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Herzlich Willkommen. Ai Weiwei hat seinen Reisepass wieder und ist als erstes nach München geflogen. Sein in Berlin lebender Sohn Ai Lao und dessen Mutter begrüßen ihn bei der Ankunft.

© AFP

Der Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei: Ai Weiwei ist in München gelandet

Am Donnerstagnachmittag ist er in München gelandet: Chinas bekanntester Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei will bald nach Berlin weitereisen - und kritisiert die britischen Behörden, weil London seinen Geschäftsvisum-Antrag abgelehnt hat.

Ai Weiwei ist in Deutschland. Am Donnerstagnachmittag landete der jahrelang von Chinas Behörden schikanierte Künstler mit einer Lufthansa-Maschine aus Peking in München und wurde dort von seinem sechsjährigen Sohn Lao am Flughafen begrüßt. Auch die Landtagsfraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen in Bayern, Margarete Bause, begrüßte den Künstler und Menschenrechtsaktivisten. Es fühle sich „sehr gut“ an, wieder reisen zu dürfen, sagte der 57-Jährige. Ai Weiweis deutsche Galerie, Neugerriemschneider in Berlin, bestätigte, dass Ai Weiwei in den nächsten Tagen nach Berlin weiterreisen werde. Bereits vergangene Woche, als Chinas bekanntestem Dissidenten nach vier Jahren der Reisepass von den Behörden wieder ausgehändigt worden war, hatte der Künstler angekündigt, als erstes nach Deutschland und Berlin reisen zu wollen, da sein Sohn und dessen Mutter in der Bundeshauptstadt leben.

Wann genau er in Berlin eintreffen wird, ist nach Angaben der Galerie allerdings noch offen. Auch wollte sich Ai Weiwei in München nicht weiter zu den Umständen der Passrückgabe äußern. „Das dauert zu lange. Mein Sohn wartet.“

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Ende gut, alles gut? Ist Chinas bekanntester Gegenwartskünstler und Dissident, der sich nach dem Erdbeben von Sichuan 2008 unerschrocken mit dem Regime anlegte und vor allem wegen seiner Proteste gegen die Baukorruption ins Visier der Behörden geriet, der im April 2011 am Flughafen Peking festgenommen und 81 Tage lang inhaftiert wurde, der seitdem zwar Werke zu Ausstellungen nach Venedig, Kanada oder 2014 zur „Evidence“-Schau im Berliner Martin-Gropius-Bau schicken, nicht aber selbst mitreisen durfte und dessen Studio am Stadtrand von Peking von Überwachungskameras umzingelt ist – ist Ai Weiwei wieder ein freier Mann?
Ja und nein, schließlich ist der Umgang mit missliebigen Bürgern und Kulturschaffenden in China von Willkür geprägt. Seinen Pass hat der Konzeptkünstler und Pekinger Olympiastadion-Architekt ausgerechnet in einer Zeit wiederbekommen, in der gerade eine neue Verhaftungswelle unter chinesischen Menschenrechtsaktivisten und -anwälten sowie deren Kanzlei-Mitarbeitern gestartet worden war. Über 200 Festnahmen, einige sitzen nach wie vor hinter Gittern – da nimmt sich die neue Milde gegenüber Ai Weiwei als einem der prominentesten Aktivisten wie ein Ablenkungsmanöver aus.

Dass Ai Weiwei zuerst nach München reist, hat zudem eine ernste Vorgeschichte. Im Zuge seiner Proteste gegen Pfusch am Bau – der Konzeptkünstler hatte die Namen von 80.000 Erdbebenopfern, unter denen sich besonders viele Schulkinder befanden, mit freiwilligen Helfern recherchiert und dokumentiert – war er von Beamten 2009 schwer am Kopf verletzt worden. Politische Aufklärung als Konzeptkunst, Ai Weiweis wiederholtes, teils virtuoses Aushebeln der Zensur, sein friedlicher, immer dialogbereiter ziviler Ungehorsam brachte das Regime ganz besonders gegen ihn auf. Als er kurz danach zur Eröffnung der „So Sorry“-Ausstellung im Münchner Haus der Kunst reiste, musste er wegen Hirnblutungen im Klinikum Großhadern notoperiert werden. Sein Gedächtnis hat gelitten – nach seiner Ankunft bestätigte Ai Weiwei nochmals, dass er sich in München einer Nachuntersuchung unterziehen wolle.

Großbritannien lehnt Ai Weiweis Geschäftsvisum-Antrag ab

Eine weitere Meldung trübt die Freude über seine wiedererlangte Reisefreiheit. Die britischen Behörden haben Ai Weiweis Antrag auf ein sechsmonatiges Geschäftsvisum abgelehnt und ihm nur ein dreiwöchiges Besuchervisum ausgestellt. Und das ausgerechnet mit Hinweis auf seine Inhaftierung 2011.
Am 19. September wird in der Londoner Royal Academy of Arts die erste große institutionelle Einzelausstellung von Ai Weiwei in Großbritannien eröffnet, sie läuft bis Anfang Dezember. Der Künstler, so heißt es im Ablehnungsschreiben der britischen Behörden, habe die Fragen auf dem Antragsformular nicht korrekt beantwortet. Ob der Antragssteller je verhaftet, eines Verbrechens angeklagt oder strafrechtlich verurteilt worden sei, lauten einige der Fragen. Ai Weiwei habe dies fälschlicherweise verneint. Bekanntlich sei er in China strafrechtlich verurteilt, lautet die Begründung seitens der britischen Botschaft in Peking – Ai Weiwei hat den Brief auf seinem Instagram-Fotoblog veröffentlicht. Ausnahmsweise habe man ihm dennoch die kurzzeitige Einreise erlaubt. Das ebenfalls auf Instagram dokumentierte Visum datiert vom 9. bis zum 29. September.

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Ai Weiwei soll etwas Wichtiges verschwiegen haben? Ein doppelt grotesker Vorwurf. Erstens ging die Nachricht von seiner willkürlichen Inhaftierung an einem bis heute unbekannten Ort 2011 um die Welt. Zweitens hatten Chinas Behörden mögliche Gründe damals nur mündlich gegenüber Ai Weiwei vorgetragen. Subversion, Pornografie (wegen Fotoarbeiten mit Nackten) Bigamie (er ist nicht mit der Mutter seines Sohns verheiratet) – eine offizielle Anklage gab es nie. Und die angebliche Steuerschuld in Höhe von umgerechnet 600 000 Euro plus Zinsen und Gebühren betraf die Firma „Fake“, die Ai Weiweis Architekturprojekte realisierte. Sie gehörte jedoch nicht ihm, sondern seiner Ehefrau, der Künstlerin Lu Qing. Und der Staat hat die von Ai Weiwei hinterlegte Summe nicht abgerufen.

Ai Weiwei: "Großbritannien stellt sich auf die Seite der chinesischen Regierung"

Der Berliner Anwalt Peter Raue war 2014 eigens nach Peking gereist, um den verzwickten Fall zu prüfen. Nach seinen Recherchen gab es zu keinem Zeitpunkt ein nach chinesischem Recht gültiges juristisches Verfahren gegen den Künstler. China sieht das naturgemäß anders, jetzt auch Großbritannien: ein fast schon an Ai Weiweis Installationen über Chinas Absurditäten im Umgang mit (Menschen-)Recht und ziviler Ordnung erinnernder Vorgang. Man habe ihm seine Rechte als einfacher Bürger verweigert, kritisierte Ai Weiwei kurz vor seinem Abflug in Peking. Großbritannien stelle sich auf die Seite der chinesischen Regierung und nehme „die Position jener ein, die Menschenrechtsverteidigern Leid zugefügt haben“. Nach der Landung in Berlin sagte er nur lapidar, er werde vielleicht auch noch nach London reisen - „wenn sie mir ein Visum geben".

Experten vermuten, das devote Verhalten der Briten könne in Zusammenhang mit dem Englandbesuch von Staatspräsident Xi Jinping im Oktober stehen, Diplomaten sprechen gegenüber dpa gar von einem "peinlichen" Vorgang. Es ist der erste Besuch dieser Art seit zehn Jahren. Auch der Direktor der Royal Academy of Arts, Tim Marlow", äußerte gegenüber der BBC sein Befremden: Der Gedanke sei schon seltsam, dass man in einem solchen Fall seine Unschuld beweisen müsse.

Dass Ai Weiweis Reiseziel zunächst Berlin lautet, liegt vielleicht nicht nur an seinem Sohn, der hier zur Schule geht. Sondern auch daran, dass er von hier besondere Unterstützung erfahren hat, etwa mit der Initiative „Freiheit für Ai Weiwei“, die Peter Raue, der Galerist Alexander Ochs und Klaus Staeck, damals Präsident der Akademie der Künste, 2014 ins Leben riefen. Wobei er nach seiner Ankunft wohl nicht gleich in seinem Atelier im Pfefferberg arbeiten wird, sondern seinen persönlichen Angelegenheit nachgehen dürfte. „Er soll in Ruhe ankommen“, sagt Bjoern Wilck als Sprecher der Universität der Künste, die den Chinesen 2011 zu einer Gastprofessur eingeladen hatte. Natürlich würde die UdK sich freuen, wenn sie den Künstler im Wintersemester als Dozent begrüßen könnte. Aber für die Vorgespräche dazu kommt es auf ein paar Tage nicht an, so Wilck, zumal UdK-Präsident Martin Rennert im Urlaub weilt. Vor allem aber wolle man sich nach den Plänen von Ai Weiwei richten. Ein schönes Stück Normalität: dass ein Künstler die Freiheit hat, sich nicht drangsalieren, ja nicht einmal drängeln zu lassen.

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