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Kultur: Der Kraftmaler

Heute wäre Lovis Corinth 150 geworden. Eine Leipziger Schau ehrt den Wegbereiter der Moderne

Er war ein Dickschädel aus Ostpreußen. Einer, der scheinbar immer gewusst hat, was er wollte. Auch wenn es das Unvernünftige, Ungesunde, wenig Zuträgliche gewesen ist. Unter seinen Händen und in seinem Herzen verwandelte es sich in große Kunst.

Heute vor 150 Jahren wurde Lovis Corinth geboren. Dass er einer der bedeutendsten deutschen Maler des 20. Jahrhunderts werden würde, ist ihm nicht an der Wiege gesungen worden. Corinth stammte aus einfachen – heute würde man sagen: bildungsfernen – Verhältnissen. Der Vater, ein Gerber und Ackerbürger aus der ostpreußischen Kleinstadt Tapiau, 45 Kilometer östlich von Königsberg, hat immerhin die künstlerischen Ambitionen des Sohnes gefördert und nicht, wie so viele wohlhabendere Eltern der Zeit, zu verhindern gesucht. Kunst ist für den jungen Franz Heinrich Louis Corinth, der sich später Lovis nennt, schon früh das große Abenteuer. Sehnlichster Wunsch des Knaben: nach Königsberg fahren, um das Reiterstandbild König Friedrich Wilhelm III. zu sehen.

Wie wird so jemand zum Künstler? Mehr noch: zu einem Vater der Moderne? Peter Kropmanns hat Corinths Leben zum Jubiläum aus den Quellen nacherzählt (Lovis Corinth. Ein Künstlerleben. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2008, 22,80 Euro). Und im Museum der bildenden Künste in Leipzig sprechen endlich einmal wieder die Bilder selbst. „Lovis Corinth und die Geburt der Moderne“ heißt die große Retrospektive, die zuvor im Pariser Musée d’Orsay zu sehen war und im Anschluss in die Ostdeutsche Galerie Regensburg gehen wird. In Paris war es Kärrnerarbeit für einen dort nahezu Unbekannten. Regensburg wird die temporäre Ergänzung des größten musealen Corinth-Bestands zelebrieren. Und in Leipzig? Wird Corinth zum Gewitter. Die pure Entladung von Malerei.

Wer das Leipziger Kunstmuseum kennt, der weiß, dass ihn dort mit Max Klinger (der nur ein Jahr älter als Corinth war) und dem DDR-Altmeister Bernhard Heisig starke Hausheilige der Malerei erwarten. Die erste Überraschung: Corinth steckt sie alle in die Tasche. Mehr noch: Das Unmodische und scheinbar Abstruse seiner Bildthemen lässt es endlich, nach über 80 Jahren, zu, alle kunsthistorischen Schubladen über Bord zu werfen.

Rund hundert Gemälde (die Zeichnungen und Druckgrafiken bleiben ausgeklammert) haben die Kuratoren ausgewählt und zu Themenschwerpunkten geordnet: Selbstporträt, Historienbild, Akt, Genre, Porträt, Landschaft und Stillleben. Bilder der 1880er Jahre hängen neben solchen aus dem Todesjahr 1925. Die Gemeinsamkeiten überwiegen. Etwa zwischen den späten Landschaften um das Feriendomizil am oberbayerischen Walchensee und der 1908 entstandenen Ansicht des neuen Sees im Berliner Tiergarten. Vordergründig etikettiert man die Walchensee-Darstellungen als „expressionistisch“, das Tiergarten-Bild als „impressionistisch“. Doch hier wie dort: derselbe irrlichternde Bildaufbau, dasselbe bohrendblaue Grün.

Ein anderes Schlachtfeld: Corinths Aktdarstellungen. Sicher, die ohne seine akademische Ausbildung in Königsberg, München und Paris undenkbaren Akte kommen oft genug klassisch-konventionell daher: verbrämt als Historienbild, mal biblisch, mal griechisch-antik. Doch spätestens seit Rubens und Rembrandt (die Corinth verehrte) weiß man, dass Themen wie „Susanna im Bade“ oder „Perseus und Andromeda“ nur Vorwände liefern, um Nacktheit mit Psychologie zu verbinden. Was an den von Corinth gemalten Leibern – auch den männlichen – fasziniert, ist das Moribunde: barockes Fleisch, blühend und von den Knochen fallend. Kraftmalerei gegen den Tod, die hohe Kunst der Aktmalerei, die nach Corinth nur noch Ausnahmeartisten wie Lucian Freud ähnlich virtuos beherrschten.

Bei so viel Wucht sieht man nach, dass Corinth seine selbstbewusste Ehefrau und Malerkollegin Charlotte Berend-Corinth immer wieder als wehrlos-nacktes Weibchen, sich selbst als Kriegsheld in glänzender Rüstung darstellte. Haremsschwüle, Kastrationsangst, gepanzerte Männlichkeit: Was wie die Quintessenz antifeministischer Großvätererotik wirkt, darf in Zeiten, wo Sadomaso Mainstream geworden ist, nun endlich im Subtext gelesen werden. Als unverblümt zur Schau gestellter Fetischwahn.

Corinths wenig verklemmter, oft ironischer Umgang mit Obsessionen demonstriert das Riesenformat „Mädchen mit Stier (Charlotte)“ von 1902. Corinths Zukünftige führt das virile Alter ego des Künstlers am rosa Bande buchstäblich an der Nase herum. Die Frau ist Bedrohung – und einzig lohnendes männliches Ziel. Mit Bildern wie diesem machte sich Corinth, der 1900 von München nach Berlin übergesiedelte Bulle aus Ostpreußen, systematisch zum Hauptstadtgespräch. Wenig später war der Neuankömmling Präsident der Berliner Secession und heftiger Konkurrent von Max Liebermann.

Corinths herausragende Bedeutung wird beim Gang durch die Leipziger Ausstellung klar: Lovis Corinth, nicht Liebermann, der allzu Repräsentative, ist der deutsche „Schwellenkünstler“ zur Moderne gewesen. Nach ihm haben nur noch wenige ähnlich meisterhaft Lebenszorn in figürliche Malerei verpackt. Zu ihnen zählen Max Beckmann, Francis Bacon, der frühe Baselitz, Anselm Kiefer, Bernhard Heisig. Wie sie musste sich Corinth stets als Einzelgänger bewähren. Wenn er Blumen malte, dann mit solch peitschender Unerbittlichkeit, dass selbst ein Emil Nolde im Vergleich nicht standhält. Und all diejenigen, die Corinth porträtierte, standen durch ihn plötzlich ganz nackt da. Etwa Herbert Eulenberg. Corinth malte den Schriftsteller und langjährigen Freund 1924 mit einem Gesicht wie aufgehender Kuchenteig. Und mit einem Blick, der sich tief in die Netzhaut des Betrachters bohrt.

Bohrendes Befragen dokumentieren auch die Selbstporträts, die Corinth rituell Jahr für Jahr zu seinem Geburtstag malte. Sie widerlegen die landläufige Deutung, Corinths Schlaganfall von 1911 mit seiner künstlerischen Entwicklung kurzzuschließen. Sein sehend in die Abstraktion führendes Spätwerk ist nicht Ausdruck irgendeiner Krankheit, wie es die Nazis behaupteten, die Corinth als entartet verfemten. Es ist vollendete Entgrenzung. Das lebenslang erkämpfte Weltbild eines wilden Weisen.

Museum der bildenden Künste Leipzig, bis 19. 10. Katalog (Kerber Verlag) im Museum 29 €, im Buchhandel 65 €.

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