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Kultur: Der John-Wayne-Effekt

Theatertreffen: Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“ – und der Stückemarkt

Eine hartnäckige, vor allem deutsche Theaterlegende behauptet seit ihrem Welterfolg „Kunst“, Yasmina Reza sei eine „Boulevardautorin“. Das war immer Quatsch – oder hat immer gestimmt. Wenn auf diesem Boulevard nämlich schon Tschechow, Oscar Wilde oder Arthur Schnitzler gewandelt sind. Nun, beim Gastspiel der Zürcher Uraufführung des neuen Reza-Stücks „Der Gott des Gemetzels“, haben wir so irrsinnig, so hellsinnig, so aberwitzig lachen müssen über Jürgen Goschs Inszenierung und die vier fabelhaften Schauspieler, dass man den Genrestreit nur noch begraben kann. Auf dem Schlachtfeld der Komödie.

Zwei gutbürgerliche Pariser Eltern- paare treffen sich, um friedlich, liberal und modern darüber zu sprechen, dass der elfjährige Sohn von Anne und Alain dem gleichaltrigen Sohn von Véronique und Michel im Streit zwei Schneidezähne ausgeschlagen hat. Was so wunderbar aufgeklärt und begleitet von Espressi und Véroniques fabelhaftem Apfel-Birnenclafoutis beginnt, endet in einer Orgie wechselseitiger Beleidigungen, Handgreiflichkeiten und dem Dammbruch aller zivilisatorischen Schranken. Alain, den Michael Maertens bis in die eiserne Elastizität eines erfolgreichen Wirtschaftsanwalts gibt, sagt irgendwann: „Wenn man mit dem Männerbild von John Wayne aufgewachsen ist, hat man wenig Lust, so eine Situation mit Konversation zu bereinigen.“ In solchen Momenten droht dann auch Tilo Nests wunderbar weicheiernder Michel „zum Gegner überzulaufen“.

Also werden die Frauen zu virtuosen Megären. Wenn Corinna Kirchhoffs Anne, eine leicht ätherische Vermögensberaterin, der kreischenden Véronique alias Dörte Lyssewski das Clafoutis auf ihre Kunstkataloge kotzt („Mein Kokoschka!!!“), dann explodiert auch im Deutschen Theater jede Grenze des korrekten Geschmacks. Es ist einfach: saukomisch. Und in der feinen, scharfen Frauenmännermenschen-Beobachtung in tausend Details von höchster Kunst. Sei’s diesmal auch mehr Boulevard. Aber selbst darüber hat Goschs ingeniöse Regie in Johannes Schütz’ halb abstrakten Kampf-Raum elegant hinweggespielt.

An richtig tollen Abenden spürt man als Theaterzuschauer, wie ein Text lebendig wird. Wie er den Raum erfüllt und gleichzeitig Denkräume jenseits des konkreten Bühnengeschehens öffnet. Man muss das wohl – Poesie nennen. Die von Andreas Kriegenburgs eingerichtete szenische Lesung von Maria Kilpis Stück „Wie ärgerlich!“ (Originaltitel: „Harmin Paikka“) hatte diese Poesie. Katharina Behrens als Enkelin und die wunderbar bittersüß spielende Katharina Matz als Oma sitzen darin an zwei Tischen. In einer einzigen, ruhig mäandernden Ausweichbewegung reden sie eben nicht über die Vergangenheit, über das alte Haus auf der anderen Seite des Flusses, über die Vertreibung der Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Leerstellen der Erinnerung werden nur behutsam umtastet. So entspinnt sich eine Weihnachtswehmutsgeschichte, die mit der stillen Stimmung der auf zwei Leinwände projizierten, überlebensgroßen Fotoporträts der Spielerinnen wunderbar korrespondiert.

Nur zu begrüßen ist die Entscheidung der Jury des „Förderpreises für neue Dramatik“, die mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung an die 28-jährige Finnin zu vergeben. Kilpis Stück wird im Dezember am Maxim Gorki Theater uraufgeführt. Die Bundeszentrale für politische Bildung ermöglicht dieses besondere Bonbon 2007 zum ersten Mal. Auch wurde erstmals ein Werkauftrag vergeben. Der Dramatikerworkshop-Teilnehmer Philipp Löhle muss sich jetzt ranhalten. Bis Dezember muss sein Stück fertig sein, das dann am Schauspielhaus Wien uraufgeführt und an einem deutschen Theater nachgespielt wird.

Volker Schmidts „Mountainbiker“ hatten bereits vergangenen Sonntag beim Heidelberger Stückemarkt abgeräumt. In Berlin ging der 1976 geborene Österreicher leer aus. In der von Peter Kastenmüller eingerichteten szenischen Lesung bewegen sich Schmidts schlau überzeichnete Figuren durch grundsätzliche Krisen. „Unser Leben ist wie eine Dotcom- Blase“, sagt die Innenarchitektin Anna zu ihrer pubertierenden Tochter. Und am Ende ist zwar das Sinnvakuum nicht gefüllt, aber wenigstens die Blase geplatzt.

Die Krisen in Ali Taylors Coming-of- Age-Stück „Watte“ („Cotton Wool“) sind da viel konkreterer Natur. Zwei Jungs am Strand, die durch ein Fernglas schauen, und ein Mädchen, das durch einen löchrigen Kiesel in den Himmel blickt. Die szenische Einrichtung von Annette Pullen setzt diese Bilder kongenial um. Denn Rafael Stachowiak und Stefan Konarske als die Waisenbrüder Callum und Gussie sowie Lavinia Wilson als Harriet lesen ihren Text nicht vom Zettel ab, sondern von einer Leinwandprojektion. Telepromptertechnik! Britische Losergeschichte! Seehund-Meergeister! Letztlich aber transportiert der Text kaum mehr als ein „Wir sind jung! Uns geht’s mies! Lasst uns was draus machen!“

Mies geht’s auch Toteau, der Protagonistin von Arna Aleys Stück „4 ½“. Vier Liebhaber hat die 20-Jährige gehabt. Diese Eigentlich-Nicht-Beziehungen haben ihr Sexleben verkorkst und treiben sie in den Selbstmord. Dass Aleys Text während der Lesung gar nicht erst zum Leben erwacht ist, lag zuallerletzt an den Schauspielern (Samuel Finzi! Katrin Angerer!). Sondern vielmehr an der schlappen Hauptfigur: „Samuel sagt, ich wäre wie ein erwachsen gewordenes Rotkäppchen: Das Lunchpaket hätte ich bei der Oma längst abgegeben, aber eine neue Aufgabe hätte ich von keinem zugeteilt bekommen.“ Jan Oberländer

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