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Kultur: Der Künstler schießt zurück

Gräßlich sieht er aus, der Kunstkritiker, dem Blut und Geifer in den Mundwinkeln kleben und der mörderische Parolen wie gelbes Gift verspritzt.Er ist der ewige Attentäter, doch diesmal wird er zum Opfer.

Gräßlich sieht er aus, der Kunstkritiker, dem Blut und Geifer in den Mundwinkeln kleben und der mörderische Parolen wie gelbes Gift verspritzt.Er ist der ewige Attentäter, doch diesmal wird er zum Opfer.Der Künstler nämlich schießt zurück."The Killer-Critic Assassinated by his Widower, Even" ist ein Bild wie ein Aufschrei.R.B.Kitaj schuf das Gemälde im letzten Jahr, noch immer unter dem Eindruck tragischer Ereignisse.Die Londoner Tate Gallery hatte dem 62jährigen 1994 eine Ausstellung eingerichtet, die von der Presse vehement attackiert wurde.Kurz nach dem Ende der Schau starb Kitajs Ehefrau, erst 47jährig, an einer Gehirnblutung.Für ihren Tod macht der Maler die Anfeindungen der Presse verantwortlich und den Druck, dem das Paar während der Londoner Präsentation ausgesetzt war.Verbittert verließ der Künstler England, Hauptwohnsitz seit seiner Studienzeit, und zog mit seinem Sohn nach Los Angeles.

Die Rückkehr des Biennale-Preisträgers und mehrfachen Ehrendoktors in seine amerikanische Heimat ist Anlaß für eine Retrospektive, die nach Oslo, Madrid und Wien nun letzte Station im Sprengel Museum Hannover macht.Siebzig Arbeiten erzählen von Kitajs Aufenthalt in Europa, von seiner Begeisterung für europäische Kunst- und Geistesgeschichte und der Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung und dem Holocaust.Man hat R.B.Kitaj einen Pionier der Postmoderne genannt, denn seine Arbeiten gleichen Vexierbildern, deren rätselhafte Andeutungen kaum endgültig zu entschlüsseln sind."Kennst Du das Land?" von 1962, das den Spanischen Bürgerkrieg im Bild kämpfender Maschinengewehrschützen festhält, nimmt beispielsweise Bezug auf Motive Goyas, zitiert Goethe im Titel und läßt sich zugleich im biographischen Kontext lesen.Nicht immer lassen sich seine Quellen zweifelsfrei aufspüren.Es scheint, als bediene sich Kitaj nur zu gern obskurer Vorlagen, um den Betrachter irrezuführen und die Lösung der Bilderrätsel zu verhindern.Erst in den Siebzigern vollzieht sich ein Wandel, entstehen Porträts von Freunden, deren Geheimnisse sich in den Accessoires verraten: die Katzenliebe der Wissenschaftlerin oder der Hang des Orientalisten zu prachtvollen Gewändern.

Im Bild des Bahnreisenden schließlich findet Kitaj eine Metapher für die Exilsituation der Juden in diesem Jahrhundert - und für die eigene entwurzelte Existenz.Ihm wird das Bahnabteil zur hermetisch abgeschlossenen Zelle; Taubheit, angedeutet durch ein Hörgerät, besiegelt die Isolation."The Jew" nennt Kita die Arbeit und setzt ein "etc." hinzu, als ginge die ziellose Reise endlos weiter.Er selbst scheint endlich angekommen.Los Angeles, den Wohnsitz in der Nähe seines Malerfreundes David Hockney, verläßt er nur noch ungern.Doch die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten geht weiter.Expressiver als zuvor erzählen die jüngsten Arbeiten von Kitajs Ungeduld, als liefe ihm die Zeit davon.Seine Themen kreisen um die eigene Person, um die Beziehung zu seinem Sohn und die Rolle des Künstlers.Und wie ein Wahlspruch erscheint, was Kitaj der Arbeit "The Killer-Critic ..." in schwarzen Lettern eingeschrieben hat: "art is the escape to personality" - Kunst ist Flucht zur Persönlichkeit.

Sprengel Museum Hannover, bis 22.11.

KRISTINA TIEKE

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