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Kultur: Der kleine Grenzverkehr

„Lichter“ von Hans-Christian Schmid im Berlinale-Wettbewerb

Die Freiheit, das ist ein Ort, an dem die Lichter niemals ausgehen. Auf dem Weg in den Westen hat es eine Gruppe von Flüchtlingen bis in einen Wald geschafft. Hier wollen sie die Nacht abwarten und dann die Grenze passieren. Einer kramt ein Foto raus, es zeigt einen Bauarbeiter vor einer illuminierten Großstadtkulisse. „Mein Bruder arbeitet am Potsdamer Platz“, sagt er. „Da stehen die größten Hochhäuser in Europa, das ist wie New York!“ Berlin und der Potsdamer Platz müssen ganz nah sein, bei den armseligen Häusern am Waldrand kann es sich nur um einen Vorort handeln. Die Flüchtlinge sind von Schleppern im Nirgendwo abgesetzt worden. In der Nacht wird einer von ihnen in der Oder, dem Grenzfluss, ertrinken. Die Anderen warten auf eine bessere Nacht oder sie werden verhaftet. Aber Kolja, einer von den Ukrainern, kommt, da ist der Film schon fast vorbei, tatsächlich auf dem Potsdamer Platz an.

„Lichter“, Hans-Christian Schmids („23“, „Crazy“) Film im Wettbewerb der Berlinale, handelt von einem Ort, an dem zwei Welten hart aufeinanderstoßen: die Grenze zwischen Deutschland und Polen, eine Stadt, die auf der einen Seite des Flusses Frankfurt, auf der anderen Slubice heißt. Die Kamera beobachtet zwei Spätsommertage lang zwei, drei Dutzend Figuren, die Episoden sind locker ineinander verwoben und entwickeln einen ungeheuren Sog. Im Osten träumen die Menschen vom Westen, den Menschen im Westen bleibt nicht einmal mehr dieser Traum. Ingo (Devid Striesov) steht mit seinem Matratzen-Laden in Frankfurt/Oder vor dem Bankrott. „Hier gibt es 20 Prozent Arbeitslose. Die liegen den ganzen Tag im Bett, ein Grund mehr, sich eine neue Matratze zu kaufen“, sagt er zu Simone (Claudia Geißler), die als lebende Litfasssäule Kunden für ihn aquirieren soll. Die Plattenbausiedlung, wo sie das vergeblich versucht, sieht so trostlos aus wie in „Halbe Treppe“. Aus Ingo und Simone könnte vielleicht ein Paar werden, wenn in diesem Film nicht alle dauernd mit dem eigenen Überleben beschäftigt wären.

Auch Katharina (Alice Dwyer) bemerkt nicht, dass Andreas (Sebastian Urzendowsky) sich in sie verliebt hat. Zusammen haben sie Zigaretten geschmuggelt, als die Ausreißerin von der Fürsorge gefunden und in ein Heim gesteckt wird, befreit Andreas sie mit dem Auto seines Vaters (Martin Kiefer). Dafür schlägt ihn der Vater blutig. Nur Beata (Julia Krynke) und Philip (August Diehl), waren schon einmal zusammen, vor zwei Jahren, danach hat Philip nichts mehr von sich hören lassen. Jetzt ist er zurück in Slubice, als erfolgreicher Jungarchitekt aus Berlin, der für seinen schmierigen Chef (Herbert Knaup) eine Textilfabrik am Flussufer hochziehen soll. „Sprich deutsch, ich kann kein polnisch“, sagt er, als er mit Beata streitet. „Wenn ich Dir etwas bedeuten würde, hättest Du längst polnisch gelernt“, entgegnet sie. Und darauf er: „Ist das dein Ernst?“

Liebe bleibt in „Lichter“ immer nur eine Möglichkeitsform. Die Grenze beherrscht diesen Ort, deshalb ist Frankfurt/Slubice eine schlechte Stadt für das Glück. „Lichter“ entfaltet seine Dramatik ganz beiläufig, Kolja, Ingo, Beata und die anderen Helden wird man so schnell nicht mehr vergessen. Seit langem der beste deutsche Film.

Heute um 15, 18.30 (Royal Palast) und 22.30 Uhr (International)

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