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Kultur: Der Körper als Schauplatz

Zum 80. Geburtstag des Künstlers Marwan.

Malerei war sein Zweitstudium. Zuerst hat Marwan (Kassab-Bachi) in Damaskus arabische Literatur studiert. 1957 kam er nach West-Berlin und schrieb sich bei Hann Trier an der Hochschule der Bildenden Künste ein. Ein syrischer Emigrant beim Großmeister der gestischen Malerei: In Marwans Werk verbinden sich solche elementaren Punkte seiner Biografie ebenso eindringlich wie eindrucksvoll.

Sichtbar wird die Fremdheit eines Mannes, der seine vom Bürgerkrieg geplagte Heimat verließ. Und gleichzeitig seine tiefe Sympathie für jene intuitive Abstraktion, wie sie aus den Linien und Pinselschwüngen des Informel spricht. Zusammen ergibt dies verzerrte Porträts, deren Protagonisten in der Selbstbefragung verharren. Oder aber deren Gesichter aus unzählbar vielen Strichen bestehen und deshalb wirken, als könnten sie jederzeit auseinanderfallen. Sicherheit gibt es nicht, höchstens einen Moment intensiver Begegnung, in dem sich der Betrachter den bohrenden Blicken eines fiktiven Gegenübers ausgesetzt sieht.

Doch die Gemälde des Berliner Künstlers, der am heutigen Freitag 80 Jahre alt wird, erzählen noch etwas anderes. Gerade die Werke aus den sechziger und frühen siebziger Jahren wurzeln derart im konkret Figürlichen, dass man sich Marwan bei ihrem Anblick sofort wieder im Kreis seiner damaligen Malerfreunde Georg Baselitz und Eugen Schönebeck vorstellen kann. Alle drei, ähnlich jung und unruhig, suchten im unverbindlich abstrakten Kanon der Nachkriegszeit nach einer eigenen Sprache. Baselitz ist darüber zum Star geworden, Schönebeck, der sich 1967 trotzig aus dem Kunstbetrieb verabschiedete, wird seit einigen Jahren wiederentdeckt. Und Marwan?

Seine verdiente Retrospektive zum runden Geburtstag findet man in keinem der hiesigen Museen. Stattdessen hat das Berliner Auktionshaus Villa Grisebach knapp 40 Arbeiten – große Leinwände und Aquarelle verschiedener Formate – in einer Ausstellung zusammengebracht. Darunter sind Leihgaben wie „Kopf und Hose“ (1970), ein frühes, unbetiteltes Selbstporträt oder „Figur von hinten“ (1966). Bilder, auf denen Marwan sein figuratives Ensemble so ordentlich vorstellt, dass jedes Detail erkennbar ist – und sich dennoch nichts klärt. Von dort ist es ein kleiner, logischer Schritt zur fortgesetzten Abstraktion. Gesichter changieren, ihre Mimik entgleist, Münder zerfransen, die Haut zerklüftet. „Rückenlandschaft“ hat Marwan ein Aquarell von 1973 genannt, auf dem der Körper im Wortsinn vom Künstler gezeichnet wird. Konsequent ersetzt Marwan seine Modelle Ende der Siebziger durch Marionetten. Ihre süßlich maskenhaften Gesichter kontrastieren mit den starren Augen und beschwören das ewige Thema der Vanitas.

Vielleicht verdichtet Marwan in diesen uneindeutigen Wesen, die sich wie Venusfiguren räkeln, dabei aber seltsam verrenken, auch ein Menschenbild. Was er in Berlin, seinem „künstlerischen Damaskus“, über die Jahre gesehen und erlebt hat, spiegelt die Sehnsucht nach dem Authentischen in einer geteilten Stadt, in der das Gefühl des Künstlichen lange vorherrschend war. Schon deshalb wünscht man sich – trotz oder gerade wegen der kleinen, großartigen Retrospektive der Villa Grisebach – mehr Werkschauen von Marwan. Christiane Meixner

„Marwan zum 80. Geburtstag“, Villa Grisebach, Fasanenstr. 25, bis 8.2., Mo–Fr 10–18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr

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