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Kultur: "Der Kreis": Reigen des Schweigens

Die Leinwand ist schwarz. Kein Bild, nichts.

Die Leinwand ist schwarz. Kein Bild, nichts. Nur die Schreie einer Frau, eine kurze, quälend lange Zeit lang. Zeit genug, um Furcht auszulösen. Bis jetzt weiß die Zuschauerin nur, dass dies ein iranischer Film ist. Ein Film aus einem Land, in dem die Menschen nicht frei sind, die Frauen schon gar nicht. Schreit da eine, weil sie gequält, misshandelt, gefoltert wird? Was ist das für ein schreckliches Bild, das man nicht sieht? Aber dann sagt eine Stimme: "Es ist ein Mädchen."

Die Zuschauerin ist erleichtert. Also doch nur Schreie aus einem Kreißsaal. Geburtswehen: ein gewöhnliches Leiden, ein Leiden zum Glück. Aber auch dieser Gedanke wird bald Lügen gestraft. Zu sehen ist eine Frau im Tschador, ein verhüllter Hinterkopf. Die Frau klopft an ein Schiebefenster, und als es sich öffnet, fragt sie nach, ob es wirklich ein Mädchen ist. Ja, lautet die Antwort. Eine schreckliche Antwort. Die Mutter hatte einen Knaben erwartet, nun steht die Großmutter da und muss der Familie des Mannes noch im Krankenhaus die schlechte Nachricht verkünden. Eine Tochter, das ist eine Katastrophe.

Jafar Panahi hat einen Film über Frauen im Iran gedreht. So könnte man es - ein wenig hilflos - sagen, um zu erklären, welchen Kreis der Regisseur zeichnet, einen geschlossenen Kreis, in einer streng komponierten Kinogeschichte. Da ist zunächst Solmaz, die Mutter im Kreißsaal, die nie zu sehen sein wird. Dann die drei Frauen auf Hafturlaub, Arezou, Nargess und Maedeh, denen die Kamera vor dem Krankenhaus begegnet und denen sie folgt bei ihren Versuchen, wenigstens einer von ihnen zur Flucht zur verhelfen. Oder die schwangere Pari, ebenfalls aus dem Gefängnis entlassen, die von ihren Brüdern verstoßen wird und sich vergeblich um eine Abtreibung bemüht. Episoden, lose zum Reigen verknüpft durch zufällige Straßenbegegnungen. Dann Nayereh, die ihre kleine Tochter vor einem Hotel aussetzt. Und schließlich Mojgane, die Prostituierte, die von der Polizei aufgegriffen und ins Gefängnis gebracht wird, wo sie all jene wiedertrifft, die die Kamera auf ihrer Erkundungsreise entdeckt hatte. Eine Zelle voller Frauen. Solmaz wurde verlegt, sagt ein Wärter am Telefon. Der Kreis schließt sich. Auslöser für diesen Film, sagt Panahi, war eine Meldung im "Vermischten": die Nachricht vom Selbstmord einer Frau, die zuvor ihre Töchter getötet hatte. Aber er hat keinen Themen-, keinen Thesenfilm gedreht.

Ein Film über Blicke, könnte man auch sagen. Über ängstliche, panische Blicke. Suchende, vergebliche Blicke. Den fatalistischen Blick, wenn man nichts zu verlieren hat. Den Blick der Hoffnung und der enttäuschten Hoffnung. Den bittenden, den helfenden, den Rat suchenden Blick. "Der Kreis", mit Laiendarstellerinnen an Originalschauplätzen gedreht, zeigt, was man sehen kann von dem, was unter den Bedingungen der Unfreiheit nicht gesehen werden soll. Neben der realen Zelle gibt es das unsichtbare Gefängnis draußen, auf offener Straße. Panahis Film setzt sich nicht über das Bilderverbot hinweg, sondern macht sich ein Bild von dem, was dieses Verbot anrichtet und wie es Menschen zurichten kann.

Zum Beispiel die Geste, mit der eine Frauenhand eine lose Haarsträhne unter ihr Kopftuch zurückschiebt. Immer und immer wieder dieses Zurückschieben der Haare. Oder die verschlossene Haustür, hinter der sich ein Familiendrama abspielt. Oder der Tschador, die grauen, knöchellangen Gewänder der Frauen, die ihnen erlauben, sich unbeobachtet in dieser namenlosen Stadt bewegen zu können. Ein Tarnkleid, ein Schutzschild: bloß nicht entdeckt werden vor den Schaufenster-Auslagen einer Drogerie mit Seife, Shampoo, Parfüm. Billiges Zeug - und zugleich ein kostbarer, unerreichbarer Schatz. Auch Rauchen wäre wunderbar. Eine Frau darf sich in der Öffentlichkeit keine Zigarette anzünden. Immer und immer wieder: unangezündete Zigaretten. Man möchte aus Solidarität am liebsten zur Kettenraucherin werden. Noch so ein hilfloser Gedanke.

Jafir Panahi weiß keinen Rat. Er bläst nicht zur Rebellion und sagt von sich selbst, er sei kein politischer Filmemacher, weil er keine Botschaft habe. Er klagt nicht an, nicht den Islam, die Männerwelt, den Fundamentalismus. Aber er bringt das Schweigen derer zu Gehör, die zum Schweigen gezwungen sind. Die nicht Bus fahren dürfen, wenn sie keinen Studentenausweis haben. Die sich die Lippen nicht schminken dürfen und die ohne Mann nicht im Hotel übernachten dürfen. Sein Film, der im vergangenen Jahr in Venedig den Goldenen Löwen gewann - vielleicht musste sich der diesjährige Iran-Beitrag, "Geheime Wahl" von Babak Payami, deshalb mit dem Regiepreis begnügen -, ist im Iran verboten, weil er Tabu-Themen wie Prostitution und Abtreibung anklingen lässt.

Abbas Kiarostami, Panahis berühmter Regie-Kollege aus dem Iran, begegnet der Unfreiheit seiner Protagonisten mit den Mitteln der Fantasie. Kiarostami nimmt sich die Freiheit, sich trotzdem Freiheiten zu nehmen. Panahi gestattet sich das nicht. Er bleibt verhalten, nüchtern, eindringlich. So biedert er sich nicht an und ist seinen Heldinnen doch ganz nahe. Und verschafft uns Zuschauerinnen im freien, fernen Westen eine Ahnung davon, wie sich eine Haarsträhne anfühlen mag, die nie gezeigt werden darf.

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