine Galerie zu eröffnen. Erst wollte er selbst in den Räumen etwas machen. Dimitri Chichikashvili sammelt seit einigen Jahren junge, zeitgenössische Kunst. Ich berate ihn, und er wird in Zukunft intensiver entlang des Galerieprogramms sammeln.

Wie positionieren Sie sich inhaltlich?

Eine inhaltliche Ausrichtung haben Galerien heute eigentlich nicht mehr. Mich interessieren die massiven Auswirkungen der Globalisierung. Deswegen vertrete ich neben Amerikanern und Europäern auch indische, koreanische oder russische Künstler. Mich interessiert, wie Künstler aus vollkommen unterschiedlichen kulturellen, geschichtlichen und ökonomischen Zusammenhängen ihr Umfeld reflektieren. Da fühle ich mich oft wie ein Kind. Ich war gerade in Dubai und habe mit großen Augen gesehen, dass ein paar Galerien dort ganz großartige arabische Künstler zeigen. Das finde ich spannend. Auch in Moskau will ich nicht nur Dinge zeigen, die man dort noch nicht gesehen hat, sondern frage mich: Wo brodelt es im Untergrund, wo entstehen neue Strömungen? Und da ist es natürlich besser, wenn man vor Ort ist und nicht nur anreist.

Werden Sie häufig selbst vor Ort sein?

Ja, ich werde zwischen Berlin und Moskau pendeln. Es gehen pro Tag acht Flüge von Berlin, ich habe ein Jahresvisum, man ist in zweieinhalb Stunden da. Ich kann also um Mitternacht fliegen, bin morgens in Moskau, lege mich zwei Stunden hin und kann den ganzen Tag arbeiten.

Progressive, kritische Kunst kommt in Russland nicht immer gut an. Müssen Sie mit Problemen rechnen?

Eigentlich ist Zensur kein Problem. Ich kenne keine Ausstellung, die geschlossen wurde oder von staatlicher Seite irgendwie zensiert worden wäre. Manchmal gibt es Probleme mit dem Zoll. Von Blue Noses sind über 20 Arbeiten konfisziert worden, als sie letztes Jahr für eine Ausstellung in Paris ausgeführt werden sollten. Wenn es Probleme mit dem Zoll gibt, geht es immer um politische Kunst, bei der Personen wie Putin kritisiert oder ironisch dargestellt werden. Man begründet es damit, dass man nicht möchte, dass ein falsches Bild von Russland entsteht. Das ist absurd, aber da hat es ja auch international genug Aufregung gegeben. Ich vermute deshalb, dass sich so etwas nicht wiederholt.

Wie kann man sich den lokalen Galerien gegenüber behaupten?

Ich bin mit allen Galerien dort gut befreundet. Das ist vielleicht das Beste, was man mitbringen kann. Die lokale Szene ist aber alles andere als groß. Da sind fünf Galerien, die sich auf russische Kunst konzentrieren. Fünf Galerien arbeiten russisch und international, wie die kürzlich gegründete GMG Gallery. Das ist im Prinzip gar nichts für eine so große Stadt. Alles, was ich jetzt sage, kann allerdings morgen schon anders sein. So ist Moskau.

Werden Sie jetzt auch mehr Kunst aus Russland in Berlin zeigen?

Nicht unbedingt, ich möchte nicht zum Russland-Experten werden. Meine Neugierde ist zu groß, als dass ich mich allein auf dieses Land konzentrieren würde. Aber es ist natürlich klar, dass der Anteil der russischen Künstler steigen wird.

Das Gespräch führte Birgit Rieger.

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