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Kultur: Der lange Schatten des Diktators

Nach Augusto Pinochets Tod: Wie Chile mit seiner Vergangenheit umgeht

Augusto Pinochet ist tot. Trotz aller Bemühungen der internationalen Justiz starb er letztlich doch in seinem Bett, ohne von weltlichen Instanzen gerichtet worden zu sein.

Der Diktator war nicht nur für die jüngste Geschichte Chiles zu wichtig, als dass man einfach zur Tagesordnung übergehen könnte. Schon die Straßendemonstrationen, die Krawalle und die sofort entbrannten Diskussionen, ob das einstige Staatsoberhaupt ein Staatsbegräbnis bekommen dürfe, zeigen das. Noch einmal und über seinen Tod hinaus wirft Pinochet seinen langen Schatten in ein Jahrhundert, das sich ihm und seinesgleichen entwunden zu haben glaubt, und löst die altbekannten Polarisierungsmechanismen aus. War es bislang der Tag des Putsches von 1973, der 11. September, der als hochsymbolisches Datum immer wieder Straßenschlachten provozierte, so ist es nun der Todestag des Generals, der bei den Anhängern tiefe Trauer und bei den Gegnern Jubelstürme entfacht. Die Präsidentin Michelle Bachelet, selbst ein Opfer des Pinochet-Regimes, verweigert ihm die Staatstrauer, doch in den Kasernen wehen die Flaggen auf Halbmast.

Pinochet, das war in der Außenwahrnehmung für 16 lange Jahre der stramme uniformierte Diktator mit der dunklen Sonnenbrille, der so sehr wie ein Mafioso wirkte. Er trug die Brille wie ein dunkles Visier, das alle Zwischentöne auslöschte und die Person hinter dem Machthaber in Finsternis hüllte. Pinochet war Sinnbild einer Welle brutaler militärischer Gewaltherrschaften, die Lateinamerika als Reaktion auf sozialreformerische und sozialistische Experimente seit den sechziger Jahren heimsuchte. Pinochet und der von ihm gestürzte Salvador Allende waren Symbolfiguren des Kalten Kriegs.

Unter Pinochets Herrschaft kam es in Chile bis 1989 zu einer Unzahl von Menschenrechtsverletzungen. Er wurde nicht müde zu behaupten, dass es sich dabei um einen „Krieg“ gehandelt habe, einen Krieg gegen einen subversiven Gegner, den „Weltkommunismus“. In der Hochzeit des Kalten Krieges stand Pinochet nicht allein. Die mittlerweile erwiesene wohlwollende Duldung seines Putsches durch die CIA ebnete ihm den Weg. In einem Netzwerk der südamerikanischen Diktatoren perfektionierte man unter dem Tarnnamen „Operation Condor“ die Verfolgung Andersdenkender und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch anders als bei seinen Kameraden in Argentinien, Uruguay oder Brasilien wirkte der Einfluss des Generals weit über seinen Abgang von der politischen Bühne 1989/90 hinaus. Bis 1998 blieb er Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte und erhielt dann, gemäß der unter seinem Regime erarbeiteten Verfassung von 1980, das Amt eines Senators auf Lebenszeit. Diese Verfassung engte die Handlungsfähigkeit der jungen chilenischen Demokratie in der Übergangsphase nach der Diktatur lange ein. Im geltenden unfairen Wahlrecht ist das noch heute erkennbar.

Über Jahre hinweg verhinderten Pinochets Präsenz sowie die in seiner Verfassung verankerten Sonderrechte für das Militär und die ihm nahestehenden rechten Parteien eine gründliche Aufarbeitung der Vergangenheit. Zwar bemühte sich bereits zu Beginn der neunziger Jahre eine offizielle Wahrheitskommission um Aufklärung, wurde ein Denkmal für die Ermordeten und Verschwundenen errichtet und sogar der Leichnam von Salvador Allende in einem offiziellen Akt auf den Zentralfriedhof umgebettet, doch blieben Ansätze zur Bestrafung der Täter aufgrund eines Amnestiegesetzes von 1978 in den Anfängen stecken. Bis zuletzt konnte Pinochet unbotmäßige Zivilisten mit unverhohlenen Drohungen immer wieder in die Schranken weisen.

1998 brachte dann aber einen Wendepunkt, den Anfang vom Ende der Ära Pinochet. Mit seiner Verhaftung in London im Oktober desselben Jahres wurde aus einem noch immer mächtigen Ex-Diktator, der etwa anlässlich seiner Geburtstage oder am 11. September die Ovationen seiner Anhängerschaft entgegennahm und sich gerne als sanftmütiger Patriarch des Vaterlands präsentierte, der „englische Patient“, der „Fall Pinochet“, dem die internationale Justiz zu Leibe rückte. Zwar löste der Vorfall anfangs dieselben polarisierenden Reflexe aus wie frühere Versuche, seiner habhaft zu werden. Doch führte die Zerstörung des Nimbus Pinochets als „harter, aber gerechter Saubermann“ in der Folgezeit zu einer Abkehr der politischen Rechten von ihrer Symbolfigur und damit zu einer Öffnung für weitergehende Reformen. Von da an bröckelte das Ansehen auch im Inland, nahm die Zahl der Getreuen immer schneller ab.

Auch im Militär setzte sich mit dem internationalen Strafverfahren gegen Pinochet und der Kenntnis der seitdem ans Tageslicht gekommenen Verfehlungen des Ex-Diktators eine Tendenz zur Distanzierung durch. Sie ging mit einer steigenden Bereitschaft zur Anerkennung des Primats der Politik und zur stärkeren Unterordnung unter die zivilen Autoritäten einher. Reuebekundungen und Verurteilungen von ehemaligen Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen sowie die Selbstverpflichtung auf das „nie mehr“ (nunca más) unterstrichen die Dimension des Wandels. Durch die Verfassungsänderungen von 2005 ist die politische Sonderrolle des chilenischen Militärs stark eingeschränkt worden. Es reduziert sich nun wieder auf die Aufgabe der Landesverteidigung. Damit hat Chile einen großen Schritt zur endgültigen Überwindung der schweren Erbschaft der Diktatur gemacht. Und dieser Weg wird von der neuen Präsidentin konsequent weiterverfolgt.

Pinochet und die kleine Schar der in einer Stiftung organisierten Anhänger haben diese Umbrüche nie verstanden. Sie sahen und sehen den General als Retter des Vaterlands vor dem Zugriff des „internationalen Kommunismus“. Doch wirkte ihre Paranoia immer mehr wie ein kaum noch ernst zu nehmendes Relikt aus einer vergangenen Zeit.

Allerdings ist Pinochet eine Figur, die im kollektiven Gedächtnis nicht nur der Chilenen wichtig bleiben wird. Der verstorbene Diktator steht für eines der dunkelsten Kapitel chilenischer Geschichte, aber auch für einen letztlich erfolgreichen Kampf gegen das dekretierte Vergessen und die Straflosigkeit. Das internationale Verfahren gegen ihn ist zu einem Meilenstein einer globalen Strafverfolgung von Menschenrechtsverbrechen geworden und prägt damit unsere Gegenwart. Gleichzeitig lebt die schmerzhafte Erinnerung der Opfer und ihrer Angehörigen in Chile fort, wie die 2004 erfolgte Veröffentlichung des Berichts über Folterungen unter Pinochet eindringlich vor Augen führte.

Mit dem Tod Pinochets endet eine Ära. Der Weg zu einer konsequenten Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit und insbesondere zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Täter sollte nun leichter fortzusetzen sein.

Der Autor lehrt am Lateinamerika-Institut und am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Im Herbst 2007 wird seine „Kleine Geschichte Chiles“ im C. H. Beck Verlag erscheinen.

Stefan Rinke

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