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Kultur: Der leiseste Sex der Welt

Phil Morrisons „Junebug“ erzählt ungelenk und zugleich faszinierend von einer Familie in der amerikanischen Provinz

Wie ungelenk das anhebt, wie stellprobenhaft. Eine Familie in ihrer Wohnküche, man wartet auf jemanden, man geht sich auf die Nerven, man redet in Ansätzen, Nebenhauptsätzen, man schweigt. Wie eine Sitcom ohne Pointe. Und erst die Kamera: irgendwie im Weg. Wenn es gar nicht weitergehen will, fokussiert sie zum Beispiel Bäume, als könnte wenigstens die Natur, schönen Gruß von Terrence Malick, eine Antwort auf die Menschenrätsel geben.

Wir sind in North Carolina, der Heimat des Regisseurs Phil Morrison, der nach einem irgendwie legendären Kurzfilm von 1992 sowie zahllosen Clips und Werbefilmen mit 39 seinen ersten Spielfilm gedreht hat. Sein Kumpel aus jenen Kurzfilmtagen, der Bühnenautor Angus MacLachlan, hat ihm das Drehbuch geschrieben, und die Firma Epoch Films, sonst mit Musikvideos beschäftigt, übt sich mit „Junebug“ erstmals im Kinogeschäft. Junebug? Richtig, es ist Sommer in North Carolina, und das Kind, das die junge Ashley (Amy Adams) da hochschwanger in sich rumträgt, heißt einstweilen einfach Junikäfer.

Ashley ist es, die etwas überdreht aufschreit, als ihr Schwager George (Alessandro Nivola) und dessen Frau Madeleine (Embeth Davidtz) aus Chicago eintreffen in der mehrstöckigen Landwohnküchenwelt der Johnstens; sie streift nicht bloß ein Begrüßungsgesicht über, nein, sie ist hellauf begeistert. Die Galeristin Madeleine hat in der Gegend einen Maler aufgetan, den sie der Konkurrenz wegschnappen will – und da trifft es sich gut, dass man ein paar Monate nach der arg plötzlichen Liebeshochzeit endlich bei Georges Verwandtschaft aufschlägt. Ashley, die Frau von Georges abgedrehtem, im Elternhaus hängengebliebenem jüngeren Bruder Johnny (Benjamin McKenzie), ist dabei eigentlich die Randfigur; aber superhibbelig, schnell Nähe suchend oder auch Liebe oder so, giggelt sie sich in die Mitte.

Sonst sind da noch: Mama Peg, ein pillenpausbäckiges, jeden Raum sofort und ungut füllendes Übermonster. Und Papa Eugene; der aber hat sich familienoberhauptberuflich längst in die innere Emigrationsbutze namens Hobbykeller zurückgezogen. Johnny und Ashley wohnen in Johnnys Kinderzimmer, und jetzt sind George und Madeleine, die wegen der dünnen Wände nachts den leisesten Sex der Welt haben, auch noch da. Mit anderen Worten: eine Familie zum Weglaufen. Wenn der hübsche George was hingekriegt hat im Leben, dann das. Aber wie hingebungsvoll er plötzlich im Bibelkreis singt am Sonntag, als wär’ er nie nach Chicago gegangen!

So ein Film ist das: Man guckt über die Schwelle, Schrittchen drüber weg, schon schlägt die Tür zu. Madeleine verlegt sich aufs Beobachten: lässt sich von der plappernden Ashley die Nägel lackieren, hilft Johnny ein bisschen bei der Abendschulpaukerei, erfährt sich vorsichtig rein in diese Fremde. Als Stellvertreterin des Zuschauers macht sie sich gut. Irgendwie kommen wir mit ihr – und vielleicht mit George – wieder raus aus dem Schlamassel, wir müssen nur in Madeleines freundliche, klare Augen sehen.

Von ein paar Tagen oder auch einer Sommerewigkeit erzählt dieser Film, die Kamera macht bedacht nur das Nötigste, Musik ist nicht oder kaum, und passieren tut sowieso nicht viel. Vieles siedelt dicht am Klischee, aber dann lassen präzise Abweichungen im Detail die Figuren fast hyperreal erscheinen, aus jederlei Alltag beunruhigend vertraut – bis in die Intimität der Einsamkeiten hinein. Raum auch für unvermutete Nähe in hinreißenden Szenen, zwischen Eugene und Madeleine zum Beispiel oder Ashley und George; die Leute reden eben so, wie es geht, und erkennen sich dazwischen in der Stille. Schließlich passiert doch was, ein richtiges Ereignis, eines, das diese disparate Familie zusammenzwingt. Da wird „Junebug“ plötzlich zur Soap, nur fehlt die Seife. Oder fehlt nicht.

Im Presseheft zählt Phil Morrison nicht weniger als 14 Regisseure zu seinen Vorbildern, und der New Yorker „Newsday“ schreibt ihm drei weitere ins Stammbuch – der Mann sei demnächst Jim Jarmusch, Woody Allen und Gus van Sant ebenbürtig. Klar ist das alles überdimensioniert und komisch, stört aber nicht weiter. Denn der Film holpert sich so rein ins Herz und ist da erst mal schlecht wegzukriegen. Um es in der tastenden Diktion des Regisseurs zu sagen: „Vielleicht ist die Wahrheit die, dass Dunkelheit und Licht untrennbar sind. Wir geben uns immer wieder unendliche Mühe, das zu verleugnen, um uns sicher zu fühlen. Wenn dieses Leugnen dann in sich zusammenbricht, sind wir erschüttert. Das ist bestimmt nicht aufregend neu, aber ich denke, das ist der Punkt.“

Blow Up und fsk am Oranienplatz;

OV im Cinestar Sony-Center

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