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Kultur: Der Maler mit der schönsten Palette

Frankreich feiert den zweihundertsten Geburtstag seines großen Künstlers Eugène Delacroix mit zahlreichen Ausstellungen: Die wichtigsten finden - natürlich - in Paris stattVON JÖRG VON UTHMANNThomas Mann nannte ihn den "Wagner der Malerei".Man versteht, warum: Auch Eugène Delacroix liebte die monumentalen Formate und die hochdramatischen Effekte.

Frankreich feiert den zweihundertsten Geburtstag seines großen Künstlers Eugène Delacroix mit zahlreichen Ausstellungen: Die wichtigsten finden - natürlich - in Paris stattVON JÖRG VON UTHMANNThomas Mann nannte ihn den "Wagner der Malerei".Man versteht, warum: Auch Eugène Delacroix liebte die monumentalen Formate und die hochdramatischen Effekte.Seine Stoffe fand er in Mythen und Sagen, und seine Farbpalette gebot über die ganze Skala chromatischer Zwischentöne.Auch wenn er sich selbst gern als "reinen Klassiker" ausgab - Delacroix war der Inbegriff des romantischen Malerfürsten. Wie Wagner verdankte er seine größten Erfolge einem königlichen Mäzen.Mit seiner Verherrlichung der Revolution von 1830 ("Die Freiheit führt das Volk an") wurde er zum Vorzeigekünstler der Juli-Monarchie.Daß er als illegitimer Sohn des alten diplomatischen Fuchses Talleyrand galt, der damals seine letzte große Rolle spielte, schadete ihm nicht.Als der "Bürgerkönig" Louis-Philippe 1832 nach der Eroberung Algeriens eine Gesandtschaft an den Hof des Sultans von Marokko schickte, fuhr Delacroix als regierungsamtlicher Historienmaler mit.Die siebenmonatige Reise versorgte ihn für den Rest seines Lebens mit orientalischen Motiven.In den folgenden Jahren erhielt er bedeutende Aufträge für Wand- und Deckengemälde im Palais Bourbon (der Nationalversammlung), im Palais du Luxembourg (dem Sitz des Senats), im Rathaus und im Louvre.Schwieriger war es, Anerkennung bei den Kollegen zu finden.Sechsmal wies die Académie des Beaux-Arts seine Bewerbung zurück, bevor sie ihn nach dem siebten Anlauf endlich akzeptierte.Geschmacksrichter in der Akademie war sein Gegner Ingres, ein Klassizist reinsten Wassers, dem der "Robespierre der Malerei", wie er Delacroix nannte, von Herzen zuwider war.Das Etikett war eine unliebenswürdige Anspielung auf seinen (offiziellen) Vater Charles Delacroix, der Mitglied des Konvents gewesen war und für den Tod des Königs gestimmt hatte. Mit dem Sturz der Bourbonen verlor Delacroix auch seinen königlichen Protektor.Doch im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Victor Hugo, mit dem er so manches gemeinsam hatte, arrangierte er sich rasch mit dem Bonaparte-Kaiser.Für die Weltausstellung von 1855 durfte er selbst die 35 Gemälde aussuchen, die sein Lebenswerk repräsentieren sollten.Aber die vielen Ehren konnten die Tatsache nicht vertuschen, daß Delacroix ein Mann der Vergangenheit war.In den Salons stritt man nun über Courbet, Millet und die Maler von Barbizon.Auch der Impressionismus warf seinen Schatten voraus: 1863, im Todesjahr von Delacroix, schockierte Manet die Pariser mit "Olympia" und dem "Frühstück im Freien". Ausgerechnet diese späte Periode nimmt die Retrospektive im Grand Palais, die später nach Philadelphia weiterreisen soll, unter die Lupe.Es ist die größte der sieben Ausstellungen, mit denen Paris, Rouen, Chantilly, Tours und Bayonne den 200.Geburtstag des "Malers mit der schönsten Palette" (Cézanne) am 26.April feiern.Sie beginnt brillant mit seinem Selbstbildnis von 1837.(Das von 1860 wollten die Offiziere nicht herausrücken.) Doch nach diesem Paukenschlag geht es bergab.Zwar ist sie immer noch da, die große, theatralische Geste, doch ist sie zur Routine erstarrt.Delacroix wiederholt seine Lieblingsmotive, wenn auch in kleineren Formaten, die sich besser verkaufen.Besonders gut gehen die Löwen und Tiger, die er nach der Natur im Jardin des Plantes malt.Manche wollen in ihnen die Züge des raffgierigen, frühkapitalistischen Bürgertums erkennen, das Gegenstück zu den Romanen Balzacs. Neu hinzugekommen sind die religiösen Motive: Der Agnostiker Delacroix weiß, was im frömmelnden Zweiten Kaiserreich gefragt ist.Auch an Seestücken und Landschaft versucht er sich jetzt.Doch wirken sie im Vergleich zu den Plein-air-Malern seiner Zeit aufgedonnert und plump.Ungebrochen ist dagegen die Virtuosität des Zeichners Delacroix."Wenn Sie nicht imstande sind", sagt er einem jungen Kollegen, "einen Mann, der aus dem vierten Stock springt, zu zeichnen, bevor er auf dem Boden ankommt, dann schaffen Sie auch die großen Maschinen nicht." Die Zeichnungen sind der beste Teil der Schau im Grand Palais.Weitere Zeichnungen, Grafiken und Aquarelle sind in der Nationalbibliothek zu finden, wo erstmals auch das - bisher nicht veröffentlichte - Tagebuch der Marokko-Reise von 1832 besichtigt werden kann. Die dritte Pariser Ausstellung hat das Delacroix-Museum, sein Sterbehaus in der Rue de Furstemberg, organisiert.Ihr Thema ist die Freundschaft des Malers mit dem Direktor der Gemäldeabteilung des Louvre, Frédéric Villot, die später wegen Meinungsverschiedenheiten über die Restaurierung des Rubens-Zyklus und allzu inniger Gefühle, die Madame Villot für den Freund ihres Mannes empfand, in die Brüche ging.Delacroix war in die Rue de Furstemberg gezogen, um seinen beiden letzten großen Arbeiten, der "Vertreibung des Heliodor" und "Jakobs Kampf mit dem Engel" in der Kirche St.Sulpice, möglichst nahe zu sein.Die sieben Meter hohen Bilder sind der - leider schlecht beleuchtete - Höhepunkt seines Spätwerks.Wer Delacroix auf dem Gipfel seiner Kunst erleben will, sollte hierhin eilen und gleich danach in den Louvre. Grand Palais, bis 20.Juli.Katalog 290 Francs.Bibliothèque nationale, 58 Rue de Richelieu, bis 12.Juli.Musée Delacroix, 6 Rue de Furstemberg, bis 31.Juli.

JÖRG VON UTHMANN

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