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Kultur: Der lächelnde Terrorist

Wut, Angst, Hitze: Der Bomben-Prozess von Bali. Ein Tag im Gericht von Denpasar/Von Moritz Rinke

Im Innenhof der Polizeistation von Denpasar sitzen junge Balinesen mit grauen Uniformen und Maschinenpistolen und spielen mit ihren Mützen. Wenn man mit einem Taxi in den Innenhof hineinfährt, lassen sie die Mützen fallen, springen auf und greifen nach ihren Waffen. Zwei Tage, nachdem ein Selbstmordattentäter mit einem Taxi vor das MarriottHotel von Jakarta fuhr und zehn Menschen mit in den Tod riss, ist es vielleicht nicht die beste Idee, sich der balinesischen Polizeistation auf diese Weise zu nähern.

Im Dienstzimmer von Cornel Gaud bekommt man die Presse-Akreditierung für den Prozess gegen die Terroristen der Bali-Bomben vom 12.Oktober2002. Frau Gaud sitzt mit goldenen Epauletten auf den Schultern und einigen Orden am Schreibtisch und erklärt, die Angst sei wieder da. Nach dem Bombenanschlag von Kuta habe sich die Lage allmählich beruhigt, die Touristen seien wiedergekommen – und jetzt das. Auf Bali, das merkt man schon nach einigen Tagen auf der Insel, hasst man die Terroristen. Amrozi ist jener Terrorist, der vermutlich den Sprengsatz baute. Er habe nichts gegen die Balinesen, er wolle den Amerikanern schaden, hat er gesagt. Nein, sagt Frau Gaud, er hat uns geschadet. Jeder habe Familienangehörige, die seitdem ihren Job verloren haben, nicht nur in Kuta, sondern auf der ganzen Insel.

Das Lächeln haben die Balinesen trotzdem nicht verlernt. Sie stehen auf der Straße, verfolgen auf Bali-TV den „Bomb-Bali“-Prozess und lächeln, während sie für Amrozi die Todesstrafe verlangen. Am Donnerstag ist letzter Prozesstag, vermutlich wird er zum Tode verurteilt werden. Frau Gaud sagt, das sei nicht einfach für die Polizei. Die Todesstrafe wurde während der Reformen unter Präsident Habibi abgeschafft. Jetzt werde im Innenhof ein Polizist im gesetzlichen Hinrichten ausgebildet. Erst sei es schwer gewesen, einen Polizisten zu finden, nun sei es schwierig, die Hinrichtung zu üben.

„Nart Graha“, der Saal des Hohen Gerichts in Denpasar sieht aus wie eine Turnhalle mit rotem Kachelboden, hölzernen Ventilatoren und einer Art Campingstühlen für 200 Journalisten, die im Abstand von zehn Metern hinter Amrozis Stuhl sitzen, einem Bürostuhl, genau vor dem hohen Stuhl des Obersten Richters. Jeder Journalist wurde dreimal abgetastet, und alle mussten ihre Handys abgeben, die nun mit einer Nummer versehen in einer Wanne liegen.

Als Amrozi um kurz nach neun hereingeführt wird, lächelt er, ruft „Allahu Akbar“ („Allah ist groß“) und setzt sich. Dann beginnen die fünf Richter sieben Stunden lang die Amrozi-Akte zu lesen. Von den Geheimtreffen der „Jamaah Islamiyah“ und den Terroristen Mubarok, Wan Min und Mukhlas über die Verbindungen zu Al Qaida und Osama bin Laden, der Ausbildung bei den Taliban, vom Kauf der Materialien für die Bomben, der Beschaffung des Autos, das am 12. Oktober 2002 bei der Diskothek in Kuta vorfuhr und der Sprengung der anderen Diskothek per manipuliertem Handy: 58 Zeugenaussagen, Aussagen der anderen Terroristen, Biografisches über die 202 Todesopfer. Jede Stunde liest jemand anderes, insgesamt 500 Seiten.

Amrozi sitzt barfuß im weißen Hemd mit moslemischer Kopfbedeckung auf seinem federnden Bürostuhl und betet. Mal wackelt er mit den Beinen, dann sieht er auf seine Füße. Wenn er kurz zur Seite schaut, blitzen die Fotografen, und er lächelt.

Im Gerichtssaal sitzt in der ersten Reihe ein Indonesier, der sich ab und an umdreht und einem der Journalisten ein Foto zeigt, auf dem abgerissene Hände und Arme zu sehen sind und Teile des Terrorautos. Leise flüstert er: „Hundred Dollar.“ Dann setzt er sich wieder. Anscheinend ist in balinesischen Gerichten der Handel erlaubt. Einigen Journalisten wird es nach eineinhalb Stunden zu langweilig, und sie beginnen sich gegenseitig zu interviewen. Die Japaner fotografieren die balinesischen Reporterinnen, und ein amerikanischer Journalist verabredet sich mit einer Holländerin zum Frühstück, die wegen ihrer am 12. Oktober getöteten Freundin hier ist. Irgendwann schlafen die ersten australischen Journalisten ein, denn sie verstehen kein Wort. Es wird immer heißer. Flaschen dürfen nicht mit in den Saal genommen werden, deshalb stehen unsere Getränke draußen neben der Handy-Wanne, die mittlerweile zirpt, piept und wackelt wie ein Becken mit Nattern.

200 unausgeschaltete Handys in einer Wanne wirken merkwürdigerweise bedrohlicher als ein kleiner, betender Terrorist. Sein Gesicht ist einfach, fast zart. Nicht im geringsten spiegelt sich darauf, was um ihn herum geschieht: 40 Kameras, die den Rücken, die Hosenbeine und die Fußsohlen des Massenmörders filmen, und auf der Straße ein Volk, das ihm den Tod wünscht. Er aber betet wie ein Kind – eine geradezu poetische Form der schrecklichsten Ignoranz.

Cornel Gaud hatte in ihrem Dienstzimmer gesagt, dass die Terroristen aus Java wie Tänzer seien. „Wir haben Amrozi und Samudra gefangen, aber sie tanzen vielleicht auch in diesem Moment um uns herum.“ So ähnlich ist es auch auf dem Gerichtsgelände: Einige Journalisten suchen in der vibrierenden Wanne panisch ihre Handies, andere lassen sich aus der Küchenstation der Polizei Wasser und Nasi Goreng über eine Mauer reichen, wie Gefangene. Absurd ist das schon: Draußen leiden die Weißen, wechseln ihre Hemden und rufen: „Wie lange noch?“ – und drinnen betet Amrozi lächelnd seiner Todesstrafe entgegen.

Im Gerichtssaal sitzt auch der Indonesier Theodorus. Er schreibt für eine Regionalzeitung und fragt, ob ich mit nach Kuta kommen wolle. Man brauche das Urteil nicht abzuwarten, das sei wie ein Tod. Das Sterben eines Menschen müsse man nicht ablichten, selbst wenn er ein Verbrecher ist. Er zeigt auf die Tempelfiguren, die über den Richtern schweben. Was er mir in Kuta zeigen wolle, habe damit zu tun.

In Kuta gehen wir über die Hauptmeile, ein Shop nach dem anderen, Bar an Bar, vollgestopft und zugebaut mit westlichen Firmen. Gerade hat ein Starbucks eröffnet und ein Prada-Laden. Irgendwo ist plötzlich Luft in dieser blinkenden Enge – was geradezu befreiend wirkt. Es ist der Bombenort. Überall Blumen, Fotos von jungen Australierinnen, T-Shirts mit „Fuck the terrorist“. Theodorus zeigt hinter die Leere des Bombenplatzes, dann auf einen Tempel, der wie durch ein Wunder stehen geblieben ist. „Das ist das Zeichen, dass die Götter auf unserer Seite sind.“

Plötzlich tönt Jubel durch die Straßen. Wir laufen in einen Pub und sehen auf Bali-TV, wie die Richter, Beisitzer, Polizisten, Journalisten und Amrozi im Gerichtssaal von Denpasar stehen. Es ist 16.20 Uhr. Amrozi wurde eben zum Tode verurteilt. Laut einer Australierin am Biertresen haben die Prozessbesucher geklatscht, und Amrozi soll jubelnd die Faust gereckt und wieder „Allahu Akbar“ gerufen haben .

Und er soll gesagt haben, dass er keine Berufung will. Lieber will er als Märtyrer sterben.

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