Kultur: Der letzte Surrealist
Zum Tod des chilenischen Malers Roberto Matta Echaurren
Nach Picasso sah er sich als Statthalter des großen Breitwandformats in der Kunst. In New York übernahm er während des Zweiten Weltkriegs die Rolle des geistreichen surrealistischen Chef-Unterhalters. Vor allem aber bewegte sich Roberto Sebastian Antonio Matta Echaurren, der am Sonnabend 91-jährig in Rom starb, in einem Kunstkosmos eigener und raffiniertester technischer Prägung. Seine Werke der letzten Jahrzehnte zielen in ein modernistisches-alchemistisches Universum.
Schon früh hatte Matta erfindungsreich von außerplanetarischen Metamorphosen und roboterhaften Lebewesen eines anderen Sterns berichtet. Je älter er wurde, desto üppiger breitete er in seiner Kunst maschinelle Schreckensvisionen aus. Späte Bilder erscheinen als vorweggenommene Einblicke in überfüllte, mit Geräten und Apparaturen vollgestopfte Raumstationen und -laboratorien. Unter den Surrealisten entdeckte er als einziger die Zukunft mit ihrer Gefährdung.
Auch ihn hatte André Breton, der Theoretiker des Surrealismus, in die Welt jenseits der Wirklichkeit gelockt. In Chile geboren, als Architekt in seiner Vaterstadt Santiago ausgebildet, zog Matta nach Frankreich und anschließend durch Europas. Schicksalhaft wurden für ihn Begegnungen mit Le Corbusier, Garcia Lorca, Salvador Dalí und Marcel Duchamp. Geradezu magisch bewog ihn Picassos „Guernica“-Bild von 1937, sich der Malerei zu widmen, und bald eröffnete er mit dem Kubaner Wilfredo Lam eine südamerikanische Fraktion der Surrealisten.
Einflüsse und Anregungen in Paris, Madrid, New York, Südamerika und Rom – wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte – ließen ihn überdies zum Dichter, Essayisten, Politiker, Bühnenausstatter und Möbeldesigner werden. Seine physikalisch anmutenden, dennoch irrealen Leinwand-Inszenierungen zeigen sich vornehmlich wie unter hohem Druck und voltreicher Spannung. Dabei bleiben die häufig elektrifiziert wirkenden malerischen Sphären als getreuliche Schilderungen ihres umtriebigen Entdeckers ohne Ruhe- und Mittelpunkt. Oft lassen bengalische Farben auf eine giftige Umwelt schließen. Ein dynamisches, mitunter bis zur Explosion vorangetriebenes außerirdisches Spektakel wurde zum Kennzeichen seines Werks. Er war der letzte der klassischen Surrealisten.
Werner Langer