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Kultur: Der kosovo-albanische Autor Migjen Kelmendi lebt in Wiepersdorf und denkt an Zuhause

Seine Idylle in Wiepersdorf ist eine Idylle auf Zeit. Den kosovo-albanischen Schriftsteller Migjen Kelmendi erwartet nach den Wochen als Stipendiat in Brandenburg nicht einfach bloß wieder das Leben in der Stadt.

Seine Idylle in Wiepersdorf ist eine Idylle auf Zeit. Den kosovo-albanischen Schriftsteller Migjen Kelmendi erwartet nach den Wochen als Stipendiat in Brandenburg nicht einfach bloß wieder das Leben in der Stadt. Für ihn kommt die Rückkehr in ein Land, in dem bis vor kurzem noch Krieg herrschte. Noch bis Ende August ist Migjen Kelmendi im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf zu Gast. Die Reise hierher war eine Flucht, das Apartment im Nebengebäude des Schlosses ist sein vorübergehender Exilort geworden.

Von seiner Vertreibung aus Prishtina, der Provinzhauptstadt des Kosovo, die bis vor kurzem kaum jemand bei uns kannte, spricht Kelmendi nicht gerne, jedenfalls nicht vor Publikum. Zu oft hat er hier die Erfahrung gemacht, dass die, die ihn danach fragen, sein Erzählen nur benutzen, um seine Glaubwürdigkeit als Opfer zu überprüfen. "Ich wurde deportiert, sie kennen doch die Geschichten" - das war die lakonische Antwort auf die Fragen von Besuchern nach einer Lesung in Berlin. Wenn er dann doch zu erzählen beginnt, spürt man, ebenso wie beim Lesen eines Essays, den er Anfang April in der Frankfurter Rundschau veröffentlichte, welch einschneidende und demütigende Erfahrung die Verwandlung einer bürgerlichen Existenz in die eines recht- und wehrlos gemachten Flüchtlings für ihn bedeutet haben muss.

Aber humorvoll und souverän beherrscht wirkt Kelmendi, mit einer intellektuellen Distanz zu sich selbst, in der mitunter Traurigkeit, so etwas wie Verlorenheit aufscheint. Die Räumung seines ganzen Stadtviertels durch serbische Paramilitärs, die von Haus zu Haus gingen, die Menschen hinaus und auf der Straße vor sich her trieben, hatte für ihn zuerst etwas ganz Irreales, er konnte es selbst nicht glauben - "ich kam mir vor wie in einem Film" - und das, obwohl auch er schon tagelang nur noch vollständig bekleidet zu Bett gegangen war, die wichtigsten Habseligkeiten in einen Koffer gepackt, aufbruchbereit. Ein Gefühl für Realität gewann er nur aus der Hilflosigkeit und Angst, mitten in der durch die Stadt getriebenen, umherirrenden Masse, eine Angst, von der Kelmendi ganz offen, ganz unheroisch spricht. Seine Familie, seine Frau, Kinder, Eltern hatte er schon vorher, gegen ihren Willen, nach Montenegro und Mazedonien geschickt, wenige Tage, bevor das eintrat, was viele befürchteten, aber sich niemand vorstellen konnte - die Massenvertreibung aus dem Kosovo. Als 30 000 in der Nacht zusammengetriebene Menschen plötzlich die ersten NATO-Flugzeuge über sich hinweg rasen sehen, bricht unbeschreiblicher Jubel aus, dem sofort eine lähmende Stille folgt, die Hilflosigkeit in der konkreten Situation erscheint mit einem Mal noch deutlicher. Nach einer albtraumhaften Fahrt im vollgequetschten Zug gelangt Kelmendi ins Flüchtlingslager Blace, wo er totgeglaubte Journalistenkollegen trifft, mit denen er schließlich nach Deutschland ausreisen kann.

Kelmendi hatte nach einem Jurastudium vor allem für das Fernsehen gearbeitet, hat Dokumentarfilme gemacht, in Prishtina, wo das Staatsfernsehen serbisch war, für eine private albanische Fernsehstation, in Tirana für das albanische Staatsfernsehen und ein halbes Jahr lang in New York für einen albanisch-amerikanischen Privatsender. Zwei seiner Bücher sind aus seiner Arbeit als Journalist für die kosovo-albanische Tageszeitung "Koha Ditore" entstanden, eines über Albanien und eines über Amerika.

Während das Amerika-Buch eine Sammlung von pointierten kleinen Glossen enthält, analysiert das andere die Desillusionierung des Mythos vom nahen und doch unbekannten albanischen Mutterland, mit dem er als Jugendlicher im Kosovo groß geworden war. Besuche in Albanien in den ersten "Nach-Wende-Jahren" bringen vor allem Enttäuschung und die Erfahrung von Fremdheit zwischen Kosovaren und Albanern hervor.

Das ist ein Hauptthema in Kelmendis Arbeit: Das Herausarbeiten von Differenzen gegenüber dem Beschwören einer fiktiven Homogenität - Differenz als Grundlage, um den anderen erkennen zu können. Die Beschreibung von Brüchen in Biografien und in der Gesellschaft prägt auch seinen ersten Roman, der in Deutschland noch ohne Verleger ist: eine literarische Chronik der Stadt Peja, multiperspektivisch zusammengesetzt aus vielen kleinen Geschichten. Als Übersetzer aus dem Serbokroatischen (u.a. von Danilo Kis) wiederum hat Kelmendi zwischen zwei Kulturen zu vermitteln gesucht. Für einfache Feind- und Freundesbilder ist er nicht zu haben. "Hier verstehen wir uns gut, natürlich", sagt er nach einer Wiepersdorfer Lesung, die er zusammen mit seinen kroatischen und serbischen Kollegen Marian Nakitsch und Dragan Velikic veranstaltet hat, "aber was später sein wird? Ich möchte versuchen, nicht zu hassen", und er hofft, dass "die Serben selbst anfangen, darüber zu reden". Denn das war für ihn die schlimmste Erfahrung bei der Deportation: das schweigende Zuschauen der serbischen Mitbewohner seiner Stadt.

"Weiß und Schwarz"

Als die Albaner nach Amerika kamen, entdeckten sie, dass sie Weiße waren! Plötzlich begannen sie, sich selbst zu mögen. Das erste, was sie von Amerika aufnahmen, war ein latenter Rassismus, der in diesem Land unübersehbar gegenwärtig ist. Klar, es ist immer leichter, Vorurteile zu übernehmen, als zu versuchen, die anderen zu verstehen. Die Albaner verstanden nicht, dass "die Weißen" in diesem Land einander bekämpft hatten, in einer Schlacht um zwei verschiedene Visionen von Amerika: Die eine Seite hatte in Amerika das Land freier und gleicher Menschen gesehen, und die andere Seite hatte es als Riesenplantage betrachtet, auf der es Herren und Sklaven gab - die einen "weiß", die anderen "schwarz". In jenem Krieg ging es um das höchste Ziel: Freiheit und Gleichheit der Schwarzen ein und für alle Mal zu garantieren. All das, was uns, den Kosovo-Albanern auch am Ende des 20. Jahrhunderts noch fehlt. Wir sind nicht imstande, diese Rechte selbst zu erlangen. Und den Serben, die stets nichts als Serben sein wollten, fehlte jene Art der Zivilisation, die um Ideen und Prinzipien kämpfen würde. Mit anderen Worten: Sie waren einfach zu wenig Amerikaner, um einander für das Wohl der Albaner zu bekämpfen.Migjen Kelmendi schrieb diesen Text mit dem Titel "Weiß und Schwarz" während seines Exilaufenthaltes in den Vereinigten Staaten. Übersetzung aus dem Albanischen: Martin Wilkening.

Martin Wilkening

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