zum Hauptinhalt

Kultur: Der Klang des Kapitals

Wagner auf Originalinstrumenten: Simon Rattle gibt sein „Rheingold“-Debüt in Baden-Baden

Simon Rattle ist der Dirigent des glücklichen Augenblicks. Wenn das Dunkel sich lichtet, genießt er den köstlichen, kostbaren Moment und schwelgt darin. Das Heiter-Gelöste ist sein Metier. Und wenn alles nichts hilft: Wenigstens die Sehnsucht nach dem Glück will besungen sein.

Nun gibt es im „Rheingold“ weniger große Momente des Glücks als zahlreiche fiese, kleine Gemeinheiten: Betrug, Tücke, Intrige – von der Geiselnahme bis zum Totschlag. Der Mensch ist des Menschen Neider, selbst wenn er in Gestalt von Göttern, Riesen und Zwergen daherkommt. Dass sich Rattle bei seinem „Ring“-Debüt nun zunächst das „Rheingold“ vornimmt, ist deshalb erstaunlich genug. Zumal er die wenigen lieblichen Stellen – Freias Rückkehr in die Götterfamilie, Frickas Beschwörung der Liebe, die bei aller bürgerlichen Gattinnen-Spießigkeit so gar nicht zickig daherkommt, die herzerweichende Sehnsuchts-Sexte des Entsagungsmotivs – tatsächlich zelebriert. Selbst dem amorphen Beginn, dem schier endlosen Naturweben im immergleichen Es-Dur, ringt er Kantilenen ab.

Und was macht Simon Rattle an diesem konzertanten, von 3sat live übertragenen Wagner-Abend im Festspielhaus Baden-Baden mit all der Gemeinheit, dem Eifern und Geifern? Er wirft einen coolen Blick darauf. Als sei Wagner nicht Spätromantiker, sondern ein Zeitgenosse von Brecht und Weill. Die Sänger: keine voluminösen Wagner-Organe, sondern ein auf dem begrenzten Podium nach Kräften agierendes (manchmal auch chargierendes) Typen-Kabinett in farblich auf die Charaktere abgestimmten Kostümen. Oleg Bryaks Alberich: einer mit Mut zur hässlichen Stimme, grundböse näselnd, jämmerlich keifend. Kim Begley als Loge: ein verschlagener Zyniker mit grinsender Stimme, der um seine Kollegen herumscharwenzelt und gern einen Schluck aus der Wasserflasche nimmt. Der „Ring“ als Lehrstück auf die Verderbtheit der Welt: Erst kommt das Rheingold, dann die Moral.

Die Nüchternheit rührt vom Orchesterklang her: Das Orchestra of the Age of Enlightenment spielt Wagner auf Originalinstrumenten. Die unendliche Melodie auf Darmsaiten? Nicht genug, dass Rattle, der sich bislang kaum mit Wagner beschäftigt hat, die „Ring“-Herausforderung annimmt: Ab 2006 wird er die Tetralogie mit den Berliner Philharmonikern in Aix-en-Provence herausbringen. Nein, das britische Ensemble, dem der Philharmoniker-Chef seit mehr als 20 Jahren verbunden ist, hat auch noch eigens Kopien von Instrumenten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts angefertigt.

Damit macht Rattle hoffähig, was bislang Sache der Spezialisten war. Es häufen sich die Annäherungsversuche an den Originalklang des 19. Jahrhunderts: Bei den Ludwigsburger Festspielen wartete Roger Norrington mit einem vibratolosen Wagner-Abend, zur Eröffnung der Essener Philharmonie spielte die Capella Coloniensis die Urfassung des „Fliegenden Holländers“ auf Originalinstrumenten, und zu Pfingsten präsentierten Thomas Hengelbrock und das Balthasar-Neumann-Ensemble Verdis „Rigoletto“ original – in Baden-Baden. Das eher konservative Festspielhaus, das Regie-Wagnisse bislang meidet, betritt immerhin musikalisches Neuland, zumal in Sachen Wagner.

Wie das klingt? Diesseitiger, durchhörbarer, leiser. Und prekärer. Das Blech riskiert mehr Kiekser, die Holzbläser wirken fragil, die Streicher erdiger, matter. Dieses Rheingold funkelt nicht. Kaum Schmelzklang, kaum Farbenzauber, wenig Überwältigungsstrategie. Wagners Musik, schrieb der „Guardian“ zur Premiere in der Londoner Royal Albert Hall zwei Tage vor Baden-Baden, macht hier keinen Hehl aus ihrer Herkunft, gemahnt an Weber, Meyerbeer, Berlioz.

Aber Rattle lenkt den Blick eben auch in Richtung Moderne. Schon der allererste Ton, das abgrundtiefe Es, kommt nicht aus dem mythischen Ungefähr des Erdinneren, sondern von den Kontrabässen rechts auf der Bühne. Die Musik verrät die Arbeit, die ihre Hervorbringung macht. Was dem „Rheingold“ nicht schlecht ansteht, geht es doch bekanntlich um Kapitalismus, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Rattle nimmt Wagner beim Wort. Kein Wunder, dass die Nibelheim-Szene mit ihrer Maschinenmusik des anbrechenden Industriezeitalters zu einem Höhepunkt der Aufführung gerät. Ein Workshop vor Gala-Publikum. Kein Schönklang, der den schrillen Lärm der Hammerschläge mildern würde.

Simon Rattle, der den Eklektizismus liebt, nähert sich dem Eklektizisten Wagner. Eine Art Bloßstellung. Sein „Rheingold“ kündet keine Götter-Saga, auch wenn Willard White als souveräner Wotan, Yvonne Naef als ebenbürtige Fricka und Geraldine McGreevy als bezaubernd verängstigte Freia ein veritables Walhall-Ensemble abgeben. Rattles Aufmerksamkeit und Zuneigung gilt vielmehr den Erdlingen und Wasserwesen, denen da unten. Sie sind seine Helden, Protagonisten eines schrillen Comic voller übler, gleichwohl erbarmungswürdiger Gesellen. Und die Rheintöchter (Kate Royal, Karen England, Christine Rice) gebärden sich sexy wie Girlies von heute.

Wagner-Aficionados mag das Kasperletheater eines Alberich, eines Loge missfallen. Auch wenn den beiden am Ende der meiste Jubel gilt, ist die Musik ihnen manchmal doch überlegen. Nur Anna Larssons Erda gelingt es, mit der Autorität weniger atemberaubender Töne den ganzen Budenzauber für Sekunden vergessen zu machen.

Und der glückliche Augenblick? Wie wird sich Simon Rattle später im „Ring“ den betörenden Wagner anverwandeln, der zarten Liebe von Siegmund und Sieglinde, dem Zwiegesang von Wotan und Walküre? Die Neugier darauf ist nach diesem „Rheingold“ noch größer.

Zur Startseite