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Nie schöner zu sehen. Die Holzskulpturen des Niklaus von Hagenau und der Bilderzyklus des Isenheimer Altars.

© Ruedi Walti

Der Isenheimer Altar erstrahlt neu: Es ist die Höhe

Die Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron verwandeln das Unterlindenmuseum in Colmar in den perfekten Ort für den Isenheimer Altar.

Frankreich befindet sich im Ausnahmezustand. Aus älterem und freudigerem Anlass ist es dieser Tage freilich das Elsass, denn vor allem seine kulturellen Hauptstädte Straßburg und Colmar rühmen sich der schönsten Weihnachtsmärkte. Zumindest der westrheinischen Welt.

Aus Besorgnis um die Sicherheit der Besucherscharen hat Straßburg nun seine gesamte Innenstadt für den motorisierten Privatverkehr gesperrt. Die Polizei lässt nicht einmal Taxis in die Nähe der Hotels, des Münsters, der Museen und Märkte. Völlig anders in Colmar, dem kleineren, südlichen Nachbarn. Die mittelalterliche Altstadt gleicht einer einzigen Weihnachtsmarktbühne, an Fachwerkhäusern toben ab Einbruch der Dunkelheit bunte Lichtinstallationen, Wände und Fenster werden zu virtuellen Adventskalendern, Büsche und Bäume sind schneeweiß besprüht, an Brücken, Kanälen, Plätzen erheben sich Eisskulpturen aus Styropor. Besucher aus aller Welt drängen sich, und zum Glühwein werden neben dem Flammkuchen auch schon mal Austern und Stopfleber gereicht. Aber Polizei ist kaum in Sicht.

Das wird demnächst wohl ein wenig anders sein, wenn nach allem Weihnachtszauber Staatspräsident Hollande im Januar Einzug hält: zur Einweihung des von den Basler Stararchitekten Herzog & de Meuron aufwendig verwandelten Unterlindenmuseums. Noch wird da und dort gehämmert und gebohrt, doch hat das Museum jetzt, ungeachtet des kommenden Staatsakts, seine Tore bereits geöffnet. Und das Publikum strömt.

Es war ja zuvor schon ein Wallfahrtsort, ein Weltmuseum in der Provinz. Hier sieht man Hauptwerke des um 1445 in Colmar geborenen Kupferstechers und Malers Martin Schongauer, dessen späteres Standbild der gleichfalls aus Colmar stammende Auguste Bartholdy entworfen hat, Ende des 19. Jahrhunderts dann besser bekannt als Schöpfer der New Yorker Freiheitsstatue. Man findet auch: Lucas Cranachs fast surreale „Melancholie“. Aber das Juwel bleibt der Isenheimer Altar des Matthias Grünewald. Als Ikone vergleichbar nur mit Werken wie Jan van Eycks Genter Altar oder dem Mailänder Abendmahl Leonardo da Vincis.

Das alte Unterlindenmuseum – eine gotische Klosteranlage, die in Folge der Französischen Revolution teilweise zerstört und Mitte des 19. Jahrhunderts in ein Museum umgewandelt wurde – glich seinen Schätzen zum Trotz lange Zeit einem eher verschlafenen Ort. Ein hübscher Kreuzgang, drumherum indes etwas muffige Ausstellungssäle, dazu in einer fast allen Dekors verlustig gegangenen Kirche mit trübem Licht der Isenheimer Altar, umstellt von Skulpturen.

Der Isenheimer Altar wirkt nun schöner denn je

Jetzt steht der Altar, exquisit beleuchtet, fast ganz für sich: zehn Tafeln und die Predella des um 1475 in Würzburg oder bei Aschaffenburg geborenen, vermutlich 1528 in Halle begrabenen Meisters Mathis, über dessen Leben man wenig weiß. Verbürgt aber ist, neben einigen anderen sakralen Malereien, das zwischen 1512 und 1515 ursprünglich für die Antoniterkirche im Dörfchen Isenheim bei Colmar geschaffene Wunderwerk.

Im Einklang mit den zugehörigen grandiosen Holzskulpturen des Niklaus von Hagenau hat man den Bilderzyklus des Isenheimer Altars nie schöner gesehen. Nie besser dem In- und Gegeneinander der von der Marienverkündigung und Christi Geburt bis zur Himmelfahrt und der Antonius-Legende ausgreifenden Zeitreise folgen können: mit der zentralen Kreuzigungsszene, die den Heilandkörper mit seinen entzündeten Wunden, den von den Nägeln aufgequollenen Füßen und in den schwarzen Himmel hochkrallenden Händen so erschütternd zeigt, wie sonst nur der kurz zuvor gemalte tote Christus von Mantegna, heute in der Mailänder Pinakothek, und das nämliche Motiv bei Holbein, jetzt in der Basler Kunsthalle. Grünewald stellt noch den Täufer Johannes ins Bild, der mit seinem berühmt überlangen Zeigefinger und einer Inschrift darauf verweist, dass der am Kreuz „wachsen“, er, der Mensch, aber geringer werde.

Gewachsen ist nun das Museum, von bisher 4000 Quadratmetern Ausstellungsfläche auf das Doppelte. Und ab 2016 erhofft man sich auch nahezu eine Verdoppelung der im Jahr bislang gut 200 000 Museumsbesucher. Herzog & de Meuron haben im Zusammenspiel mit dem französischen Architekten Richard Duplat für insgesamt 44 Millionen Euro nicht nur das ehemalige Kloster restauriert und beispielsweise die schön bemalten mittelalterlichen Holzbalkendecken freigelegt – sie prunken und punkten mit der erstaunlich kühnen Erweiterung.

Das Unterlindenmuseum ist nun auch unter die Erde gegangen und unters Wasser des durch die Altstadt fließenden Canal de la Sinn. Eine völlig neu geschaffene Traverse mit unterirdischen Galerieräumen führt wieder hoch in ein dem alten Museum gegenüberliegendes ehemaliges Badehaus (erbaut um 1900), außen Neobarock, innen Art déco. Die frühere Schwimmhalle dient künftig als Ort für Vorträge, Konzerte, Performances – und geht über in einen Neubau, der mit hochgiebligem Kupferdach und braun gebrannten Ziegeln an eine mittelalterliche Scheune erinnert und sich elegant in die historische Stadtmitte einfügt.

Otto Dix und der Isenheimer Altar: 2016 plant das Unterlindenmuseum eine große Ausstellung dazu

Hier ist nun Raum für wechselnde Ausstellungen: 2016 ist unter anderem eine Schau mit über 100 Bildern zur Beziehung von Otto Dix zum Isenheimer Altar geplant. Dix, der „entartete Künstler“, war von den Nazis noch 1945 zum „Volkssturm“ eingezogen worden und bis 1946 als Kriegsgefangener in Colmar interniert. Einige seiner Spätwerke zeigt das Unterlinden schon jetzt, ebenso wie die französische Moderne, von Cézanne bis zur heutigen Pariser Künstlerin Agnès Thurngauer, die pop-ironisch auch mal als „Martine Schongauer“ signiert. Hauptwerk des neuen Ausstellungsteils ist freilich eines von drei Exemplaren des von Jacqueline und René Dürrbach im Einverständnis mit Picasso und im Auftrag von Nelson Rockefeller ab 1955 geschaffenen Wandteppichs mit der originalgetreuen Reproduktion von Picassos „Guernica“ (ein anderes Exemplar hängt im Saal des UN-Sicherheitsrates in New York).

Man erblickt Colmars „Guernica“ übrigens auch von außen durch eines der von Herzog & de Meuron graziös eingefügten Spitzbogenfenster – eine spielerische Hommage an die hier allen künstlerisch-architektonischen Ursprung bestimmende Gotik. Und dazu passt jetzt ein Abstecher nach Straßburg. Dort zeigt das beim Münster im Haus der ehemaligen Dombauhütte befindliche großartige kleine Musée de l’Œuvre bis zum 14. Februar „Die gotische Revolution“. Zur Tausendjahrfeier seit Grundsteinlegung des Münsters präsentieren sich kostbarste mittelalterliche Leihgaben (auch aus den Staatlichen Museen Berlin): Handschriften, Inkunabeln, Skulpturen, viele Originale von der heute aus konservatorischen Gründen mit Kopien versehenen Münster-Fassade. Die „Revolution“, nach der Romanik, galt der neuen architektonischen Höhe, dem Licht und einem Menschenbild, das seitdem auf Erden schon aufwärts strebt, nach den Sternen langt.

Weitere Informationen im Internet unter www.musee-unterlinden.com sowie www.musees-strasbourg.org

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