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Mein Freund, der Baum. Die Autorin Julia Zange, mit Philipp Felschs Buch bewaffnet.

© Filmgalerie 451

"Der lange Sommer der Theorie" von Irene von Alberti: Quatschen mit Soße

Was tun, Generation Berlin? Irene von Albertis Film „Der lange Sommer der Theorie“.

Von Gregor Dotzauer

Die Jahreszeiten sind beliebte Metaphern, um Blüte und Verfall des menschlichen Lebens zu illustrieren. Auf kulturelle Phänomene angewandt, haftet ihnen etwas Zwiespältiges an. Frühling, Sommer, Herbst und Winter haben bekanntlich viele Leben, und „Der lange Sommer der Theorie“, den der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch in seinem gleichnamigen Buch für die Jahre zwischen 1960 und 1990 ausmachte, trug vielleicht allzu leichtfertig die Züge eines Nachrufs. Sind wir tatsächlich im langen Winter eines intellektuellen Missvergnügens angekommen?

Vor zwei Jahren traf Felschs an der Geschichte des Berliner Merve Verlags ausgerichtete Ideenreportage jedenfalls einen Nerv: Man kann – sogar mit ihr – aus vielen guten Gründen behaupten, dass zeitgemäße Theorie heute nicht mehr recht durchdringt, keineswegs aber, dass sie aktuelle Fragen vernachlässigt. Von Gerechtigkeits- und Migrationsdiskursen bis zu einer Ethik des Posthumanen gibt es kaum etwas Anregendes, das es nicht geben würde. Auf jeden Sargnagel, den eine sich medial ins Unendliche zerstreuende Gesellschaft ins Fleisch ihrer öffentlichen Debatten treibt, kommt eine denkerische Leistung, in der sie sich auf die Spur zu kommen versucht.

„Der lange Sommer der Theorie“, den die Filmemacherin Irene von Alberti nun als Hybrid aus Interviewpassagen, gespielten Wohnküchendebatten und Berliner Stadtspaziergang inszeniert, teilt einerseits Felschs Burnout-Diagnose – und verschafft ihr auch Gehör. Andererseits will der Film von Erschöpfung nichts wissen. Angesichts von Rechtsruck, Gentrifizierung und Selbstoptimierungswahn, oder was an gängigen Stichworten sonst noch durch die Gegenwart geistert, beißt er sich noch einmal an der guten alten, auch hier handfest politisch gemeinten Lenin-Frage „Was tun?“ die Zähne aus.

Ahnungsloser Kleinmädchenton

Drei junge Frauen in einer Künstlerinnen-WG am Rande der Europacity, dem Quartier Heidestraße, kurz vor der Räumung. Eine von ihnen hat KOMA in riesigen roten Buchstaben an die Wand gesprüht. Ein Poster mit der jungen Angela Davis ist zu sehen. Die Rede kommt auf die Frühzeit der RAF, zwischendurch schlüpft Katja Weilandt in die Rolle der Eva Braun. Martina Schöne-Radunski präsentiert sich als Punksängerin, und Julia Zange läuft im bedruckten Hosenanzug, auf dem „Generation Berlin“ und „Zukunft“ steht, durch die Hauptstadt.

Im ahnungslosen Kleinmädchenton interviewt sie die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi zu Lebensformen, die Lehrerin Lilly Lent und die Sozialpädagogin Andrea Trumann zur Problematik des Staatsfeminismus, den Kunsttheoretiker Boris Groys oder den Dramaturgen Carl Hegemann. Der rollt am Ende im Bobby Car von der Bühne.

Was das alles ist? Ein dezidiert überdrehtes Diskurskino mit feministischer Schlagseite, bei dem alles, was die Protagonistinnen unter sichtbaren Mühen an verschwurbelter Theoriefolklore aufsagen, sofort zwischen ihren Lippen erstirbt. In ihrem Kunstfigurendasein kann es nicht um ein natürliches Sprechen gehen, wohl aber um einen Rest von Überzeugungskraft des einzelnen Gedankens. Das Ganze würde offenbar gerne bei Jean-Luc Godard oder Philippe Garrel ankommen, bleibt aber auf dem Niveau einer später Volksbühnen-Klamotte stecken: Im Sexy-Lamp-Test werden überflüssige Männer per Fingerschnipps in Stehlampen verwandelt.

Moralisches Fingernägelkauen

Die 1963 geborene Irene von Alberti, die mit diesem Film ihre René-Pollesch- Adaption „Stadt als Beute“ beerbt, ist alt genug, um die Theorielust der Merve- Jahre miterlebt zu haben: den Umschlag von Neomarxismus in jene poststrukturalistischen Energien, die auf höchst unterschiedliche Weise Michel Foucault, Jean Baudrillard oder Gilles Deleuze beflügelten. Aber in ihrem von moralischem Fingernägelkauen geprägten Spaßrebellentum scheint es so wenig historisches Bewusstsein zu geben, dass auch eine Empirikerin wie die kluge Jutta Allmendinger, Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, als Theoretikerin durchgeht.

Was sich aus alledem an Handlungsauftrag ergeben soll, bleibt im Dunkeln. Es kann sich nur darauf hinausreden, dass es auch schon vor vierzig Jahren vage blieb – nicht zuletzt wegen einer deutsch-französischen Kategorienverwechslung. Was hierzulande, um bei Foucault zu bleiben, als Anleitung zur anarchistischen Subversion gelesen wurde, war in Paris immerhin ein Fall fürs prestigeträchtige Collège de France.

Wie man es aber auch wendet: Irene von Albertis verquatschter Film hat so wenig zu sagen, dass er Zuflucht bei Leuten sucht, die etwas zu sagen haben. Er geriert sich aufmüpfig, hat aber nichts Besseres zu tun, als sich fremden Autoritäten zu unterwerfen. Das ist intellektuell ein Trauerspiel und in seiner ästhetischen Ausgestaltung ein Armutszeugnis.

In acht Berliner Kinos

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