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Kultur: Der Image-Transfer

Claudia Schiffer wirbt für das Holocaust-Mahnmal – und 27 Komponisten setzen ein Klangdenkmal

Das Denkmal pocht und zittert. Es kratzt, zirpt und schreit. Schroff, hymnisch, irisierend. Klagend, unerbittlich. Finster, versonnen. Feierlich, zart. 27 Komponisten haben eine sechzehntaktige Melodie des Jazz-Musikers Coco Schumann bearbeitet. „Jedes liebe Wort“ heißt das wehmütige Lied des ehemaligen Auschwitz-Häftlings. „Klangdenkmal für die Opfer des Holocaust. Variationen für Streichquartet“ heißt das korrespondierende Kollektiv-Opus aus 26 Miniaturen, die kürzeste 54, die längste 182 Sekunden. Heute wird es erstmals in Berlin aufgeführt. An der guten Absicht der Unternehmung, die der Deutsche Komponistenverband vor drei Jahren einstimmig beschlossenen hatte, braucht man nicht zweifeln. In die Erinnerungsmusikgeschichte nach Auschwitz, an deren Anfang Arnold Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ stand, wird diese Collage aus beliebigen Stimmungsfragmenten allerdings kaum eingehen.

Doch muss sich eine Kreation zum Komplex „Holocaust“ überhaupt durch Qualität legitimieren – erwirbt sie ihre Außerordentlichkeit nicht schon durch das Thema, dem sie geweiht wurde? Bereits im Vorfeld des saisonalen Novembergedenkens hat die Frage nach der Würde eines Beitrags zur nationalen Denkmalpflege die Öffentlichkeit erregt: ausgelöst durch zwei Sätze eines TV-Spots. „Zwischen 1941 und 1945 wurden sechs Millionen europäische Juden von Deutschen ermordet,“ sagt in diesem Film der Agentur Kakoii ein naives Stimmchen aus dem Off. „Jetzt, 60 Jahre danach, ist in Berlin mit dem Bau eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas begonnen worden.“ Dazu erklingt Geisterpercussion, der Name des beworbenen Produktes formiert sich als Schatten werfende Letternreihe. Eine Schrift fordert dazu auf, telefonisch drei Euro abbuchen zulassen. Der „Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ nennt sich als Auftraggeber, als letzter Credit erscheint „Gesprochen und unterstützt von Claudia Schiffer“. Seine Gratis-Mitarbeit habe das Starmodell von sich aus angeboten, verbreitete das Büro Kakoii. Die Medien reagierten entsprechend wohlwollend.

Sibylle Quack von der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ reagierte dagegen säuerlich. Vor Journalisten reklamierte die Stiftungs-Geschäftsführerin die Würde des Engagements für eine seriöse Sache, will aber damit nicht (so lautete ihre später nachgereichte Selbsterklärung) auf eine etwaige Würdelosigkeit der Schiffer angespielt haben. Von solcher kann in der Tat keine Rede sein: Das holpernde Organ der 32-Jährigen transportiert den Schulbuch-Text des Spots irritierender als die Betroffenheitstechnik eines Profi-Sprechers. Die Ursache für das hochnäsig interpretierte Statement Frau Quacks liegt denn wohl auch eher in den Differenzen zwischen der staatlichen Denkmal-Stiftung und dem privaten Förderkreis um Lea Rosh: Dort wollte man sich den Kollektenfilm nicht vom Stiftungskuratorium absegnen lassen. Bereits im Sommerloch 2001 hatte ein Spendenplakat des Förderkreises („Den Holocaust hat es nie gegeben“) Skandal gemacht.

Während die Fragwürdigkeit mittelmäßiger „Holocaust-Kunstwerke“ das Publikum so mäßig interessiert wie ein „Klangdenkmal“, das den von seinen Komponisten angestrebten „positiven Beitrag zur langwierigen Debatte um das Holocaust Denkmal“ vermissen lässt, steht das geplante Denkmal selbst bei banalen Anlässen im politischen Rampenlicht. Zur politischen Dimension dieses Bekenntnisbaus der Republik gehört seine Akzeptanz von oben und von unten: Es wurde beschlossen vom Parlament, dessen Willen die Stiftung nun ausführt; es war initiiert worden durch den Förderkreis, der einen Teil der Baukosten als Ausdruck breiter populärer Zustimmung an der Basis sammeln will. Spendenaufrufe allerdings, so schrieb das Kuratoriumsmitglied Julian Nida-Rümelin dieser Tage – anlässlich der Claudia-Schiffer-Debatte – an Lea Rosh, dürften dem Bürger nicht vermitteln, dass die Finanzierung unsicher sei und die Regierung ihren Job vernachlässige. Nein, nicht nur übers Geld entstehe Basis-Zustimmung! betont zudem die Geschäftsführerin Quack. Sie ärgert sich, dass höchstens bei Etatfragen zum Denkmal noch aufgemerkt werde sowie bei geplatzen Terminen (bislang fanden lediglich Erdarbeiten statt, der Baubeginn musste auf Grund einer zweiten Aussschreibung ins Frühjahr verschoben werden). Eine inhaltliche Debatte finde gar nicht mehr statt.

Wo die inhaltliche Dimension des Unternehmens, das weithin als moralpolitische Formalie begriffen wird, kaum noch interessiert, ist aktive Bevölkerungs-Zustimmung schwer zu mobilisieren. In dieser Situation hat das beliebte Gesicht Frau Schiffers dem Förderkreis für sein Produkt Holocaust-Denkmal den hilfreichen Image-Transfer angeboten. Die Verantwortungs-Geste einer werdenden Mutter! Oder funktioniert der Transfer umgekehrt – und Deutschlands berühmteste Schönheit benutzt das spektakulärste Bauwerk des Landes für den Karriereschritt zur seriösen Unicef-Botschafterin... Auf keinem moralisch aufgeladenen Feld erklingt die Forderung nach selbstlosem Einsatz und der Vorwurf des Eigennutzes so scharf wie beim Thema Holocaust.

Shoahbusiness? Journalisten verdienen ihr Geld mit Artikeln, die das obzönste Kapitel der Geschichte behandeln, den industriell durchgeführten Völkermord. Eine Geschäftsführerin leitet die Stiftung für ein Denkmal, das ermordeten Juden gewidmet ist. Ein Regisseur verzichtet auf Einnahmen seines erfolgreichen Films zum Thema Judenmord, hat aber sein Oeuvre mit diesem Werk maßgeblich abgerundet. Komponisten produzieren ein Klangmonument zur Erinnerung an die Opfer und eine CD, die ihre Namen trägt. Wie rein muss ein Priester der Shoah erscheinen? Die Vorstellung, den Holocaust ernst zu nehmen und zugleich davon zu profitieren, ist für eine Gesellschaft schwer erträglich, in der dieser historische, mythische Komplex die Funktion einer negativen, sinnstiftenden Religion übernimmt.

Jeder, der den Genozid „überlebt“ hat, als Nachgeborener der Opfer oder der Täter, „profitiert“ davon: dass es die anderen waren, die gestorben sind. Das hat mit Shoahbusiness wenig zu tun, um so mehr allerdings mit den Inhalten der Überlieferung ins Heute – mit unserer Gegenwart.

Heute um 19 Uhr führt das Bestehorn-Quartett die Komposition „Klangdenkmal für die Opfer des Holocaust“ in der Berliner Stadtbibliothek auf, Breite Str. 36.

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