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Süßmeister: Karl Wannemacher vom „Alt Luxemburg“. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Kultur: Der Klassiker für den bunten Teller

Mandel und Zucker in harmonischer Verbindung: Unsere Probierrunde suchte das beste Marzipan.

Marzipan ist ein Weihnachtsklassiker, der dennoch viel von seiner Beliebtheit eingebüßt hat und für manche – gerade junge Leute sehen es so – im Supermarktregal so traurig wirkt wie ein Flakon 4711 in der Parfümerie. Es gehört eben zu den ganz frühen Erzeugnissen der Lebensmitteltechnik und muss sich nun den rapiden Fortschritten auf diesem Gebiet beugen. Aficionados indessen gefällt die Vorstellung, dass bereits Jäger und Sammler in vorgeschichtlicher Zeit Mandeln mit Honig vermengt und zum ersten süßen Riegel der Welt gemacht haben.

Die Liebhaber sind es auch, die dem Marzipan die Stange halten und gerade das Urtümliche daran zu schätzen wissen. Karl Wannemacher gehört zu ihnen. Der Küchenchef des Restaurants „Alt Luxemburg“ in der Charlottenburger Windscheidstraße empfing die monatliche Testrunde, ein kompetenter Jurypräsident auch deshalb, weil er selbst exzellente Marzipanpralinen anfertigt.

Nachdem die zuckerstarrenden Brote der Discounter abgearbeitet waren, wandte man sich Niederegger, dem Marktführer aus Lübeck zu. Er vertritt in vielen Supermärkten das Thema mittlerweile alleine und kreiert ständig neue Varianten, die dazu angetan sind, jüngere Konsumenten wieder an die Tradition heranzuführen. Aber auch das klassische „Niederegger Marzipan Schwarzbrot“ deutet mit seiner relativ lockeren Konsistenz auf einen höheren Mandelgehalt als die tatsächlichen 45 Prozent hin. Gravierender war jedoch in Wannemachers Augen, dass das originäre Aroma nur recht kurz vorkommt und eine nicht besonders aufregende Kuvertüre den Ton angibt.

Die Grundmasse für Marzipan stammt in fast allen Fällen aus einer Handvoll Fabriken, die auch spezielle Mischungen für weiterverarbeitende Betriebe herstellen. Im Allgemeinen halten die Anteile von Mandel und Zucker sich die Waage, zumindest was anspruchsvolles Marzipan betrifft. Umso mehr kommt es auf die Qualität der Kerne an sowie auf die Beigabe von Bittermandeln – wie im „Cemilzade Confiserie Orientale Istanbul-Berlin Marzipan Mandel“ aus der gleichnamigen türkischen Konfiserie in der Linienstraße. Das brüchige, in Schichten liegende Marzipan repräsentiert den Orient mit einer Interpretation, die quasi noch im Entstehen begriffen ist; die Mandel steht im Mittelpunkt, Zucker tritt lediglich als Animateur auf. Allerdings kann von einer endgültigen Verschmelzung zu Marzipan noch nicht die Rede sein. Aus diesem Grund war die Variante mit Pistazien überzeugender. Sie schloss mit einem dritten Ton die Lücke zwischen den üblichen Grundzutaten. Im Vergleich dazu erschienen die kleinen Brote von „Schwermer“ wie Kindermarzipan. Denn in dem Erzeugnis vom reich sortimentierten Hofer Schokoladen am oberen Kurfürstendamm herrscht zwar Geschlossenheit, aber sie wird regiert von König Zucker.

Nur ein paar Schritte vom Alt Luxemburg sind es zum kleinen Laden von „Wald Königsberger Marzipan". Auch beim Werk seiner Nachbarn vermochte die Schokolade – eigentlich eine Versiegelung, die das Innere feucht hält – den Meisterkoch nicht richtig zu überzeugen. Die Hauptsache selber besitzt in ihrer leicht krümeligen und angebackenen Art etwas Plätzchenhaftes, wirkt jedoch beinahe unsüß und bezieht davon eine durchaus erfrischende Natürlichkeit.

„Manufactum“ am Ernst-Reuter-Platz hat „Ewald Liedtke Marzipanbrot Zartbitter“ im Programm, eine Rezeptur aus dem frühen 19. Jahrhundert, die nahezu unverändert vom Konditormeister Andreas Bellem in Sinsheim hergestellt wird. Auffällig war als Erstes eine enorme Saftigkeit, die Mandeln und Zucker zu einem Dritten führte: Marzipan klassischer (man kann ruhig auch sagen: altmodischer) Ausprägung.Sicher trägt auch der Gang der Brote durch den Flämmofen dazu bei. So gut wie gar nicht auszumachen war allerdings das deklarierte Rosenwasser.

„Lubs Lübecker Marzipan mit Honig Zartbitter“ aus dem Bioladen schlägt einen vollkommen anderen Weg ein. Anflüge von Akazien- und Kastanienhonig gehen mit der fast sahnig-milden Art der Mandelsorte Valencias eine harmonische Verbindung ein. Der dunkle Überzug konnte wiederum nicht wirklich punkten, aber immerhin ergänzten die Bitternoten von Mandel und Schokolade einander und machen Lubs zu einem ausgesprochenen Erwachsenenmarzipan.

Es spricht ein weiteres Mal für ein so außergewöhnliches Geschäft wie das „Süße Leben“, dass es Stralsunder Marzipan führt. Die Tafeln im Seifenformat bestehen zu 70 Prozent aus Mandeln. Das ist hart an der Grenze, an der man überhaupt noch von Marzipan sprechen kann; insbesondere die Tafel mit einem Schuss Rum stellt Mandeln und Zucker nicht einfach nebeneinander, sondern verquickt sie zu einem innovativen Marzipangenuss. Wannemacher empfand vielleicht gerade wegen dieser differenzierten Fülle die Schokoladenhülle als durchaus nicht dem Niveau des Kerns entsprechend.

Die Schokolade schließlich gab den Ausschlag, dass der Meisterkoch das „Sawade Edelmarzipanbrot“, das ebenfalls aus dem Geschäft beim Schöneberger Rathaus stammte, insgesamt höher einschätzte. Die saftige Paté selber ist so, wie man es von einem traditionellen Marzipan erwartet: Verhaltener Zucker, der den Mandeln genügend Raum zur Entfaltung gibt und seinerseits aus ihnen so etwas wie Spannung bezieht. In dieser Hinsicht intensiviert er – ähnlich wie bei Lubs – die natürliche Süße der Mandeln.

Die Vorliebe für Marzipan könnte darauf beruhen, dass es nicht nach dem totalen Genießer verlangt. Während der unentwegt neue Impressionen verspüren möchte, kann der schon einmal als „Redundanzesser“ bespöttelte Weihnachtsnascher sich beruhigt am Immergleichen erfreuen. Biss um Biss. Thomas Platt

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